Das Land hat die Wahl

Bundestagswahl: Kleine und große Fragen zu dem großen Tag

Am Sonntag bestimmen 60,4 Millionen wahlberechtigte Deutsche ein neues Parlament. Selten war es so spannend wie diesmal.

25.09.2021

Von SWP

Markus Blocher, Kreiswahlleiter, begutachtet in einer Wahlbehörde zahlreiche mit Stimmzetteln gefüllte Wahlurnen für die Briefwahl. Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Markus Blocher, Kreiswahlleiter, begutachtet in einer Wahlbehörde zahlreiche mit Stimmzetteln gefüllte Wahlurnen für die Briefwahl. Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Kleine und große Fragen und Antworten zur Bundestagswahl am Sonntag, 26. September 2021:

Sitze im Bundestag: Größer, immer größer

Wird der nächste Bundestag ein XXL-Parlament? 600, 700, 800 oder noch mehr Abgeordnete könnten es demnächst sein. Dabei liegt die Normgröße des Bundestags bei 598 Sitzen, zuletzt waren es aber schon 709. Ursache dafür ist das Zusammenspiel aus Wahlrecht und Wahlergebnissen: Erringt eine Partei mehr Direktmandate über die Erststimmen als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen, wird aufgefüllt – und zwar sowohl bei der betreffenden Fraktion als auch bei den anderen Fraktionen. Bei der letzten Wahl gab es 46 Überhangmandate (fast alle für CDU/CSU) und 65 Ausgleichsmandate – also insgesamt 111 Parlamentssitze mehr. Diesmal, fürchten Experten, könnte alles noch schlimmer werden: Wenn nämlich die Union wie erwartet viele Wahlkreise gewinnt, aber viele Zweitstimmen verliert. Zwar hatte der Bundestag noch eine kleine Reform beschlossen, die allerdings den Zuwachs kaum abbremsen wird. Drei Überhangmandate sollen demnach nicht ausgeglichen werden. Und wer weiß, wenn es knapp wird, könnten diese drei Sitze demnächst eine noch größere Rolle spielen. eha

Potenzial: Viele noch unentschlossen

Wie viele sind noch unentschlossen? Laut Umfragen verschiedener Institute sind noch 25 bis 40 Prozent der Wählerinnen und Wähler unsicher. Laut Forsa-Chef Güllner könnte da noch etwas für die Union und Armin Laschet herauszuholen sein. Die SPD habe ihr Potenzial ausgeschöpft. Jenseits von Forsa hält man auch anderes für möglich. Angeblich sind es so viele Unentschlossene wie noch nie. Aber auch 2017 konnte man lesen: „Fast jeder Zweite in Deutschland weiß noch nicht, wen er am 24. September wählen wird.“ Das hatte das Allensbach-Institut herausgefunden. Vier Wochen vor der Wahl. Zwei Wochen davor meldete das Institut 35 Prozent Unentschlossene (2017) und 40 Prozent in diesem Jahr. Allerdings gibt es 2021 noch mehr Gründe, genau zu überlegen. Diejenigen, die Olaf Scholz als Kanzler wollen, möchten vielleicht keine Linken in der Regierung. Andere trauen Scholz den Mut für Rot-Grün-Rot nicht zu. Und die Dritten sind Fans von Armin Laschet, aber nicht von Christian Lindner und Annalena Baerbock. Auch Entschlossene können sich noch umentscheiden. Es bleibt spannend. abo

Kleinparteien: Der Kampf um 0,5 Prozent

Alternativlos? Zur Bundestagswahl treten neben den sieben Bundestagsparteien auch 40 andere an. Welche sind das? Die bekannteste Kleinpartei sind die Freien Wähler, in Bayern Regierungspartei und durch die öffentlich vorgetragene Weigerung ihres Bundesvorsitzenden Hubert Aiwanger, sich impfen zu lassen, in den Schlagzeilen. 2017 erreichten die Freien Wähler mit genau einem Prozent unter den Kleinstparteien das beste Ergebnis. Ganz knapp dahinter landete „Die Partei“, bei der Europawahl 2019 gewannen die Satiriker zwei Mandate. Für die „Sonstigen“-Parteien ist eine Zahl von entscheidender Bedeutung: 0,5 Prozent der Zweitstimmen muss eine Partei bekommen, um an der staatlichen Parteienfinanzierung teilhaben zu können. Für jede Stimme gibt es dann 83 Cent, für jeden Euro an Mitgliederbeiträgen oder Spenden kommen noch 45 Cent dazu. Angesichts von 0,8 Prozent bei der letzten Wahl darf sich die „Tierschutzpartei“ gute Chancen ausrechnen, erneut Geld zu bekommen. Zum ersten Mal auf dem Wahlzettel stehen unter anderem „Team Todenhöfer“, die Querdenker-Partei „die Basis“ und die Pro-Europäer von „Volt“. dgu

