Dynamo kann mehr als Licht

Bald marktreif: Schüler entwickeln eine Elektronik, die die Lichtmaschine als Antrieb nutzt

Was als Schüler-Forschungsprojekt begann, könnte schon bald den Markt erobern: Seit drei Jahren entwickelt der 16-jährige Adrian Keil ein System, das den Nabendynamo am Fahrrad als Antrieb nutzt. In einer Woche steht die Einheit auf dem Prüfstand – bei positivem Ausgang, könnte die Steuerelektronik in den Verkauf kommen.

27.05.2016

Von Maik Wilke

Konkurrenz fürs E-Bike: Die Jungforscher Tim Bauer (links) und Adrian Keil messen die Leistung ihres selbst entwickelten Antriebssystems, das den Dynamo als Motor nutzt.Bild: Haas

Konkurrenz fürs E-Bike: Die Jungforscher Tim Bauer (links) und Adrian Keil messen die Leistung ihres selbst entwickelten Antriebssystems, das den Dynamo als Motor nutzt.Bild: Haas

Eningen. Die grundlegende Idee klingt simpel: Jeder Generator kann auch ein Motor sein. Von diesem Ausgangspunkt machte sich Adrian Keil vom Kepler-Gymnasium in Tübingen mit zwei Klassenkameraden vor drei Jahren an sein Projekt. Sie entwickelten ein System, das einen normalen Nabendynamo fürs Fahrradlicht als Antrieb nutzt – ein günstiges und leichtes E-Bike. „Wir haben uns zuerst You-Tube-Videos angeschaut, in denen das aber nur ein bisschen geklappt hat“, erzählt der 16-jährige Keil. „In den Kommentaren und in anderen Foren im Netz stand zudem, dass das nichts bringt. Aber wir haben unser System relativ schnell zum Laufen gebracht, allerdings nur mit einer konstanten Geschwindigkeit.“

Ein Lithium-Ionen-Akku, geschickt in einer Trinkflasche in der entsprechenden Halterung unter dem Sattel versteckt, und die passende Steuerelektronik, die bei Bedarf eine Tretunterstützung zuschaltet, machen den Nabendynamo zu einem Mini-Motor mit bis zu 50 Watt. Wichtig: Am Dynamo selbst wird nichts verändert, betont Keil, jede x-beliebige Lichtmaschine kann entsprechend umfunktioniert werden.

Die Vorteile dieser Variante als „getuntes E-Bike“ sind laut Keil offensichtlich: Im Vergleich zur fünf bis sieben Kilo schweren Antriebseinheit eines Pedelecs sind der 500 Gramm Akku und die Platine der Steuerelektronik mit 50 Gramm Leichtgewichte. Die Einheit ist gerade einmal so groß wie ein Tacho und übernimmt dessen Funktionen gleich mit. Zudem untertreffen die Materialkosten von 70 bis 80 Euro und ein damit verbundener Verkaufspreis von geschätzten 200 Euro die Kosten eines neues E-Bikes um einiges. „Außerdem kann man mit unserem System jedes Fahrrad, das man schon hat, mit wenigen Handgriffen umrüsten“, sagt Keil. Der Nachteil liege dagegen in der Leistung. Gerade beim Anfahren könne das 40 bis 50 Watt starke System nicht mit der fünf Mal höheren Power der E-Bikes mithalten, weiß Keil. Dafür spüre der Radler aber danach einen angenehmen Rückenwind. „Zwischen 15 und 20 km/h ist unser System und damit die Tretunterstützung am effektivsten.“

Angefangen hat das Team um Keil im Schülerforschungszentrum (SFZ) des Carlo-Schmidt-Gymnasiums in Tübingen, mittlerweile hat das SFZ in Eningen seine eigenen Räume. Durch diesen Umzug kam auch Tim Bauer zur Fahrradforscher-Gruppe. „Ich habe gerade selbst an einem Projekt gearbeitet und wir haben uns immer wieder ausgetauscht“, erzählt der 18-Jährige, der vor seiner Ausbildung beim Institut Dr. Foerster im Industriegebiet In Laisen auf die Geschwister-Scholl-Schule in Tübingen ging. Etwa vor einem Jahr hat Bauer sein eigenes Projekt abgeschlossen – die neue Aufgabe und die Zusammenarbeit mit Keil kam für den angehenden Geräte- und Systemelektroniker gerade recht.

