Sofa statt Stange: Ein Huhn, das gern Fernsehen schaut

Der Berghof hat eine neue Bewohnerin: Helene, ein Federvieh mit außergewöhnlicher Vorliebe

Naturfilme, Dokumentationen und die Tagesschau haben eine ungewöhnliche Zuschauerin. Weil Huhn Helene bei einer älteren Frau im Wohnzimmer aufgewachsen ist, hat sie sich eine menschliche Eigenart abgeschaut: Huhn Helene guckt abends gerne Fernsehen.

04.09.2016

Von Maik Wilke

01.09.2016 Jeden Abend vor die Glotze: Das Fernsehhuhn Helene
© Bleeser/Löffler 02:18 min
Naturfilme, Dokumentationen und die Tagesschau haben eine ungewöhnliche Zuschauerin. Weil Huhn Helene bei einer älteren Frau im Wohnzimmer aufgewachsen ist, hat sie sich eine menschliche Eigenart abgeschaut: Huhn Helene guckt abends gerne Fernsehen.

Tübingen. Eng ans Bein von Agnes Graf gekuschelt, macht es sich Huhn Helene auf der Couch bequem. Zwischen Kissen mit Reh-, Fuchs- und Blumenmotiven zappen die Tierpflegerin und das schwarze Huhn mit rotem Schopf 30 bis 60 Minuten durchs Abendprogramm. „Manchmal sitzt sie auch auf meinem Schoß. Und dann schauen wir gemeinsam fern“, sagt Graf. Das Lieblingsprogramm von Helene: Naturaufnahmen. Aber auch die Tagesschau – selbst ein Huhn muss das aktuelle Weltgeschehen verfolgen.

Die helle Decke unter Helene soll das Sofa im Wohnzimmer im Institut Berghof in Lustnau aber keineswegs vor möglichen Hinterlassenschaften schützen. Nein, Helene soll es bequem haben. Denn das gemeinsame TV-Gucken am Abend gehört zur täglichen Gepflogenheit. Streit darüber, welche Sendung geschaut wird, gab es noch nicht, betont Graf: „Das Programm bestimme immer noch ich.“ So nimmt Graf auch keine Rücksicht auf die Gefühle von Helene – bei Wiesenhof-Werbung bleibt sie stur auf dem Kanal: „Ich glaube nicht, dass Helene kapiert, was dort gerade passiert“, sagt Graf und lächelt. „Aber sie schaut wirklich auf den Fernseher und verfolgt das Geschehen.“

Eine Frau und ein Huhn zusammen auf der Couch. Schon schräg. Vor allem, wenn sich noch eine Katze daneben setzt, die wegen eines Gendefekts nicht wächst. Finchen heißt die kleine, vierpfotige Freundin von Helene, die sich gerne zu Huhn und Frauchen gesellt. Die TV-Sucht von Helene färbt eben ab.

Doch die Stimmung im Berghof kann leicht kippen: Darf Helene mal nicht fernsehen, wird das Huhn zur Zicke. „Sie gackert dann so lange draußen im Käfig, bis ich sie rein hole.“ Helene möchte einfach nicht mit den anderen Hühnern auf die Stange. Lieber sitzt sie auf dem bequemen Sofa im Wohnzimmer, nahe bei ihrer Pflegerin und Besitzerin. Und wie beim Homo Sapiens fallen dem schwarzen Huhn beim Starren auf den Bildschirm öfter die Äuglein zu, sagt Graf. „Wenn Helene richtig müde ist, steht sie auf und läuft alleine zurück in den Käfig.“

Das Haushuhn hat die für seine Gattung ungewöhnliche Eigenart des TV-Schauens schon früh angenommen. Helene wurde im Rahmen eines sozialen Projekts ausgebrütet und wuchs bei einer älteren Frau in Reutlingen auf – ausschließlich im Wohnzimmer. „Die Frau hat abends immer mit Helene Fernsehen geschaut und Helene hat sich einfach daran gewöhnt“, erklärt Graf. Weil die Reutlingerin dann nicht mehr mit dem Huhn klar kam, rief ein Sozialarbeiter Graf an, die sich im Berghof um ausgesetzte und verletzte Tiere kümmert. Mittlerweile ist Helene ein dreiviertel Jahr alt, das Fernsehen möchte Graf dem zutraulichen Huhn nicht nehmen – auf Entzug hat die Tierschützerin Helene bisher nicht gesetzt. Obwohl sie abgegrenzt von Artgenossen aufwuchs, hat Helenes Vergangenheit Vorteile. Da die ältere Frau ihr erste Kontaktperson war, ist das Huhn sehr zutraulich und kann von Graf als Therapie-Huhn in Seniorenstiften eingesetzt werden. „Sie setzt sich von alleine auf den Schoß der Frauen und Männer und lässt sich streicheln.“ Helenes Spitzname unter den Senioren: die Reutlinger Stadthenne.

Nach einem anstrengenden Tag auf dem Berghof entspannen Huhn Helene und Tierpflegerin Agnes Graf gemeinsam vor dem Fernseher. Bild: Sommer

Nach einem anstrengenden Tag auf dem Berghof entspannen Huhn Helene und Tierpflegerin Agnes Graf gemeinsam vor dem Fernseher. Bild: Sommer

Was sehen Hühner?

Ein Huhn, das fernsieht? Skurril, aber absolut möglich, sagt Biologe Heinz Köhler von der Uni Tübingen. „Hühner nehmen mehr wahr, als nur Schemen und Formen. Bei einigen Vögeln, gerade bei Raubvögeln, ist die Dichte an optischen Rezeptoren sogar deutlich höher als beim Menschen. Dadurch haben sie eine bessere Auflösung.“ Hühner erkennen Bilder aus dem Fernseher problemlos, erklärt Köhler. „Aber sie können natürlich keiner Handlung folgen. Das liegt aber nicht am Sehvermögen, sondern an der Kapazität des Gehirns.“ Die ruckartigen Bewegungen mit dem Kopf von Tauben und Hühner hängen übrigens auch mit dem Sehvermögen zusammen: Sie haben starre Augäpfel. Schauen sie zu lange auf die gleich Stelle, verblasst das Bild. Erst wenn der Kopf bewegt wird, werden andere Rezeptoren angesprochen.

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Erstellt:
04.09.2016, 04:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 57sec
zuletzt aktualisiert: 04.09.2016, 04:00 Uhr

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