Palmers Signierstunde: „Er verschreckt die eigenen Leute“

Von Käufern seines Buches bekam Tübingens OB am Samstag viel Zuspruch – es gab aber auch Protest

Seine Thesen zur Flüchtlingspolitik sind umstritten. Doch aktuell steht das Buch von Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer auf dem Spitzenplatz der „Spiegel“-Bestsellerliste. Am Samstagvormittag signierte der 45-jährige Lokalpolitiker den Band „Wir können nicht allen helfen – Ein Grüner über Integration und die Grenzen der Belastbarkeit“ in der Osiander-Filiale in der Tübinger Metzgergasse.

21.08.2017

Von Dorothee Hermann

Oberbürgermeister Boris Palmer (vorne links) am Samstagvormittag in der Buchhandlung Osiander (Metzgergasse).Bild: Faden

Oberbürgermeister Boris Palmer (vorne links) am Samstagvormittag in der Buchhandlung Osiander (Metzgergasse).Bild: Faden

Die Widmung durften die Käufer sich aussuchen. „Von meinem Lieblings-Grünen“, wünschte sich eine 64-Jährige aus Kirchentellinsfurt, die anonym bleiben möchte. Sie sei auch grün, „aber auch Pragmatikerin“. Mit Palmer verbinde sie „gesunden Menschenverstand über Parteien hinweg“. Das Buch sei für eine Freundin, ebenfalls bei den Grünen. 2015 sei „eine Überforderung“ gewesen, meinte die Frau. Sie sei dafür, Flüchtlingspolitik pragmatisch anzugehen, „nicht rosa anstreichen und auch nicht den Rechten Futter geben“.

Zirka 80 Exemplare gingen während der Signierstunde über den Ladentisch, so Osiander-Seniorchef Hermann-Arndt Riethmüller: „Das Signieren ist für uns kein politischer Akt. Sondern eine Marketingaktion, die wir durchführen, wenn ein Autor in unserer Stadt mit einem Buch Erfolg hat.“ So habe man es schon mit Christiane Nüsslein-Volhard, Inge Jens oder Walter Jens gehalten. Riethmüller sagte, am Samstagmorgen seien alle Fenster der Osiander-Filiale mit Anti-Palmer-Stickern beklebt gewesen. „Die Herrschaften waren sehr nett, der Klebstoff ließ sich leicht abmachen“, sagte er. Doch Riethmüller bedauerte „die Aktion gegen ein Buch“. Damit werde das inhaltliche Argument verkürzt auf die persönliche Verunglimpfung.

Auch der langjährige Tübinger CDU-Stadtrat Albrecht Kühn war gekommen. „Das Thema treibt die Leute in ganz Deutschland um“, sagte der Mediziner. „Mehr als es die Politiker wahrhaben wollen.“

Ein weiterer Käufer riet dem Oberbürgermeister: „Schauen Sie, dass Sie Einfluss behalten. Ohne Einfluss kann man keine gute Politik machen“, sagte der Verwaltungswirt Thilo Müller. Er komme aus dem gleichen Dorf wie Boris Palmer, aus Remshalden im Remstal, und habe schon Helmut Palmer, den Vater des Oberbürgermeisters, an dessen Stand auf dem Wochenmarkt bewundert. Die Politik von Boris Palmer findet Müller gut, weshalb er nun auch das Buch lesen möchte. Doch der Vater zweier Söhne warnte: „Wenn Palmer sich weiter in seiner Partei isoliert, wird es für ihn schwierig.“ Dessen Wortmeldungen seien manchmal zu zugespitzt: „Man verschreckt dann doch die eigenen Leute sehr, die sich eher am linken Spektrum orientieren und in der Flüchtlingspolitik viel offener sind.“

Auf einem Transparent gegenüber dem Eingang zur Buchhandlung hieß es: „Lebensmittel-Skandal: Grüne Kartoffeln töten Menschen! – Gegen grüne Abschiebepolitik“. Vier Aktivist(inn)en standen dabei. „Boris Palmer ist ein Eisbrecher nach rechts“, sagte einer von ihnen, der seinen Namen nicht nennen mochte. Er sei „fassungslos, dass das hier veranstaltet werden kann, dass Osiander sich als Veranstaltungsort hergibt und die Mitte das nicht problematisiert“. Einige ältere Buchkunden rätselten, was der „Kartoffel“-Slogan bedeuten solle. Nicht so Oberbürgermeister Palmer. Er wertete die Formulierung als „Beleidigung“: Er wisse genau, was „Kartoffel“ im Diskurs der Antifa heiße. „Habt ihr eigentlich das Bedürfnis, über irgendwas zu reden?“, fügte Palmer hinzu. Die Gruppe wolle kein Gesicht zeigen, kein Argument äußern, sondern nur diffamieren. „Euer Verhalten weist euch als Anti-Demokraten aus“, so Palmer. Eine Protestierende konterte: „Mit Ihnen wollen wir nicht diskutieren, weil Sie nicht diskutieren können.“

Indessen sagte Landes-Integrationsminister Manfred Lucha (ebenfalls Grüner) der Deutschen Presse-Agentur am gestrigen Sonntag: „Das Buch von Herrn Palmer muss man nicht kaufen. Man braucht nur seine Facebook-Einträge der vergangenen eineinhalb Jahre lesen.“ Palmers Blickwinkel sei sehr eng. In der Integrations- und Migrationspolitik vertrete er in der Regel solitäre Meinungen.

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Erstellt:
21.08.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 38sec
zuletzt aktualisiert: 21.08.2017, 01:00 Uhr

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