Streit um Arzttermin

Schwurgericht: 71-Jähriger wegen Tötung seiner Ehefrau angeklagt

Wegen Totschlags muss sich seit gestern ein 71-jähriger Textilkaufmann vor dem Schwurgericht Tübingen verantworten. Der Mann soll in der Nacht auf den 9. März 2016 im gemeinsamen Haus in Kirchentellinsfurt seine 69-jährige Ehefrau im Streit getötet haben.

17.09.2016

Von DOROTHEE HERMANN

Symbolbild: Sommer

Symbolbild: Sommer

Tübingen/Kirchentellinsfurt. Das Paar war fast 50 Jahre verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. In der Tatnacht soll es Streit zwischen den Eheleuten gegeben haben: Die Ehefrau hatte laut Anklageschrift einen Arzttermin für den damals schwer depressiven Angeklagten vereinbart. Doch der Mann fürchtete, in eine Psychiatrische Klinik eingewiesen zu werden. Er soll seine Frau geschlagen und gewürgt haben. Todesursache waren schließlich Rippenbrüche und Einblutungen im Bereich der Herzmuskulatur, wie sie durch Knien auf dem Brustkorb hervorgerufen werden können, sagte Staatsanwältin Bettina Winckler.

Nach der Tat versuchte der Angeklagte, sich das Leben zu nehmen. Der Mann soll zur Tatzeit an einer so massiven Depression gelitten haben, dass seine Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert war. Seit 1983 hatte er immer wieder depressive Phasen, besonders im Frühjahr und im Herbst. Er war damals sechs Monate und 1995 noch einmal eineinhalb Jahre in ambulanter fachärztlicher Behandlung.

Eine stationäre Therapie hätte er als Stigma empfunden, das er kaum mit seinem Selbstbild als unermüdlicher Schaffer hätte vereinbaren können. Gleichzeitig fürchtete der Mann die ganze Zeit, dasss ihn „das wieder einholt; das ist wie Nervenkrebs“, sagte er.

Seit 2015 hatten sich seine Beschwerden wieder verstärkt, begleitet von Suizidgedanken, die er auch auf seine Ehefrau bezog. „Ich wollte meine Frau nicht allein lassen“, sagte der Angeklagte gestern. „Mit Sicherheit“ habe er solche Gedanken auch gegenüber seiner Frau geäußert, sagte er auf eine Frage des Vorsitzenden Richters Christoph Sandberger. „Wir hatten keine Geheimnisse.“

Obwohl er seine Firma schon Jahre zuvor an den Sohn übertragen hatte, fühlte sich der Angeklagte dem Betrieb noch so verpflichtet, dass er dort täglich nach dem Rechten sah. Als er selbst noch Geschäftsführer war, arbeitete er gewissermaßen Tag und Nacht. Beispielsweise fuhr er in der Dunkelheit zu einem wichtigen Lieferanten in Italien, weil es nachts schneller ging – ohne Rücksicht auf die eigene Erschöpfung.

Schon sein Vater habe „gearbeitet bis zum Schluss“, sagte der 71-Jährige. Die Mutter hingegen sei „ein bisschen depressiv veranlagt“ gewesen. Seine Großmutter habe einmal „ins Wasser gehen“ wollen. „Sie hat Gründe dafür gehabt.“

Der Mann ist in Kirchentellinsfurt aufgewachsen und kannte seine spätere Frau schon aus der Schule. Er hatte sich nach der Mittleren Reife und einer kaufmännischen Lehre zum Textilkaufmann mit florierendem eigenem Betrieb hochgearbeitet. Auch seine Frau war jahrelang dort tätig.

„Wir hatten uns. Wir brauchten keine Vereine“, sagte der Angeklagte über seine Ehe. Er habe immer noch Herzklopfen gehabt, wenn er seine Frau für einen Abend nach Reutlingen zum Essen einlud.

Am Abend vor der Tat soll das Paar noch gemeinsam die Champions League im Fernsehen gesehen haben. Schließlich sagte der Angeklagte: Er komme nicht mehr klar, das Beste sei, sich gemeinsam umzubringen. Darauf habe seine Ehefrau entgegnet, das mache sie nie, und er mache es bitte auch nicht.

Die beiden erwachsenen Kinder des Paares haben Nebenklage eingereicht. Der Prozess wird am Freitag, 23. September, fortgesetzt.

Info Vorsitzender Richter: Christoph Sandberger; Beisitzer: Thomas Geiger, Johannes Munding. Schöffen: Gaby Bruder, Manfred Knöll. Staatsanwältin: Bettina Winckler. Nebenklage: Andrea Sautter. Verteidiger: Steffen Kazmaier, Thomas Kommer. Gutachter: Dr. Stephan Bork, Dr. Iris Schimmel.

Die Rettungskräfte konnten nichts mehr tun

Die Kriminalpolizei wurde auf den Fall aufmerksam, weil der Sohn der getöteten 69-Jährigen seine Mutter leblos aufgefunden und die Polizei gerufen hatte. Als die Beamten in Kirchentellinsfurt eintrafen, waren Rettungskräfte und ein Notarzt bereits vor Ort, konnten aber nichts mehr ausrichten, sagte gestern ein Reutlinger Kriminalhauptkommissar. „Es gab keine Hinweise auf ein gewaltsames Eindringen von außen.“ Die Obduktion am 11. März 2016 habe ergeben, „dass es kein natürlicher Tod“ war. In der Familie sei vereinbart gewesen, dass der Angeklagte am Folgetag zu seinem Hausarzt gehen sollte.

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Erstellt:
17.09.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 54sec
zuletzt aktualisiert: 17.09.2016, 01:00 Uhr

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