Sexuelle Belästigung · Wo der Balz-Spaß aufhört

Anmachen, Anglotzen, Angrapschen: Wo hört der Spaß auf und wo fängt die Belästigung an?

Erst vergangenen Freitag musste Sascha Gschwind wieder zwei männliche Clubgäste wegen sexueller Belästigung vor die Tür setzen: „Einen Biodeutschen und einen Schwarzen.“

04.07.2017

Von Volker Rekittke

Viersprachiger Aushang gegen sexuelle Belästigung auf dem Männerklo im Club „Butterbrezel“ in der Tübinger Haaggasse.Bild: Rekittke

Viersprachiger Aushang gegen sexuelle Belästigung auf dem Männerklo im Club „Butterbrezel“ in der Tübinger Haaggasse.Bild: Rekittke

Kommt es häufig vor, dass Frauen sich wegen sexueller Belästigung und unangemessener Anmache bei ihm und seinem Team beschweren? „Zwei bis fünf Mal am Abend“, sagt der Geschäftsführer der „Butterbrezel“ in der Tübinger Haaggasse. Geöffnet ist der vor allem bei jungen Leuten angesagte Partyclub mittwochs, freitags und samstags – und Gschwind ist jeden Abend dabei, regelmäßig auch am Einlass. 300 Gäste pro Partynacht sind keine Seltenheit.

Man sortiere beim Einlass niemanden nach Hautfarbe oder Herkunft aus, betont Gschwind: „Bei uns tanzen Türken und Tunesier, Syrer und Deutsche – wir sind ziemlich multikulti.“ Am Eingang hängt ein Schild des Clubs mit der Botschaft: „Stop Racism, Stop Sexism.“ Probleme gebe es aber immer mal wieder mit einer Gruppe von Flüchtlingen aus Gambia. „Einige hängen manchmal zwei, drei Stunden an einer Frau dran, bis die sich völlig entnervt an uns wendet.“ Es muss dabei nicht unbedingt zu Berührungen kommen. Belästigen könnten auch Worte und Blicke beim Tanzen, an der Bar. Wenn er so etwas mitbekommt, spricht Gschwind erst mal mit den Männern: „Wenn du die Frau noch ein Mal antanzt, musst du gehen.“ Gegen einige habe er bereits Hausverbote verhängt.

Viele Belästigungen oder Übergriffe passierten unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen, sagt Gschwind, der schon sah, „dass 1,57 Meter große und 60 Kilo schwere Jungs unter Koks glaubten, sie seien zwei Meter groß und breit“.

Bei sexueller Belästigung werde in der „Brezel“ sofort eingegriffen – und wenn’s sein muss, auch die Polizei dazu gerufen: „Wenn die Frauen sich bei uns nicht wohlfühlen, kommen sie nicht mehr.“

Blöde Anmache, Anglotzen, Angrapschen: „Manche Männer denken, das gehört zum Balzen dazu – übrigens auch in einem deutschen Bierzelt“, sagt Tübingens Erste Bürgermeisterin Christine Arbogast, die in der Stadtverwaltung auch für die Bereiche Sicherheit und Ordnung zuständig ist.

Das Thema sexuelle Anmache sei nicht neu, so Arbogast – und auch „kein spezielles Tübinger Problem“. Eine Vermischung von Sexismus und Rassismus lehnt sie ab: „Ein Nein ist immer ein Nein!“ Egal, ob eine Frau das zu einem Mann mit deutschem oder tunesischem Pass sagt, zu einem mit hellerer oder dunklerer Haut, zu einem Atheisten, strenggläubigen Moslem oder Katholiken.

Was Arbogast immer noch „sehr empört“: „Dass es Köln gebraucht hat, um das Gesetz zu ändern – diese Form von Übergriffen gegen Frauen gibt es schon lange.“ Angrapschen und sexuelle Belästigung existierten ja nicht erst, seit 2015 viele junge Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Unter Strafe gestellt wurde das jedoch erst im November 2016 nach den Vorfällen auf der Kölner Domplatte.

Barbara Schecher ist Sozialwissenschaftlerin an der Uni Tübingen und Beraterin bei Gewalt gegen Frauen. Sie begrüßt es sehr, dass sexuelle Belästigung jetzt, „nachdem Feministinnen Jahrzehnte dafür gekämpft haben“, endlich strafbar ist. Die Koppelung an leichtere Abschiebungen zeige aber, „dass es ein Gesetz ist, das vor allem für deutsche Frauen gemacht wurde“. Denn welche Frau, die als Flüchtling nach Deutschland kam, würde wohl einen Mann aus ihrer Gruppe oder Community bei der Polizei anzeigen, wenn sie befürchten müsse, dass er dann abgeschoben wird?

„Rassismus ist leider das dominierende Thema unserer Zeit“, sagt Schecher. Den Opfern sexueller Gewalt nütze diese Debatte nichts: „Vielen Frauen, die belästigt werden, ist es erst mal herzlich egal, welche Pigmentierung die Hand hat, die sie begrapscht.“

„Sexuelle Belästigung oder Gewalt ist Männern nicht angeboren“, sagt Schecher. Besonders in Gruppen, etwa bei Junggesellenabschieden, wollten Männer sich oft gegenseitig etwas beweisen. Sexuelle Gewalt geschehe nicht nur im Club oder gehe aus von einer bestimmten Gruppe oder Nationalität. Häufig stammten die Täter aus dem Familien- oder Bekanntenkreis.

Schecher findet deshalb: „Viel sinnvoller wäre es zu sagen: Wir verfolgen sexuelle Gewalt ausnahmslos – egal, wer sie ausübt.“

Klare Ansagen auch am Eingang zur „Butterbrezel“. Bild: Rekittke

Klare Ansagen auch am Eingang zur „Butterbrezel“. Bild: Rekittke

Keine Security beim „Paedfeschd“ im Epplehaus

Was geschah am 12. Mai beim „Paedfeschd“ im Epplehaus? Klar scheint zu sein: Es gab Grenzverletzungen, Frauen wurden angetanzt, angegrapscht, einige Männer wurden deshalb rausgeschmissen. Kurz: „Es war eine Situation, die für etliche Frauen nicht mehr in Ordnung war“, sagt Christine Arbogast, die als Erste Bürgermeisterin dazu mehrere Gespräche mit Epplehaus-Vertretern führte. Zugleich schränkt sie ein: „Ich war nicht dabei. Alles, was ich weiß, kommt aus dritter, vierter, fünfter Hand“, so Arbogast. Offensichtlich hat es bei der Veranstaltung aber keine Security, auch keine Epplehaus-interne, gegeben.

„Besucherinnen gehen mit einer anderen Erwartung ins Epplehaus als etwa ins Top 10“, sagt die Tübinger Sozialwissenschaftlerin Barbara Schecher. Besonders viel Aufmerksamkeit habe der Vorfall in dem Jugendzentrum bekommen, „weil die sexuelle Belästigung hier in einem spezifisch linken und eigentlich antisexistischen Raum stattgefunden hat“.

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Erstellt:
04.07.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 22sec
zuletzt aktualisiert: 04.07.2017, 01:00 Uhr

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