Interview mit Kartellrechtsanwältin Elke Wurster

Preisabsprachen: „Auch der bloße Informationsaustausch kann relevant sein“

Die Reutlinger Rechtsanwältin und Compliance-Expertin Elke Wurster zum Thema Preisabsprachen unter Händlern.

31.03.2017

Von Interview: Volker Rekittke

Der Tübinger Eisskandal: ein gefundenes Fressen für Deutschlands Journalisten.Bild: Metz

Der Tübinger Eisskandal: ein gefundenes Fressen für Deutschlands Journalisten.Bild: Metz

Die Debatte um ein vermeintliches Tübinger Eiskartell ist für Rechtsanwältin Elke Wurster „ein Lehrstück darüber, was man im Kartellrecht alles falsch machen kann“. Wurster, die bei der SLP Anwaltskanzlei mit Sitz in Reutlingen arbeitet, hört immer wieder: Das Kartellrecht betrifft nur die großen Unternehmen, nur die dürfen keine Absprachen treffen. „Das stimmt nicht“, sagt die Anwältin, die lange Unternehmen im Bereich „Compliance“ – also bei der Einhaltung von Gesetzen und Richtlinien – beraten hat.

TAGBLATT: Frau Wurster, kommt es öfter vor, dass Eisdielen oder andere regionale Händler bei Preisabsprachen ertappt werden?

Wurster: Bei Eisdielen ist mir bislang kein Fall bekannt – auch nicht bei regionalen Händlern oder Gaststätten. Bei regionalen Händlern herrscht nach meiner Erfahrung knallharter Wettbewerb.

Welches Bußgeld erwartet eine Firma oder einen Einzelhändler, dem eine Preisabsprache nachgewiesen werden konnte?

Zuerst führt die Kartellbehörde Gespräche mit den Betroffenen, prüft den Fall genau und wägt ab, wie gravierend der Fall überhaupt ist. Grundsätzlich kann das höchstmögliche Bußgeld 10 Prozent des Jahresumsatzes betragen.

Die EU-Kommission verhängte 2016 gegen die vier Lkw-Hersteller Daimler, Volvo, Iveco und DAF wegen Preisabsprachen eine Rekordstrafe von fast 3 Milliarden Euro – davon rund 1 Milliarde Euro für Marktführer Daimler. Finden Absprachen bei großen Unternehmen häufiger statt als bei kleinen?

Nein. Nach meiner Erfahrung ist das eher von der Branche abhängig, als von der Größe eines Unternehmens. Und natürlich von der Unternehmenskultur. In manchen Branchen herrscht so starker Wettbewerb, da sind Absprachen eher selten Thema. Genauso bei einer inhabergeführten Firma, wo der Chef davon überzeugt ist, ein konkurrenzlos gutes Produkt herzustellen.

Häufiger gibt es Absprachen hingegen in der Lebensmittelbranche – vom „Preiskartell im Supermarkt“ ist immer mal wieder die Rede. Es gab auch schon ein Schienenkartell bei Stahlproduzenten, das Feuerwehrfahrzeuge-Kartell – und sogar ein Kartell von Reißverschluss-Herstellern.

Und was ist mit Preisabsprachen bei Tankstellen oder Bäckern? Die Brezelpreise scheinen immer sehr gleichzeitig anzuziehen…

Zu Benzinpreisen gab es Untersuchungen von Kartellbehörden. Da fuhren wohl tatsächlich Mitarbeiter der Mineralölkonzerne durch die Gegend und meldeten die Preise an den Tankstellen der Zentrale, die dann rasch reagierte. Das nennt man „Parallelverhalten“ – und das ist nicht verboten. Genauso wenig, wenn Händler morgens über den Wochenmarkt laufen und schauen, was die Konkurrenz für das Pfund Spargel oder die Schale Erdbeeren verlangt. Aber wenn an einem bestimmten Tag morgens bei Geschäftsstart alle Bäckereien der Stadt den Brezelpreis beispielsweise um 10 Cent erhöht haben, dann ist das schon merkwürdig.

Die Tübinger Eishändler sagen jetzt, sie seien missverständlich zitiert worden. Man habe sich nur getroffen und über die steigenden Preise in allen Bereichen gesprochen…

Stopp! Auch der bloße Informationsaustausch kann relevant sein. Wenn etwa Eishändler zusammensitzen, über steigende Rohstoffkosten reden und einer von ihnen sagt: „Deshalb werde ich meine Preise anheben.“ Selbst wenn die anderen dazu kein Wort sagen, haben wir schon einen Kartellrechtsverstoß.

Ist es eigentlich schwer, Preisabsprachen nachzuweisen?

Die meisten Ermittlungen werden ausgelöst durch Hinweise ans Bundeskartellamt oder die Landeskartellbehörden – das geht auch anonym. Der Nachweis ist oft schwierig, weil Absprachen meist mündlich geschehen. Ein Großteil der Fälle wird letztlich über die Kronzeugenregelung aufdeckt. So war es auch beim Lkw-Kartell, in dem MAN als Hinweisgeber straffrei davonkam.

Was war die bislang kurioseste Kartellabsprache, die Sie erlebt haben?

Kurios sind manche Ausreden, die man zu hören bekommt. Immer wieder wird gesagt, man habe das ja nur für den langfristigen Erfolg des Unternehmens getan. Und dass schließlich auch Arbeitsplätze davon abhängen. Andererseits: Manche Firmen handeln wirklich aus der Not heraus. Und im knallharten Wettbewerb können tatsächlich Arbeitsplätze gefährdet sein.

Elke Wurster

Elke Wurster