Wahltags-Rituale: Ruhe zwischen den Stürmen

Wie verbringen die Kandidaten ihren Wahltag? Vom früheren US-Präsidenten Barack Obama ist bekannt, dass er vormittags immer Basketball spielte. Am Tag seiner Wahl zum US-Präsidenten 2008 hatte Ehefrau Michelle allerdings Bedenken: „Pass bloß auf, dass ihm keiner die Nase bricht“, ermahnte sie ihren mitspielenden Bruder. „Er muss später noch ins Fernsehen.“ Für die Kandidaten bietet der Wahlsonntag zumindest ein paar Stunden Pause. „Ein absolut stiller Tag“, sagt CDU-Spitzenmann Armin Laschet. Denn „bis zur letzten Minute“ werde gekämpft, „und am Tag danach geht wieder die Hektik los.“ Streng genommen beginnt die Hektik aber schon am späten Sonntagnachmittag. Laschet wählt erst in der Schule seiner Kinder und muss dann noch vom heimatlichen Aachen in die gut 600 Kilometer entfernte CDU-Parteizentrale. FDP-Chef Christian Lindner hat ein anderes Ritual: „Am Samstagabend treffe ich traditionell Familie und Freunde zu einem ausgedehnten Abendessen.“ Im Gegensatz zu Laschet ist Lindner Briefwähler und freut sich daher aufs Ausschlafen: „Am Wahlsonntag stelle ich dann einmal keinen Wecker.“ Die scheidende Kanzlerin Angela Merkel wiederum fühlte sich am Wahltag stets zur Passivität verurteilt: „Warten und Gucken, wie bei der Zeugnisvergabe“. eha

Vorhersage: Frag‘ das Orakel

Welche ungewöhnlichen Vorhersagen gibt es? Bekannt ist, dass jene Partei ins Kanzleramt einzieht, die den Wahlkreis Pinneberg gewinnt. Zwar ist es recht unnütz, nach der Wahl zu erfahren, dass Pinneberg (inklusive Helgoland) mal wieder richtig lag, aber es ist gut möglich, dass man auch nach der Wahl nicht weiß, wer Kanzler wird. Pinneberg würde also direkt in die Sondierungen eingreifen. Wer es gar nicht abwarten kann, geht zu Lucy. Der Redaktionshund aus dem SWR-Studio Karlsruhe hat bereits geweissagt. Laut SWR so: „In einem Intelligenzspielzeug für Hunde sind in Schiebefächern die Logos der im Bundestag vertretenen Parteien versteckt. In jedem Kästchen liegt außerdem ein Leckerli.“ Genial. Gewinnen wird laut Lucy die CDU. Warum der Hund als qualifiziertes Orakel gilt, ist unklar. Bei der OB-Wahl in Karlsruhe und bei der BaWü-Landtagswahl lag Lucy daneben. Verlässlicher scheint da eine Katze zu sein, die schon im April das Leckerli, unter dem der Scholz-Zettel lag, bevorzugte. abo

