Die Flut von den Feldern

Das Unwetter vom Mittwoch richtete in Ammerbuch große Schäden an

Über 40 Liter auf den Quadratmeter. Und das in knapp einer Stunde: Die Wassermassen des Gewitters, das am Mittwochabend über Ammerbuch tobte, überschwemmten ganze Straßenzüge. Dabei kam die Flut aus einer Richtung, woher sie niemand vermutete.

09.06.2016

Von Uschi Hahn & Hans-Jörg Schweizer

Ammerbuch. Der Rohrbach ja. Auch der Käsbach oder die Ammer. Aber das hat Reinhold Bauer noch nie erlebt: Von den Feldern zwischen Entringen, Poltringen und dem Hardtwald schoss am Mittwochabend gegen 19 Uhr eine rot-braune Brühe und setzte die Zeppelinstraße unter Wasser.

Der Brunnenhäuslesgraben, wie der Entringer Gemeinderat den offenen Wassergraben nennt, der hier in den Ort fließt, ist sonst ein Rinnsaal. Doch offenbar hatten die Felder und Wiesen auf der erhöhten Ebene im Herzen Ammerbuchs in den vergangenen eineinhalb Wochen soviel Regen abbekommen, dass der Boden vollgesogen war wie ein Schwamm. So lief am Mittwoch alles, was von oben kam, sofort weiter in den Graben. Das Wasser schaffte es zwar noch geregelt durch den Schacht unter dem Bahndamm, dahinter aber ergoss sich die Brühe erst in die Gärten und dann in die Zeppelinstraße. Weil das Wasser kurz davor war, die Bahngleise zu überfluten, wurde der Verkehr auf der Ammertalbahn für eine gute Stunde angehalten.

Knietief standen die Feuerwehrleute im Wasser, als sie begannen, die vollgelaufenen Keller und Wohnungen auszupumpen. Immer wieder lupfte es die Kanaldeckel. „Das ist schon eine Art von Jahrhunderthochwasser“, kommentierte Bauer die Szenerie am Mittwochabend. Auch Ammerbuchs Hauptamtsleiterin Gretel Rauscher schüttelte angesichts der Flut von den Feldern, die ihr am Mittwochabend in der Zeppelinstraße bis weit über die Knöchel reichte, nur den Kopf. Die „gute Nachricht“ war für sie allerdings, „dass unsere Bäche und Kanäle halten“.

Ein ähnliches Bild auf der anderen Seite der kleinen Ammerbucher Hochebene. Am Ortsrand von Poltringen strömte das Wasser aus den Äckern und ergoss sich in einem Sturzbach die Entringer Straße hinab. Schlamm und Geröll wurden bis vors Rathaus geschwemmt. In der Ziegelhüttenstraße floss die Brühe durch den Garten der Familie Schluttenhofer. Das Wasser staute sich hinter dem erst vier Jahre alten Einfamilienhaus und drückte durch die Fenster, bis die Kellertür nachgab und das Untergeschoss eineinhalb Meter hoch überflutete. „Das war ein Rauschen, als hätte jemand den Wasserhahn aufgedreht“, sagt Tanja Schluttenhofer, die am Abend mit ihren beiden Kindern allein zu Hause war.

40 Helfer aus der Nachbarschaft

Ihr Mann Hans-Peter Schluttenhofer war am Mittwoch beruflich in München. Als er nachts in Poltringen eintraf, hatten die Feuerwehr und mindestens 40 Nachbarn schon ganze Arbeit geleistet: Der Keller war leergepumpt. Das patschnasse Inventar hatten die Helfer in zwei Garagen im Silberdistelweg geschleppt. „Glück im Unglück“ sei es, so eine tolle Nachbarschaft zu haben, sagt Schluttenhofer, der auch darum einigermaßen zuversichtlich ist. Der Strom funktionierte am Donnerstagmittag schon wieder, und auch die Heizung soll in den nächsten Tagen repariert werden.

Mit etlichen Sandsäcken und schnellem Abpumpen verhinderte die Feuerwehr auf Poltringens Straßen Schlimmeres. Noch am Abend machte der Ortsvorsteher Reinhold Hess gemeinsam mit dem Bauhofleiter der Gemeinde Ammerbuch einen Kontrollgang durchs Dorf. „Im Großen und Ganzen ist alles gut gegangen“, lautete am Donnerstagnachmittag die Bilanz von Hess.