Zuvor wurde das Projekt lange ausgebremst: „Wir haben versucht, über eine analoge Steuerung, also ohne Mikroprozessor, das System zum Laufen zu bringen“, erklärt Keil. Weil dies aber über ein Jahr ohne Erfolg blieb, ließen die Jungentwickler den Ansatz fallen und setzten sich selbst eine Deadline: „Bis zu den damaligen Sommerferien mussten wir einen Fortschritt haben, sonst wäre das Projekt gestorben.“

Der Durchbruch gelang mit einem neuen Ansatz, bei dem 26 Magnete in der Platine immer wieder kurz ausgeschaltet werden. „Anstatt, dass wir immer antreiben, nutzen wir nur noch 70 Prozent. Wenn das System ausgeschaltet ist, messen wir die Leistung und berechnen wie die Elektronik den Dynamo ansteuern muss“, erklärt Keil. Das Ganze laufe natürlich vollautomatisch und etwa 100 Mal pro Sekunde ab.

Das eine Jahr, in dem die Jungforscher in die falsche Richtung gegangen sind, ist definitiv nicht verloren gewesen, meint Keil rückblickend. „Wir haben gelernt, wie man richtig an Forschung rangeht und verbringen seither deutlich mehr Zeit am Rechner.“ Am Anfang hätten die Jungforscher dagegen einfach alles ausprobiert. „Aber weil wir in unserem Laborbuch nicht richtig protokolliert haben, haben wir nie verstanden, warum etwas nicht geklappt hat.“

Dass sich das Umdenken gelohnt hat, zeigte sich spätestens bei der internationale Fachmesse für Ideen, Erfindungen und Neuheiten (iENA) in Nürnberg im vergangenen Oktober. Dort bekam der Kepi-Schüler Keil nicht nur die Goldmedaille verliehen, sondern knüpfte wichtige Kontakte zu Investoren und Produzenten. So steht das System um die umfunktionierte Lichtmaschine schon nächste Woche auf dem Prüfstand: Sollte das Dynamo-Antriebssystem bei Testfahrten mit einer hiesigen Firma für Aufrüstsätze funktionieren, könnte die Steuerelektronik der Jungforscher bald auf dem Markt landen. Dann springt eine Beteiligung am Umsatz heraus, das aufregende Projekt ist allerdings ebenfalls beendet.

Für Bauer geht es danach natürlich mit der Lehre weiter, Keil möchte nach seinem Abitur im nächsten Sommer Elektrotechnologie in Karlsruhe studieren. „So ein Forschungsprojekt sieht im Lebenslauf immer gut aus“, weiß Keil aber schon jetzt im Hinblick auf die spätere Jobsuche. „Im Studium wird viel Theorie unterrichtet. Da ist es klasse, wenn man diese praktische Erfahrung schon vorher hat.“

Erst seit April in der Eninger Ideenschmiede

Das Schüler-Forschungszentrum (SZF) in der Eninger Mühlstraße 5 wurde im April eingeweiht. Auf 500 Quadratmetern können junge Forscher aller weiterführenden Klassen aus den drei Landkreisen Tübingen, Reutlingen und Zollernalb in der Nachwuchsschmiede ihren Projekten nachgehen. Dafür stehen zwei Physiksäle, ein Raum für Robotik und bald auch eine Bibliothek sowie ein Chemielabor zur Verfügung. Die Ideenschmiede in Eningen ist der achte Standort der Schülerforschungszentren in Südwürttemberg. Bei der Einweihung war auch Regierungspräsident Jörg Schmidt vor Ort.

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Erstellt:
27.05.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 40sec
zuletzt aktualisiert: 27.05.2016, 01:00 Uhr

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