Kurz erklärt: Die Macht der zwei Stimmen

Wie war das noch mal mit Erst- und Zweitstimme? Bei der Bundestagswahl kann jeder Wähler zwei Stimmen vergeben: eine für eine Person, eine für eine Partei. Mit dem Kreuz in der linken Spalte des Stimmzettels, der Erststimme , wählt man denjenigen sogenannten Direktkandidaten, den man gern in den Bundestag schicken möchte. Der Direktkandidat, der in einem Wahlkreis die meisten Stimmen erhält, sitzt dann künftig im Parlament – völlig unabhängig davon, wie seine Partei insgesamt bei der Wahl abschneidet. In der rechten Spalte kann der Wähler mit seiner Zweitstimme eine Partei seiner Wahl markieren. Dies kann durchaus eine andere Partei sein als jene des gewünschten Direktkandidaten. Die von der Partei aufgestellte sogenannte Landesliste besteht aus einer bestimmten Anzahl von Kandidaten, die diese Partei in den Bundestag schicken möchte. Je nach Wahlergebnis – soweit diese Partei bundesweit mehr als fünf Prozent der Stimmen erreicht – kommen diese Politiker dann in den Bundestag; je weiter vorn ein Name auf der Landesliste steht, umso höher seine Chancen. Es ist auch möglich, nur die Erststimme für einen Direktkandidaten oder nur die Zweitstimme für eine Partei zu vergeben. Hingegen wird der Wahlzettel ungültig, wenn man mehrere Parteien oder mehrere Direktkandidaten ankreuzt. Auch sonstige Markierungen auf dem Stimmzettel sind unzulässig. kg

Wettquoten: Scholz Favorit – wie der FC Bayern

Wie stehen die Wetten der Buchmacher kurz vor dem Stichtag? In Deutschland darf man nicht auf politische Ereignisse wetten, trotzdem haben die Buchmacher für ihre Kunden aus dem Ausland Wettquoten veröffentlicht. Und die sprechen kurz vor der Wahl eine klare Sprache: Für den Marktführer bwin ist Olaf Scholz mit seinen Sozialdemokraten ähnlich favorisiert wie der FC Bayern München in einem Spiel in der Fußball-Bundesliga. Eine magere Quote von 1,17 bekommt, wer wettet, dass die SPD die meisten Sitze holen wird. Für zehn Euro Einsatz gäbe es also gerade einmal 1,70 Euro Gewinn. Wer gegen die Umfragewerte setzt und glaubt, dass die Union am Ende doch noch vor der SPD landet, könnte schon deutlich mehr Geld machen; bwin bietet hier eine Quote von 4,5 an, für denselben Einsatz würden also 35 Euro Gewinn herausspringen. Lukrativer wäre da schon eine Wette auf die nächste Bundesregierung. Die Ampel aus SPD, FDP und Grünen ist für bwin zwar klarer Favorit, aber die Quote liegt immerhin bei 2,25. Nahezu gleichauf dahinter liegen eine Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grüne (5,0) und Rot-Rot-Grün (5,5). Danach folgt schon eine weitere GroKo mit einer Quote von 8, gefolgt von Rot-Grün (9,0). dgu

Corona-Maßnahmen: Maske Pflicht, Testen nicht

Welche Corona-Regeln gelten in den Wahllokalen? Wer im Wahllokal seine Stimme abgeben will, muss in aller Regel eine Maske tragen. Nur wer ein Attest bei sich hat, kann von der Maskenpflicht befreit werden. Wichtig zu wissen: Ungeimpfte – und nicht genesene – Wählerinnen oder Wähler müssen sich vor dem Gang zum Wahllokal nicht extra testen lassen. Bundeswahlleiter Georg Thiel begründet dies damit, dass das Wahlrecht ein demokratisches Grundrecht sei, das man Ungetesteten nicht verwehren könne. Eine Besonderheit besteht für Menschen, die am Wahltag an Corona erkrankt sind oder sich in Quarantäne befinden. Besitzen sie dafür eine Bescheinigung, können sie bis Sonntag, 15 Uhr, beim Wahlamt der Gemeinde Briefwahl beantragen. Dazu müssen sie eine bevollmächtigte Person zum Wahlamt schicken, die dort die Briefwahlunterlagen abholen kann. Bis 18 Uhr müssen die Unterlagen dort wieder abgegeben werden. mg

