AfD träumt von 20 Prozent

200 Leute wollten den Partei-Vize Alexander Gauland im Spitalhofsaal hören

Ein massiver Polizeieinsatz hat am Freitagabend die Wahlveranstaltung der rechtspopulistischen „Alternative für Deutschland“ im Spitalhofsaal vor Gegendemonstranten geschützt. Drinnen machte Vize-Parteivorsitzender Alexander Gauland Stimmung gegen Flüchtlinge.

01.02.2016

Von Matthias Reichert

Hetzt für seine Partei von Termin zu Termin: AfD-Vize Alexander Gauland im Reutlinger Spitalhofsaal. Bild: Haas

Hetzt für seine Partei von Termin zu Termin: AfD-Vize Alexander Gauland im Reutlinger Spitalhofsaal. Bild: Haas

Reutlingen. Polizisten mit Helmen und Schutzschilden stehen am Freitagabend vor dem Spitalhof etwa 50 Antifa-Demonstranten gegenüber, die – wie schon am Samstag berichtet – versuchen, die AfD-Kundgebung im Saal zu blockieren. Die Stimmung ist aufgeheizt. Polizisten und auch Demonstranten setzen Pfefferspray ein. Ein Beamter erleidet eine Platzwunde am Kopf. Die Polizei erteilt mehrere Platzverweise.

Ein Mann aus dem linken Spektrum wird laut Polizeibericht festgenommen, da bei ihm ein Tierabwehrspray gefunden wird. Er muss sich nun wegen Verstoßes gegen das Versammlungsrecht verantworten. Die Ermittlungen wegen weiterer Verstöße dauern an, heißt es bei der Polizei, die mehr als 130 Beamte eingesetzt hat.

Trotz der Blockade ist der Spitalhofsaal schon kurz nach 19 Uhr fast voll. Rund 200 Leute besuchen die Veranstaltung, die eigentlich ein Neujahrsempfang sein soll. Am Metzgerstraßen-Eingang stehen sich etwa 40 Gegendemonstranten und Polizei gegenüber. Es kommt zu Provokationen und Pöbeleien zwischen Demonstranten und Veranstaltungsbesuchern. Antifa-Leute blockieren das Tor mit einem Fahrradschloss. Besucher des Tonne-Monospektakels im Spitalhofkeller werden durch den Notausgang hineingelotst. Kinder müssen nach dem Unterricht länger in der Musikschule verharren.

Vor dem Spitalhofsaal kontrollieren stämmige Security-Leute der AfD die Taschen und lassen sich von Journalisten die Presseausweise zeigen. Während vor der Tür Trillerpfeifen laut werden, schüttelt der Reutlinger Landtags-Kandidat Wolfram Hirt Besucherhände. Die Antifa-Aktion ist Wasser auf den Mühlen der AfD. Als das TAGBLATT Hirt auf die Blockade anspricht, sagt er höhnisch: „So viel zum Titel der Demonstration auf dem Marktplatz – für Vielfalt und Toleranz.“

Immer noch strömen Leute in den Saal. „Neun lassen wir noch rein“, sagt ein Security-Mann. Im Saal sitzen Ältere und Jüngere. Ganz normale Leute? Manche behaupten, sie seien nur aus Neugier hier. Die Redner hingegen sprechen die Zuhörer als Parteigänger an und geben in ihren Ansprachen Argumentationshilfen gegenüber Gegnern. Hirt berichtet von Beschimpfungen beim Wahlkampf in den Fußgängerzonen und von Anfeindungen gegen Mitglieder am Arbeitsplatz.

Aus dem Publikum fragt ein Mann: „Wenn wir unser Deutschland aufgeben, was haben wir dann?“ Eine Frau schimpft über Flüchtlinge: „Dann kriegen sie noch Handgeld und müssen auch noch Leute überfallen.“ Draußen skandieren die demonstrierende Antifa-Leute lautstark: „Nazis raus!“

Hirt sagt in seiner Begrüßung: „Das Thema Flüchtlinge ist nicht auf unserem Mist gewachsen, sondern die Leute erwarten, dass wir darüber reden. Sie erwarten die Lösungen nicht von den Altparteien, sondern von uns.“ Gauland verteidigt seinen auf einer Berliner Demonstration geäußerten Vergleich der Flüchtlinge mit den Barbaren, die den Untergang Roms herbeigeführt hätten: „Die Barbaren sind die Fremden.“ Die negative Bedeutung des Wortes habe sich erst später entwickelt, sagt er sinngemäß.

Der AfD-Fraktionschef im Brandenburger Landtag macht in einem melancholischen Tonfall Stimmung gegen Flüchtlinge. Er spricht von „ganzen Völkerschaften, die Besitz von unserer Gesellschaft ergreifen“. Die AfD brauche im Moment nicht mehr zu tun, als immer auf die Übergriffe von Köln zu verweisen. Ohne seine Partei hätte es den neuen Asylkompromiss der Großen Koalition nicht gegeben: „Die Bundesregierung treibt eine namenlose Angst vor unserem Wahlerfolg in Baden-Württemberg“, sagt der 74-Jährige.

Der Reutlinger Kandidat Wolfram Hirt hat sich bei der Begrüßung schon mal selbst die Frage nach Prognosen für die Landtagswahl gestellt: „Was soll ich jetzt sagen? 15 Prozent – und dann werden es 20.“ Gauland sagt, die AfD treibe als Opposition die Regierenden an: „Ich will überhaupt nicht mit den Leuten regieren.“ Umgekehrt wird freilich auch ein Schuh daraus.

gSiehe „Mit Engelszungen“

Gauland und die Pressefreiheit

Eine Pressefotografin kommt vor Beginn der Veranstaltung aufgelöst in den Saal. Sie weint. „Die haben an mir gezerrt“, sagt sie – nicht die AfD-Leute, sondern die Gegendemonstranten. Partei-Vize Alexander Gauland reagiert in seiner Rede auf den Vorfall und erklärt: „Gewalt ist immer falsch.“ In manchen ostdeutschen Städten müssten Hundertschaften der Polizei die AfD-Veranstaltungen schützen. Gauland denkt offenbar, die eigenen Leute hätten die Fotografin bedrängt. Er sagt jedenfalls ausdrücklich: „Lassen Sie nie Ihren Frust an Journalisten aus. Wir müssen die Medien achten, weil wir sie brauchen.“ Aber er sagt nicht: um die Pressefreiheit zu schützen.

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Erstellt:
01.02.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 05sec
zuletzt aktualisiert: 01.02.2016, 01:00 Uhr

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