Hunderttausend zum Trip im Bus

Alternative Inhalte bescheren den Lichtspielhäusern momentan erstaunliche Umsätze

Wenn Blockbuster schwächeln und Arthausfilme nicht zünden, müssen Kinobetreiber noch lange nicht den Köpfe hängen lassen. Denn seit einiger Zeit haben die Lichtspielhäuser noch ein drittes Standbein, den Alternative Content.

Wenn Blockbuster schwächeln und Arthausfilme nicht zünden, müssen Kinobetreiber noch lange nicht den Köpfe hängen lassen. Denn seit einiger Zeit haben die Lichtspielhäuser noch ein drittes Standbein, den Alternative Content.

19.01.2017

Von Klaus-Peter Eichele

Alternative Inhalte bescheren den Lichtspielhäusern momentan erstaunliche Umsätze

Gemeint sind jene bewegten Bilder, die außerhalb der herkömmlichen Produktionsstrukturen entstanden sind oder deren Aufführung als exklusive Events aufbereitet werden. Das ziemlich breite Spektrum reicht von der Liveübertragung von Sport- oder Kulturereignissen bis zur von Amateuren fabrizierten Reisedoku.

Besonders letztere erfreut sich neuerdings einer erstaunlichen Beliebtheit. Vor ein paar Wochen musste der Rottenburger Kinobetreiber Elmar Bux Dutzende Leute nach Hause schicken, die zur Premiere des Films „Weit“ gekommen waren, aber keinen Platz mehr im Waldhorn fanden. In dem ohne jede institutionelle Stütze produzierten Streifen dokumentieren zwei junge Freiburger im Stil eines Videotagebuchs ihre Reise um die Welt, deren Besonderheit darin besteht, dass sie möglichst kein Geld ausgeben wollten.

Der Erfolg von „Weit“ wird noch in den Schatten gestellt vom Run auf „Expedition Happiness“. Für diese Doku haben sich zwei deutsche Hipster dabei gefilmt, wie sie in einem umgebauten Schulbus die amerikanische Westküste entlang zuckeln. Sagenhafte 100000 Zuschauer haben diesen Film in den ersten 14 Tagen seiner Kinoexistenz gesehen, im Tübinger Kino Museum geht er jetzt in seine dritte Woche. Bei aller Sympathie fürs Barfuß-Filmemachen, stellt dieser Triumphzug den traditionellen Cineasten vor ein Rätsel. Ein Trip von Alaska nach Mexiko ist vielleicht nichts Alltägliches, aber gewiss auch kein Ereignis, das nach seiner Verewigung auf der Kinoleinwand schreit – zumal die beiden Selbst-Darsteller nicht das geringste Interesse an den sozialen oder politischen Verhältnissen in ihrem Gastland zeigen.

Offenbar ist derlei selbstbezüglicher Exhibitionismus ein Zeichen der Zeit, denn auch bei Taryn Brumfitt war er der Ausgangspunkt für einen Film. Die Australierin stellte ein Foto auf Facebook, das ihren Körper vor und nach der Schwangerschaft zeigt. Die Resonanz war dermaßen überwältigend (100 Millionen Menschen aus aller Welt sollen das Doppelbild angeklickt haben), dass Brumfitt sich
entschloss, die Thematik – die Diktatur des Schlankheitsideals
und das Unbehagen vieler Frauen an ihrem angeblich nicht perfekten Körper – dokumentarfilmisch zu vertiefen.

Alternativ an „Embrace – Du bist schön“ ist nicht nur seine Finanzierung über eine Crowdfunding-Kampagne, sondern auch die clevere Vermarktung durch den deutschen Verleih. Ursprünglich sollte der Film nur an einem einzigen Tag – dem Donnerstag voriger Woche – in den Kinos laufen, um sodann auf DVD zu erscheinen.

Der Ruch der Exklusivität lockte tatsächlich 50000 Zuschauer in die 180 Lichtspielhäuser, die sich auf das Experiment eingelassen hatten. Der phänomenale Erfolg hat den Verleih nun bewogen, den alternativen zum konventionellen Content umzumodeln und den Film ganz regulär auf die Leinwände zu bringen. Was den Vorteil hat, dass die Doku wider den Schlankheitswahn von heute an auch im Tübinger Kino Museum zu sehen ist.

Derweil steht das nächste Alternativevent schon vor der Tür. Ausschließlich am nächsten Mittwoch gibt es in vielen Kinos eine Wiederaufführung des Musical-Klassikers „Grease“ – in einer Version zum Mitsingen.Klaus-Peter Eichele

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Erstellt:
19.01.2017, 00:32 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 27sec
zuletzt aktualisiert: 19.01.2017, 00:32 Uhr

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