Migranten: 11.125 neue Wähler

Wie wählen migrantische Wähler und Erstwähler? 7,4 Millionen Deutsche mit Migrationshintergrund können bei der Bundestagswahl ihre Stimme abgeben. Damit stellen sie zwölf Prozent aller Wahlberechtigten. Die Wahlbeteiligung war bisher vergleichsweise gering. 2017 gaben mit 20 Prozent aller Berechtigten unterdurchschnittlich wenige Migranten ihre Stimme ab. Die Gruppe der migrantischen Erstwähler liegt bei 11 125 Menschen. Darunter bilden mit jeweils über 1100 Erstwählern Deutschpolen, -russen und -türken die größten Gruppen. Der Anteil der Erstwähler, die aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie Asien stammen, ist dafür relativ gering. So dürfen nur jeweils 89 Menschen mit syrischen und irakischen sowie 94 mit afghanischen Wurzeln neu wählen. Es gibt nur wenig Wissen über das Wahlverhalten von Migranten. Das hat damit zu tun, dass in Wahl-Analysen die Fallzahlen der Stichproben häufig zu gering für belastbare Aussagen sind. Einige Studien gibt es aber doch. Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung vergleicht dafür das Wahlverhalten der polnisch-, russisch- und türkischstämmiger Wähler in den Jahren 2015 und 2019. Viele Jahre folgte dies einem festen Muster. Spätaussiedler votierten häufig für die Union, Türkischstämmige für die SPD. Das habe sich in den vergangenen Jahren deutlich geändert. Russischstämmige wanderten teils von der Union zur AfD ab, während Deutschtürken nicht mehr die SPD, sondern häufiger die Union wählten. dot

Späte Gewissheit: Prognose erst mal unsicher

Wann stehen Ergebnisse fest? Für Wahlforscher und Umfrageinstitute sind Briefwähler schwer zu kalkulierende Wesen – vor allem am Wahltag. Denn sie können ja nicht nach der Stimmabgabe im Wahllokal befragt werden. Diese sogenannte Nachwahlerhebung ist die Basis für die 18-Uhr-Prognose am Wahlabend. Bei einem erwarteten Briefwahlanteil von mindestens 50 Prozent dürfte es also schwierig werden, eine genaue Prognose abzugeben. Doch die Wahlforscher wissen sich zu behelfen. Infratest dimap versucht das Abstimmungsverhalten der Briefwähler über „Vorwahlerhebungen und Erfahrungen aus der Vergangenheit“ mit einzupreisen. Die 18-Uhr-Zahlen könnten aber tatsächlich eine größere Differenz zum Endergebnis aufweisen als vor vier Jahren, räumt Geschäftsführer Michael Kunert ein. Auf die Hochrechnungen, die im Laufe des Abends aktualisiert werden, sollte der Briefwähleranteil kaum Einfluss haben, so Infratest dimap. Sie basieren auf den Auszählungen der vor Ort oder per Brief abgegebenen Stimmen in bestimmten Bezirken. Sie könnten später kommen als gewöhnlich, denn die Wahlhelfer brauchen deutlich länger für das Auszählen der geschlossenen Briefwahlzettel. Denn auch die dürfen ja erst nach 18 Uhr geöffnet werden. clak

Verbote im Wahllokal: Nur allein in die Kabine

Darf das eigene Kind das Kreuz machen? Was im Wahllokal so alles verboten ist. Der kanadische Premierminister Justin Trudeau hat kürzlich seinen Sohn das Kreuzchen bei der Wahl machen lassen. Geht das auch bei uns? Nein. Im Bundeswahlgesetz steht: Jeder Wahlberechtigte kann sein Wahlrecht nur einmal und nur persönlich ausüben. Eine Ausübung des Wahlrechts durch einen Vertreter anstelle des Wahlberechtigten ist unzulässig. „Da das Wahlrecht nur persönlich ausgeübt werden kann, ist nicht erlaubt, das Kreuz durch das eigene Kind machen zu lassen“, sagt ein Sprecher des Bundeswahlleiters. Eine Ausnahme gilt für Wahlberechtigte, die nicht ausreichend lesen können oder wegen einer Behinderung daran gehindert sind, selbst den Stimmzettel zu kennzeichnen, zu falten oder in die Wahlurne zu werfen. „Diese Menschen dürfen sich eine Hilfsperson mit in die Wahlkabine nehmen“, erklärt der Sprecher. „Sie darf aber nur den Willen des Wählenden umsetzen und darf ihn nicht beeinflussen.“ Und es gibt noch weitere Verbote. Wer in der Wahlkabine fotografiert oder filmt, riskiert, dass seine Stimme ungültig wird. Auch wer im Wahllokal sichtbar macht, wie er abgestimmt hat, kann wegen Verstoßes gegen das Wahlgeheimnis zurückgewiesen werden. kg