Tütenpfand und Beutelschau

Bald kosten Plastiktüten / In Tübingen hält man aber Alternativen bereit

Plastiktüten, wo man hinschaut. Kaum eine Ware geht ohne, als müsste jedes Ding ein extra Kleid haben. Von April an soll das anders werden, jedenfalls etwas anders. Welche Angebote gibt es für Händler und für Kunden in Tübingen? Das TAGBLATT schaute sich um.

28.03.2016

Von Ulla Steuernagel

Hier macht sich die Plastiktüte zwar schön, aber, wenn man bedenkt, wie kurz sie immer nur ausgeht, dann müsste man sofort auf sie verzichten. Bild: Faden

Hier macht sich die Plastiktüte zwar schön, aber, wenn man bedenkt, wie kurz sie immer nur ausgeht, dann müsste man sofort auf sie verzichten. Bild: Faden

Tübingen. Die Buchhandlung Osiander hat sich etwas Neues ausgedacht. Das Modell heißt: Tütenpfand oder Tauschbeutel, und es soll ein Mittel gegen die wahnsinnigen Mengen an Plastiktüten sein, die jeden Tag in Umlauf geraten. Pro Jahr gab die Buchhandlung in allen ihren Filialen zusammen rund 500 000 Tüten aus. Das muss anders werden, dachte man sich im Hause Riethmüller. Vom 1. April an werden die Plastiktüten hier 20 Cent kosten und damit die Kunden zum Verzicht mahnen. „Ziel ist“, so Christian Riethmüller, „die Reduzierung des Plastiktütenverbrauchs um 80 Prozent.“ Außerdem sollen die Tüten nun aus recycelten PET-Material hergestellt werden.

Müllbeutel in Plastik

verpackt

In drei Monaten will Osiander dann Tauschbeutel offerieren. Für zwei Euro gibt es eine Tasche aus „hochwertigem und ebenfalls umweltfreundlichem Material“, die zurückgegeben oder gegen eine neue eingetauscht werden kann. Riethmüller erwartet keine großen Rückläufe, „sie werden vermutlich weiterbenutzt“. Taschen, die noch okay sind, können auch an den nächsten Kunden weitergereicht werden. Die Einnahmen aus dem Tütenverkauf wollen die Buchhändler spenden.

Apotheken unterliegen nicht der freiwilligen Selbstverpflichtung, die der Einzelhändlerverband (HDE) mit dem Umweltministerium einging. Sie haben ihren eigenen Verband, der nun ebenfalls eine Initiative gestartet hat. Rolf Flieg von der „Adler“-Apotheke in Lustnau bietet aber schon eine ganze Weile das „Tütle“ an, eine besonders reißfeste Papiertüte. In Apotheken werden Tüten-Angebote oft aus Diskretionsgründen gerne angenommen. Dennoch hält Flieg seine meist älteren Kunden für sehr umweltbewusst: „Da haben viele einen Beutel dabei.“ Außerdem sind die Medikamente meist handlich und gut zu verstauen.

Das „Tütle“ wird in Deutschland hergestellt und in Dettenhausen vertrieben. Daniel Birkhofer beliefert schon einige Tübinger Händler mit seiner Erfindung, die auch für Biomüll geeignet ist und selbst im Regen schwere Einkäufe hält, ohne zu zerreißen. „Sie ist nicht ganz wasserdicht“, sagt Birkhofer, aber durch ihre Harzbeschichtung überaus feuchtigkeitsresistent.

Das Tütle ist nicht zu verwechseln mit kompostierbaren Plastiktüten, die durch ihre extrem lange Verrottungsdauer in Verruf geraten sind und als Schnipsel den Kompost verunreinigen. Betriebswirt Birkhofer entwickelte seine „Zufallsidee“, als er an der Supermarktkasse eine Frau beobachtete, wie sie nach dem Einkauf ihre Müllbeutel in eine Plastiktüte steckte. Das erschien ihm besonders absurd. Sein „Tütle“ ist nicht nur als Einkaufstasche gedacht, es soll auch Behältnis für Biomüll sein. Besonders wichtig für die Ökobilanz ist die Herstellung dieser Papiertüte. Sie ist zu hundert Prozent aus recyceltem Papier und unterscheidet sich damit von den üblichen braunen Papiertüten, die zwar öko aussehen, aber bestenfalls zur Hälfte aus Altpapier sind. „Papier lässt sich zwar sieben bis acht Mal recyclen“, so Birkhofer, „aber die Fasern werden dabei immer kürzer.“ Damit büßen sie immer mehr Materialfestigkeit ein.

Mit dem „Tütle“ ist auch eine „Baumsparkarte“ kombiniert: Pro Tausend verkaufte Tüten pflanzt die Organisation „Plant für Planet“ in Mexiko einen Baum.

Für die freiwillige Plastiktütenvereinbarung hat Birkhofer nicht viel übrig: „Das ist aus unserer Sicht der größte Witz.“ Eine Zwangsabgabe für denjenigen, der die Tüten in den Umlauf bringt, hielte er für besser. Sie nähme den Händlern das Interesse, Tüten in Umlauf zu bringen, so jedoch könnten sie sogar noch daran verdienen.

Ein gefühlter

Tag Urlaub in Tübingen

Der Tübinger Handel- und Gewerbeverein, so Geschäftsstellenleiter Julian Spohn, bringt bald einen „Jute-Shopper“ mit der Aufschrift „Einkaufen in Tübingen ein gefühlter Tag Urlaub“ auf den Markt. Zwölf Händler haben sie schon bestellt und „die Nachfrage ist deutlich höher“, so Spohn. 1000 sind erst einmal in Auftrag gegeben, man werde wohl bald die zweite Charge anfertigen lassen. Sie werden in Indien hergestellt, aber, versichert Spohn, nach strengsten Richtlinien. Ähnlich wie Holzgerlingen setzt sich der HGV im „Bündnis müllarmes Tübingen“ auch für das Ziel einer plastikfreien Stadt ein.

Tübingens Neubürger können sich demnächst schon darauf eingrooven, das Begrüßungspaket wird dann nämlich in einem Tütle stecken.

Bald kosten Plastiktüten / In Tübingen hält man aber Alternativen bereit

EU-Richtlinie zu Plastiktüten

Im April 2015 verabschiedete das Europa-Parlament eine Richtlinie, die den Verbrauch von Plastiktüten eindämmen soll. Bis zum Jahr 2025 ist angestrebt, den Pro-Kopf-Tütenverbrauch auf 40 im Jahr zu reduzieren, das ist nur noch ein Fünftel des bisherigen Durchschnittsverbrauchs. Wie sie das Ziel erreichen, bleibt den einzelnen Ländern überlassen. Es können Gebühren erhoben werden, ein Pfand verlangt oder Plastiktüten verboten werden. Dicke Plastiktüten, die mehrfach verwendet werden können, sind von der Verordnung ausgenommen. Auch die dünnen Obst- und Gemüsetüten bleiben kostenlos. Das Argument: Sonst würden noch umweltschädlichere Verpackungen verkauft. Der expansiv Müll produzierende Online-Handel bleibt ebenfalls verschont.

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Erstellt:
28.03.2016, 17:34 Uhr
Aktualisiert:
28.03.2016, 18:05 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 18sec
zuletzt aktualisiert: 28.03.2016, 18:05 Uhr

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