Schlimm erwischte es die fünfköpfige Familie Ferati in ihrer Tiefparterrewohung in der Entringer Zeppelinstraße. Der Sohn Albian Ferati war mit der Freundin alleine zuhause. Nachbarn alarmierten die beiden. Doch da schwappte das Wasser bereits vom Garten durch die Fenster und einen Kellereingang in die Räume. Das Paar konnte gerade noch sich und den Hund in Sicherheit bringen.

Einrichtung reif für den Container

Einen „super Einsatz“ habe die Feuerwehr gebracht, lobt der 24-Jährige die Katastrophenhelfer. Doch viel war nicht mehr zu retten. Mit Freunden und Nachbarn schleppten die Feratis am Tag danach zerstörte Möbel, Einrichtungsgegenstände und Elektrogeräte aus dem Haus. Alles landete im Container. Den hatten die Feratis am Donnerstag früh mit Nachbarn organisiert. „Wir müssen ihn selbst zahlen“, so Albian Ferati. Vater Gazmen Ferati weiß nicht, wie es nun weitergehen soll. Er sei nicht versichert, sagt er. „Wir müssen jetzt von Null anfangen“, sagt sein Sohn Albin.

Nicolai Reith von der Ammerbucher Gemeindeverwaltung konnte der Familie am Donnerstagvormittag nur eine Notunterkunft in Altingen anbieten. Die sei mit zwei Zimmern zwar „etwas klein“, so Reith. „Aber für den Notfall geht es schon.“ Noch am Donnerstag hat Reith versucht, mit dem Landratsamt abzuklären, ob die Feratis mit der Hochwasser-Soforthilfe des Landes rechnen können. Zunächst ohne klares Ergebnis: „Das läuft jetzt übers Innenministerium.“ Auch eine weitere Untergeschosswohnung in der Zeppelinstraße wurde überflutet und zerstört.

Gegenüber dem Haus der Feratis blieb das Lager des Raiffeisenmarktes hingegen weitgehend von der Flut verschont. Zwar stand das Wasser auch dort 20 Zentimeter hoch, die Ware war aber in sicherer Höhe auf Paletten und Regalen gelagert, sodass Uli Kley und seine Kollegen vor allem sauber machen mussten.

Komplett unter Wasser stand noch am Morgen der Pfäffinger Sportplatz. Aus Angst, der Käsbach könnte einen Teil des Orts überfluten, hatte ein freiwilliger Helfer mit einem Frontlader-Traktor den stark angeschwollenen Bach abends kurzerhand auf den Fußballrasen umgeleitet.

„Von uns war es niemand“, sagt Dieter Karmann, der Kommandant der Freiwilligen Ammerbucher Feuerwehr. Die war, unterstützt von Kräften aus Unterjesingen, mit insgesamt 100 Mann im Einsatz. Karmann zählte 26 Einsatzstellen. Auch in Altingen standen Lagerräume in einem Keller zehn Zentimeter unter Wasser, wie Karmann berichtet. Gegen den Blitzeinschlag im Server der Gemeinschaftsschule in Altingen war indes auch die Feuerwehr machtlos.

In Entringen waren die Feuerwehrleute in der Nacht auf Donnerstag bis kurz nach 2 Uhr im Pumpeinsatz. „Dass es so über die Felder kommt, habe ich noch nie erlebt“, sagt Karmann. Er ist froh, dass der Rohrbach und der Käsbach in Entringen nicht auch noch über die Ufer traten, Doch länger hätte es nicht so regnen dürfen: „Da fehlten nur noch ein paar Zentimeter.“

Ammerbuchs Bürgermeisterin Christel Halm war am Donnerstag halbwegs beruhigt. „Ich hatte schon damit gerechnet, dass es uns trifft“, sagte sie. Aber gemessen an dem, was die Unwetter sonst in den vergangenen Tagen angerichtet haben, sei in Ammerbuch alles noch einmal glimpflich abgegangen. Sie könne sich „nur bei allen Helfern bedanken“, sagt Halm. Ihre Botschaft an die Geschädigten: „Was wir von unserer Stelle aus tun können, tun wir.“