Schub auch für Zusammenhalt

Behörden, Security, Catering: Der Flüchtlingszuzug schafft neue Jobs

Wachleute, Gastwirte, Erzieherinnen, Lehrer: Der Flüchtlingszuzug beschert vielen Branchen Aufträge und neue Jobs. Als erste brauchen die Behörden mehr Leute. Allein das Landratsamt stellt dieses Jahr wohl über hundert zusätzlich ein.

22.03.2016

Von Renate Angstmann-Koch

Christina Holder ist Sozialarbeiterin, Armin Schaupp Bautechniker beim Landratsamt. Bild: Metz

Christina Holder ist Sozialarbeiterin, Armin Schaupp Bautechniker beim Landratsamt. Bild: Metz

Kreis Tübingen. Wenn das Landratsamt eine Unterkunft für Flüchtlinge angeboten bekommt, schaut sich Armin Schaupp die Sache an. Der gelernte Zimmermann und Bautechniker arbeitet im Gebäudemanagement des Kreises. Früher kümmerte er sich um Büros und Schulen, war Brandschutzbeauftragter im Landratsamt und organisierte die Technik beim Jahresempfang oder dem Berufsinfotag.

Seit Juli 2015 berät er die Abteilung Ordnung bei technischen Fragen in Zusammenhang mit Flüchtlingsunterkünften. Er beurteilt, ob Häuser geeignet sind, bespricht mit Architekten, was man umbauen muss, beauftragt die Handwerker. Ansprechpartner für die 15 bis 20 Hausmeister ist er obendrein. „Sie haben alle meine Handynummer. Ich bekomme jeden Tag Anrufe.“

Auch die Sozialarbeiterin Christina Holder arbeitet schon lange beim Landratsamt. Früher war sie bei der Jugendhilfe im Sozialdienst. Seit einem Jahr kümmert sie sich im Tübinger Stadtgebiet um Flüchtlinge. Ihre Tage sind hektischer geworden und weniger planbar. Es gibt offene Sprechstunden im Landratsamt oder vor Ort in den Unterkünften. Holder und ihre Kolleginnen – ihre Abteilung wuchs in kurzer Zeit auf 17 Mitarbeiterinnen – versuchen, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, „Lotsinnen in die Gesellschaft“ zu sein.

„Die Leute sind unglaublich dankbar, wenn man ihnen hilft“, sagt Holder. Sie findet die Fülle der Begegnungen „anstrengend, aber bereichernd“. Auch die große Hilfsbereitschaft fasziniert sie: „Ich kann mich nicht erinnern, dass es je ein gesellschaftliches Problem gegeben hätte, das so viele ehrenamtliche Kräfte auf den Plan gerufen hat.“

Armin Schaupp und Christina Holder sind zwei von vielen Beschäftigten des Landratsamts, die seit Sommer unter hohem Zeitdruck daran arbeiten, die dem Kreis zugewiesenen Flüchtlinge aufzunehmen. „Die großen Unterkünfte kenne ich in- und auswendig“, sagt Schaupp. Bei ihrer Einrichtung war vor allem der Brandschutz wichtig. Kleinere schaut er sich etwa an, wenn es darum geht, wo ein zweiter Rettungsweg entstehen kann.

Armin Schaupp sieht nicht so aus, als ließe er sich leicht aus der Ruhe bringen. Doch bis Dezember war der Druck, die neu Zugewiesenen unterzubringen, riesig – das ging auch an ihm nicht spurlos vorbei. „Das war auch für mich stressig, da wacht man nachts auf“, berichtet er – und ist dankbar, dass die Handwerker mitzogen. Das größte Problem war, Sanitärcontainer zu beschaffen. Am Anfang betrug die Lieferfrist vier Wochen, dann bis zu 18 Wochen. Jetzt ist die Lage etwas entspannter: Es macht sich nicht nur bemerkbar, dass über den Winter weniger Flüchtlinge ins Land kommen, sondern auch, dass einige aus den Unterkünften des Kreises ausziehen, wenn über ihren Asylantrag entschieden ist und sie wissen, ob sie bleiben und eine Wohnung suchen können oder zurück müssen.

Dennoch: Das Landratsamt sucht weiter nach Unterkünften. Auch jetzt im März ist es wie in den Vormonaten verpflichtet, 390 Personen unterzubringen. Da zuletzt mehr Menschen aufgenommen wurden, gibt es einen Überhang. So muss der Kreis diesen Monat tatsächlich nur 286 Personen aufnehmen.

Kommen neue Flüchtlinge an, überbringen ihnen die Sozialarbeiterinnen ein Begrüßungspaket mit Kontaktdaten der Ausländerbehörde, des Tafelladens oder der Kleiderkammer, mit einem Stadtplan und vielen weiteren Informationen. Sie erklären, wo man einen Krankenschein oder das Geld für den Lebensunterhalt bekommt.

„Die Leute sind aber oft sehr müde von der Fahrt und der Registrierung“, sagt Christina Holder. Dann ist die Aufnahmefähigkeit begrenzt. Die Sozialarbeiterinnen erklären später alles erneut. Sie schauen, welche Kindergärten und Schulen die Kinder aufnehmen können: „Bisher hat’s für jeden und jede einen Platz gegeben“. Techniker und Sozialarbeiter haben voneinander gelernt: Die Baufachleute wissen jetzt, dass sie in großen Unterkünften auch Räume für Beratung und Aktivitäten mit Ehrenamtlichen einplanen müssen. gSiehe auch „Übrigens“

Behörden und Schulen bekommen mehr Arbeit

Im Grunde merkt jeder Bäcker, Einzelhändler oder Arzt, wenn mehr Leute zuziehen. Einige Branchen sind unmittelbar gefordert.

Behörden: Das Landratsamt stellt dieses Jahr wohl 105 Beschäftigte zusätzlich ein. Sozialarbeiter meist befristet, Angehörige anderer Berufsgruppen unbefristet, weil sie nur schwer zu bekommen sind – etwa Verwaltungsfachleute, Techniker oder Hausmeister. Im Regierungspräsidium entsteht ein neues Referat für die Flüchtlingsaufnahme. Städte und Gemeinden brauchen ebenfalls zusätzliche Fachleute.

Schulen und Kindergärten benötigen mehr Lehrer und Erzieher, Sprachschulen neue Dozenten, Übersetzungsdienste Dolmetscher.

Der gesamt Baubereich ist gefordert: etwa Wohnungsbaugesellschaften wie Kreisbau oder GWG, das Handwerk, Container- und Modulbaufirmen, Möbelhersteller.

Catering ist in großen Unterkünften wie der Kreissporthalle oder der Ofterdinger Turnhalle nötig, weil die Bewohner nicht selbst kochen können. Der Landkreis hat U.D.O. beauftragt.

Sicherheitsdienste sind ebenfalls in großen Unterkünften eingesetzt, etwa auch im DHL-Hochhaus in Rottenburg oder in der Tübinger Shedhalle. Der Kreis hat drei verschiedene Firmen unter Vertrag.

Zum Artikel

Erstellt:
22.03.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 19sec
zuletzt aktualisiert: 22.03.2016, 01:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter Prost Mahlzeit
Sie interessieren sich für gutes und gesundes Essen und Trinken in den Regionen Neckar-Alb und Nordschwarzwald? Sie wollen immer über regionale Gastronomie und lokale Produzenten informiert sein? Dann bestellen Sie unseren Newsletter Prost Mahlzeit!