Elektromobilität · Straßenparker haben’s schwer

Arbeitskreis kümmert sich jetzt um Infrastruktur für E-Autos · Ladestationen kommen punktuell hinzu

Nur sechs öffentliche Ladestellen für Elektro-Autos gibt es derzeit in Tübingen. Das mag für die paar Akku-Mobile ausreichen. Denn derzeit fahren laut Landratsamt im gesamten Kreis Tübingen nur 157 Autofahrer elektrisch, in der Stadt Tübingen sind es gerade mal 50 (Stand: 22. März).

09.05.2017

Von Manfred Hantke

Das Pilotprojekt in Leipzig. Die von der Leipziger Hochschule entwickelte Laterne kostet 5000 Euro – mit Mast und Leuchtkopf. Maximal vier Stunden Park- und Ladezeit sind erlaubt. Für Kunden der Leipziger Stadtwerke ist dort das Laden kostenlos. Bild: Leipziger Gruppe

Das Pilotprojekt in Leipzig. Die von der Leipziger Hochschule entwickelte Laterne kostet 5000 Euro – mit Mast und Leuchtkopf. Maximal vier Stunden Park- und Ladezeit sind erlaubt. Für Kunden der Leipziger Stadtwerke ist dort das Laden kostenlos. Bild: Leipziger Gruppe

Zieht man die Firmenautos ab, bleiben knapp 100 private Akku-Fahrer im Kreis, 22 in der Stadt (bei knapp 32 000 Privatautos im Jahr 2015). Kein Grund zur Panik also, zumal die Akku-Mobilisten wohl ihre eigene Garage mit Stromanschluss haben.

Doch die Bundesregierung will bis 2020 auf die (wohl nicht realisierbare) Zahl von einer Million Batterie getriebener Autos bundesweit kommen. Was das für Tübingen bedeuten würde, hat Heiko Thomas hochgerechnet. Der Projektleiter E-Mobilität bei den Stadtwerken kam auf 977 Elektroautos (35 mal so viel wie derzeit), wenn sich die Zahl proportional zum gewünschten Trend in der Republik entwickeln würde (in Reutlingen würden dann 1280 E-Autos fahren).

Dann reichen die sechs Ladesäulen auf keinen Fall, zumal ja auch von auswärts immer mehr Stromer aufladen wollen. Um den Wandel – weg vom Verbrennungs-, hin zum Elektromotor – zu managen, hat sich vor wenigen Wochen in Tübingen ein Arbeitskreis gegründet. Er kümmert sich auch um Ladestationen für elektrisch betriebene Autos im (halb-)öffentlichen Raum. Vertreten sind Stadt und Stadtwerke, die Altenhilfe und die Gesellschaft für Wohnungs- und Gewerbebau (GWG). Einmal hat er bislang getagt. Herausgekommen sind eine ganze Reihe Ideen, aber auch „Herausforderungen“, also bislang wohl ungelöste Probleme.

Das Interesse ist da, die Anfragen werden mehr, sagen übereinstimmend Heiko Thomas und Hanno Brühl, Abteilungsleiter für Erneuerbare Energien bei den Stadtwerken, sowie Bernd Schott, Leiter der Stabsstelle Umwelt- und Klimaschutz bei der Stadt. Sie sondieren gerade mögliche Ladepunkte und planen sie bei Neubauten ein, wenn die Nachfrage kommt.

„Es braucht viele und gut durchdachte Angebote“, ist Schott überzeugt. Er will beim Thema Ladestationen perspektivisch vorgehen und sich „Zukunftsoptionen offenhalten“. Um ein Konzept erarbeiten zu lassen, hat er einen Förderantrag gestellt. Mit- und vorausgedacht werden müssen etwa Ziel- und Quellverkehr, Auto-Dichte, Art der Ladesäulen (Schnell- oder Normal-Ladung), mögliche Partner (Firmen, die ihre Parkplätze zur Verfügung stellen; Parkhäuser, in denen nachts geladen werden kann) und Industriegebiete (wo eh schon viel Strom gezogen wird). Schon konkreter vorstellen kann sich Schott Ladesäulen am Technischen Rathaus. Dort könnten Mitarbeiter, aber auch Private Autos laden. Wird die Idee spruchreif, müsste ein zusätzlicher Trafo hin. Das Technische Rathaus braucht schon viel Saft, das Stromnetz ist alt und „relativ schwach“, so Schott. Da muss nachgerüstet werden.

Vorstellbar seien auch Ladestationen auf dem Parkplatz an der Alten Weberei oder an der Paul-Horn-Halle. Für die Paul-Horn-Halle laufe ein Antrag. „Ideal“ sei, einen Shuttle-Busverkehr einzurichten. Während die Elektrofahrer in Tübingen ihren Geschäften nachgehen, kann das Auto seinen Strom tanken.

