Miese Anmache im Netz

Wenn Männer online Minderjährige belästigen

Warum lassen sich manche Mädchen auf zwielichtige Kontakte im Internet ein? Eine Pädagogin und ein Psychologe erklären das Phänomen Cybergrooming.

05.07.2016

Von MADELEINE WEGNER

Immer wieder werden insbesondere junge Mädchen über Internet-Portale von älteren Männern kontaktiert. Unter anderem deshalb muss sich ein Reutlinger nun vor Gericht verantworten. Foto: Mädchen mit Tablet. © Iordache Magdalena/Shotshop.com

Immer wieder werden insbesondere junge Mädchen über Internet-Portale von älteren Männern kontaktiert. Unter anderem deshalb muss sich ein Reutlinger nun vor Gericht verantworten. Foto: Mädchen mit Tablet. © Iordache Magdalena/Shotshop.com

Tübingen/Reutlingen. Ein 45-jähriger Mann aus Reutlingen muss sich derzeit vor dem Landgericht Tübingen verantworten, weil er Minderjährige gezielt übers Internet angeschrieben haben soll, um die Gespräche auf sexuelle Interessen zu lenken und pornografisches Material zu verschicken.

Cybergrooming nennt sich dieses Phänomen. Doch derartige Kontakte und Begegnungen im Internet entstehen selten spontan. Die potentiellen Täter versuchen vielmehr, zunächst ein Vertrauensverhältnis zum Kind oder Jugendlichen aufzubauen. „Oft gibt er sich als der gute, ältere, vertraute Freund aus oder aber als gleichaltrig“, sagt die Diplom-Pädagogin Gudrun Schäfer von der Beratungsstelle Pro Familia in Tübingen.

Der Angeklagte soll sich von Herbst 2013 bis Dezember 2015 gegenüber 13- bis 16-jährigen Mädchen als Sportlehrer, als wohlhabender Steuerberater oder auch als 16-Jähriger ausgegeben haben. Dabei soll der Mann die Mädchen zunächst gezielt über ein Online-Portal angeschrieben haben, um dann Telefonnummern auszutauschen und per Smartphone zu kommunizieren. Die Mädchen sagen derzeit vor Gericht aus, daher sind die Verhandlungen vorerst nicht öffentlich. Mit manchen der Mädchen habe er sich getroffen, unter anderem wird ihm in drei Fällen sexueller Missbrauch von Jugendlichen in Tateinheit mit Vergewaltigung vorgeworfen.

Bei der Kontaktaufnahme seien potentielle Täter nicht immer auf ein persönliches Treffen aus, oft gehe es ihnen ausschließlich um den sexuellen Online-Kontakt: „Dass es tatsächlich zu Treffen kommt, ist selten“, sagt Schäfer.

Doch was bringt junge Menschen dazu, auf solche Kontakte einzugehen? Suche nach Verständnis, Bestätigung, sich selbst als besonders fühlen und sexuelle Neugier: „Es können ganz unterschiedliche Motivationen eine Rolle spielen“, sagt der Psychologe Clemens Zeller.

Aus der Perspektive der Jugendlichen sei das Internet dabei nicht nur als Gefahr, sondern auch als Schutz zu verstehen: „Das Internet kann ihnen ein Gefühl geben, sie könnten solche Kontakte mit einem Sicherheitsabstand eingehen und sie unter Kontrolle behalten“, sagt Zeller. Hinzu kommt: „Jugendliche suchen Erfahrungen, die außerhalb der Grenzen liegen. Es kann ein Reiz darin liegen, diese Grenzen zu überschreiten und ein Risiko einzugehen – in der Hoffnung oder in dem Glauben, dass man es doch noch in der Hand hat.“ Schäfer betont: „Rechtlich ist die Situation klar: Die Verantwortung liegt beim Erwachsenen.“

Im Fall des angeklagten Reutlingers, lief der Kontakt zunächst über Kwick, ein soziales Netzwerk, das vor allem in Süddeutschland beliebt ist. Die Mädchen, die er belästigt und missbraucht haben soll, stammen aus ganz Baden-Württemberg. Unter Jugendlichen sei bekannt, dass dort auch ältere Männer unterwegs sind, die auf sexuelle (Online-)Kontakte mit Minderjährigen aus sind. „Die Jugendlichen besprechen das auch untereinander“, sagt Zeller.

Das Landeskriminalamt (LKA) beobachtet solche Internet-Portale. Beamte erstellen dazu unter anderem Profile, in denen sie sich als minderjährige Mädchen ausgeben. „Dann geht es sehr schnell, dass sich Interessenten melden“, sagt ein Sprecher des LKA. Mehr als 100 Ermittlungsverfahren hätten die Beamten in den vergangenen zwei Jahren initiiert und die Daten an die Polizei weitergeleitet – vorausgesetzt, die Provider stellen diese zur Verfügung. Insbesondere Portale ohne Moderation und ohne Identitätsprüfung seien laut LKA für potentielle Täter interessant.

Bei einer 13-Jährigen sei es noch vorstellbar, dass sie unbedarft mit solchen Online-Kontakten umgeht, sagt Zeller: „Aber oftmals ist es nicht die Unwissenheit, dass sich Mädchen darauf einlassen.“ Mangelnde Medienkompetenz ist nur ein Baustein von vielen. Deshalb sei Aufklärungsarbeit zwar wichtig, aber damit allein sei es nicht getan.

Empfänglich für solche Kontakte seien oft Mädchen, die kein tragendes soziales Netz, keinen festen Freundeskreis haben. Dann könne der Kontakt zu einem älteren Mann, der sich als Vorbild, Idol, als der Reiche oder der Ratgeber ausgibt, besonders reizvoll erscheinen. Um das zu verhindern, seien auch die Eltern gefragt, sagt Schäfer. Sie sollten wissen, mit wem sich die Kinder treffen und deren Freundeskreis kennen: „Eltern sollten mit ihren Kindern reden und sich einmischen, auch wenn das ungemütlich ist.“ Die Diplom-Pädagogin rät Eltern auch, Interesse dafür zu zeigen, wo ihre Kinder im Internet unterwegs sind. Dabei gehe es auch nicht zu weit, zu fragen, wie und unter welchem Namen sich die Tochter in Chats, Foren und sozialen Netzwerken präsentiert und welche Privatsphäre-Einstellungen sie nutzt. „Eltern verschließen zu oft die Augen und halten sich aus den Angelegenheiten ihrer Kinder heraus“, sagt Schäfer.

Das Thema Sexualität sollte dabei nicht ausgeschlossen werden. „Viele Eltern meinen fälschlicherweise, sie müssten sich da heraushalten“, sagt Zeller. Der Psychologe rät: „Dran bleiben, auch wenn sich die Kinder darüber beschweren.“

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Erstellt:
05.07.2016, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 16sec
zuletzt aktualisiert: 05.07.2016, 06:00 Uhr

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