Ankara will Migranten stoppen

Kommentar zu Afghanistan

Mit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan droht der Türkei eine neue Flüchtlingswelle. Ankara setzt auf Grenzsicherung und Diplomatie.

18.08.2021

Von Gerd Höhler

Hulusi Akar, Verteidigungsminister der Türkei, steht an einer Sicherheitsmauer an der türkisch-iranischen Grenze in der türkischen Provinz Van. Foto: -/Turkish Defense Ministry/AP/dpa

Hulusi Akar, Verteidigungsminister der Türkei, steht an einer Sicherheitsmauer an der türkisch-iranischen Grenze in der türkischen Provinz Van. Foto: -/Turkish Defense Ministry/AP/dpa

Ankara. Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan sieht in der Krise eine Chance, die Rolle seines Landes in der Region und gegenüber Europa zu stärken. Am Montag landete der vorerst letzte Flug der Turkish Airlines aus Kabul. Die Boeing 777 brachte 324 türkische Staatsangehörige nach Hause. Derweil versuchen jeden Tag verzweifelte Afghanen, über den Iran in die Türkei zu gelangen.

Vergangenen Samstag inspizierte der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar die türkisch-iranische Grenze. Vom Gipfel des 2600 Meter hohen Berges Kocacukur betrachtete er die drei Meter hohe Betonmauer, die sich durch die karge Landschaft zieht. Sie sichert besonders kritische Abschnitte der 534 Kilometer langen Grenze zum Iran.

Trotz der Sperranlagen kommen nach Schätzungen von Hilfsorganisationen jeden Tag etwa 1000 afghanische Flüchtlinge illegal die Grenze. Nach dem Fall Kabuls werden sich jetzt noch mehr auf den Weg machen. Die Türkei beherbergt bereits über vier Millionen Flüchtlinge, darunter geschätzt eine halbe Million Afghanen. Das führt zu wachsenden Spannungen. Erdogan muss fürchten, dass die Stimmung kippt, wenn jetzt noch mehr Afghanen ins Land strömen.

Ankara setzt auf eine Strategie aus Grenzsicherung und Diplomatie. Tage vor der Inspektion an der iranischen Grenze war Verteidigungsminister Akar in Islamabad. Pakistan ist seit langem ein wichtiger außenpolitischer Partner und ein guter Kunde der Rüstungsindustrie.

Erdogan sucht auch Gespräche mit den Taliban und versichert, er habe „keine Probleme mit ihren religiösen Standpunkten“. Das kam an: Mullah Jakub, ein Sohn des Taliban-Gründers Mullah Omar, sagte, man betrachte „die Türkei nicht als Feind, sondern als Verbündeten“.

Erdogan will die Rolle der Türkei als Regionalmacht im Nahen Osten und Mittelasien unterstreichen. Dabei hat er auch Europa im Blick. Für die EU ist Erdogan als „Schleusenwärter“ in der Migrationspolitik ein ungeliebter, aber unverzichtbarer Partner. Nun kann er hoffen, dass er mit der Afghanistan-Krise in der Migrationspolitik einen noch längeren Hebel in die Hand bekommt – und dass bald weitere Gelder fließen.