Strategisch zielen die Ideen von Schott, Brühl und Thomas in Richtung „Hot Spots“, also in die Einrichtung von in der Stadt verteilten Ladepunkten, nicht aber in die Schaffung von nach und nach nahezu flächendeckenden Lademöglichkeiten, die auch „Laternenparker“ bequem vor dem Wohnhaus nutzen könnten. Parken und Laden vor dem Haus – „das wird’s nicht überall geben“, dämpft Schott mögliche Erwartungen. Straßen- und Laternenparker müssten „Komforteinbußen“ hinnehmen und etwa vom Ladepunkt bis nach Hause laufen. Thomas und Brühl drücken das entschiedener aus: „Für Straßenparker gibt es keine Lösung.“

Strommenge ist nicht das Problem

So sind etwa für einen flächendeckenden Lade-Service die Stromnetze in so manchen Tübinger Straßen gar nicht ausgelegt. Sollten da fünf „Supercharger“ mit je 135 kW Leistungsabgabe für den Tesla hingestellt werden („normale“ Ladesäulen haben 11, Schnell-Ladesäulen 22 und 44 kW), zwingen die das Netz in der Straße womöglich in die Knie. Selbst die Realisierung von drei Ladestationen mit je 22 kW Abgabe in einer Tiefgarage „wird schwierig“, räumt Thomas ein, wenn etwa der Supermarkt allein schon 60 in der Spitze zieht. „Die Strommenge ist nicht das Problem“, so Thomas, „aber der punktuelle Bedarf von Strom.“ So müssten wohl zusätzliche Leitungen verlegt, Trafos aufgestellt werden. Aber auch die Lade-Infrastruktur „will bezahlt sein“, so Thomas. Ladestationen seien kein Geschäftsmodell, bei dem Geld verdient werde: „Wenn’s eine Goldgrube wäre, wäre alles zugepflastert.“

Nachtparker im Parkhaus

So üben sich die Tübinger E-Mobilitäts-Lenker beim Ausbau von Lade-Infrastruktur im öffentlichen Raum in Zurückhaltung. Wollen die Stadtwerke in diesem Jahr noch ein bis zwei Ladestationen schaffen, will die Stadt „erste Ladepunkte“ noch in diesem Jahr aufstellen. Ein fertiges Ladestellen-Konzept für Tübingen soll Ende 2018 stehen.

Schott, Thomas und Brühl favorisieren „intelligente Ladestationen“, bei denen zuerst das Auto mit Strom versorgt wird, dessen Ladezustand am geringsten ist. Und bei einer „intelligenten Vernetzung“ wird ein bestimmtes Gebiet für Anliegerparken und –laden geschaffen, die App sagt dem Autofahrer dann, wo eine Ladesäule frei ist. Auch an „Quartiers- und Tiefgaragenkonzepte“ (Güterbahnhof), an „Nachtparker“ im Parkhaus denken sie, ebenso an Firmen, die ihren Parkplatz nachts zum Laden freigeben, oder an das Fitness-Studio, das drinnen den Fahrer, draußen das Elektromobil wieder auflädt.

Wohl möglich, dass sich auch was „am Nutzerverhalten ändern“ wird, mutmaßt Schott, und nach der Umstellung auf Elektromobilität in einigen Jahren weniger Autos als zuvor auf den Straßen fahren und dort parken. Vielleicht gibt’s dann nicht nur das geteilte E-Auto, sondern auch den geteilten Parkplatz und die geteilte Ladesäule.

Auch mit dem Poller geht’s: Iserlohn hat das System des Berliner Start-Ups Ubitricity eingeführt. Im eigenen Ladekabel ist die gesamte Technik drin. Keine Unzahl von Karten mehr, den Strom der heimischen Stadtwerke kann der Kunde mitnehmen. Bild: Stadtwerke Iserlohn

Auch mit dem Poller geht’s: Iserlohn hat das System des Berliner Start-Ups Ubitricity eingeführt. Im eigenen Ladekabel ist die gesamte Technik drin. Keine Unzahl von Karten mehr, den Strom der heimischen Stadtwerke kann der Kunde mitnehmen. Bild: Stadtwerke Iserlohn

„Intelligenter Lichtmast“ und Lade-Poller

Berlin, München, Leipzig und das nordrhein-westfälische Iserlohn sowie die Nachbarstädte Unna und Schwerte haben Lösungen für Straßenparker entwickelt. In Leipzig laden als Pilotprojekt der Leipziger Gruppe (Stadtwerke, Verkehrsbetriebe und Wasserwerke ) vier Laternen die Akku-Autos. Entwickelt wurde die Technik an der Leipziger Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur. In Iserlohn kommt der Strom durch eigens aufgestellte Poller, weil sich Laternen bislang nicht eigneten. Einen „intelligenten Lichtmast“ hat der Stromriese EnBW auf den Markt gebracht: Er lädt die Autos, misst nebenher den Lärmpegel, den Feinstaub, dient als Notrufsäule und als WLan-Router. Ein Mast steht in Öhringen bei Heilbronn. Straßenlaternen zu Ladestationen umzubauen, ist für den Tübinger Projektleiter Bernd Schott allerdings „nicht zukunftsfähig“. Denn hier würden ganze Straßenzüge bei Dunkelheit eingeschaltet, tagsüber führten die Laternen keinen Strom. Das seien zwei unterschiedliche Systeme, „das funktioniert nicht“.

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Erstellt:
09.05.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 04sec
zuletzt aktualisiert: 09.05.2017, 01:00 Uhr

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