Aussicht auf Rettung?

Afghanistan, der Krieg und die Bundeswehr: Das Drama von Kabul

Bundeswehr beginnt mit Evakuierungsflügen. Aber für viele einheimische Frauen, Männer und Kinder schwindet die Aussicht auf Rettung.

18.08.2021

Von Ellen Hasenkamp & Stefan Kegel

Die US-Armee nahm rund 640 Afghanen auf einem Evakuierungsflug mit. Die Menschen hatten sich an Bord gedrängt. Foto: --/Defense One/dpa

Die US-Armee nahm rund 640 Afghanen auf einem Evakuierungsflug mit. Die Menschen hatten sich an Bord gedrängt. Foto: --/Defense One/dpa

Berlin. Die Rettungsmission der Bundeswehr in Afghanistan ist angelaufen, aber die Lage ist unübersichtlich und gefährlich. Vermutlich können viel weniger Menschen ausgeflogen werden als eigentlich geplant.

Wie läuft die Evakuierung? Am Dienstagmittag landete in Kabul ein zweiter Militärtransporter A400M der Bundeswehr und hob kurze Zeit später mit mehr als 120 Menschen an Bord wieder Richtung Usbekistan ab. Weitere Flüge wurden vorbereitet. Am Vorabend war der erste deutsche Militär-Airbus eingetroffen und hatte erste Bundeswehr-Soldaten abgesetzt, nahm allerdings nur insgesamt sieben Menschen für den Rückflug an Bord. Begründet wurde dies mit den chaotischen Zuständen am Flughafen Kabul und der nächtlichen Ausgangssperre. Geplant ist nach Angaben von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) nun, mit zwei Maschinen im Pendelverkehr zwischen Kabul und Taschkent zu fliegen. Die Bundeswehr arbeitet dabei mit zwei Szenarien: entweder nur eine „sehr kurze“ Zeit für die Evakuierung zu haben – oder womöglich bis in die nächste Woche hinein eine geordnete Luftbrücke aufbauen zu können.

Wer wird evakuiert? „Wir nehmen alles mit, was vom Platz her in unsere Flugzeuge passt“, sagt Kramp-Karrenbauer. Aber im Moment können offenbar nur Menschen mit internationalen Pässen den Flughafen erreichen. Wie Generalinspekteur Eberhard Zorn berichtet, haben die Taliban Kabul weitgehend unter Kontrolle und lassen nur ausländische Staatsangehörige zum Flughafen durch. Das bedeutet, dass Ortskräfte, Menschenrechtler, Frauen und andere Afghanen, denen die Bundesregierung eigentlich auch Hilfe zugesagt hatte, derzeit keine Chance haben. Das gilt erst recht für Gefährdete, die sich außerhalb der Hauptstadt befinden.

Warum die A400M? Die relativ neuen Transportflieger der Bundeswehr können offiziell knapp 130 Menschen mit an Bord nehmen. Die Maschinen können in großer Höhe und vollgeladen mehr als 3000 Kilometer weit fliegen. Sie sind – eingeschränkt – gegen Beschuss geschützt, unter anderem können sie infrarotgesteuerte Luftabwehrraketen mit dem Abfeuern von Täuschungskörpern ablenken.

Was sollen die Bundeswehr-Soldaten vor Ort leisten? Am Mittwoch will das Kabinett das Evakuierungsmandat für bis zu 600 Soldaten beschließen. Damit wäre das deutsche Kontingent nach den USA und Großbritannien eines der größten vor Ort. Nach Angaben von Kramp-Karrenbauer haben die bereits eingetroffenen Soldaten am Flughafen Kabul Stellung bezogen, um die Rettungsflüge abzusichern. Ihre wichtigste Aufgabe sei es, angesichts der instabilen Lage am Flughafen diejenigen, die abfliegen, zum Flugzeug zu bringen. „Dazu brauchen wir eigene Kräfte.“ Wie lange die Mission dauern wird, ist offen. Im Gespräch ist, das Mandat sicherheitshalber bis Ende September zu erteilen.

Wie viele Menschen fliehen gegenwärtig aus Afghanistan? Die Internationale Organisation für Migration (IOM) schätzt die Zahl der fliehenden Afghanen auf etwa 30 000 pro Woche. „Aber diese Zahl kann schwanken, da die Flucht oft erschwert ist, zum Beispiel für Frauen, die das Haus nicht alleine verlassen dürfen“, erklärt Victoria Rietig, Leiterin des Programms Migration der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Die meisten Afghanen fliehen ihren Angaben zufolge zunächst in die Nachbarländer, vor allem nach Pakistan und in den Iran. Denn dort leben bereits viele Afghanen – etwa drei Millionen in Pakistan und eine knappe Million im Iran.

Wie kann ihnen geholfen werden? „Hilfen für die direkten Nachbarländer vor Ort, also vor allem für Pakistan und Iran, sind jetzt ein essenzielles Puzzleteil der Lösung“, betont Rietig. „Deutschland, Europa und auch die USA sollten gemeinsam Gespräche mit diesen Ländern führen und Anreize geben, damit diese Nachbarländer jetzt die Menschen erst einmal versorgen, so gut es geht.“

Auch Deutschland selbst könne einen Beitrag leisten, meint sie. Zum einen könne es außer den Ortskräften auch besonders schutzbedürftige Afghanen und ihre Familien direkt evakuieren, etwa Aktivistinnen oder Menschenrechtlerinnen, die nun besonders im Fadenkreuz der Taliban stehen. Zudem könnte eine zeitweise Lockerung des Familiennachzugs für Afghanen den Anreiz für irreguläre Migration senken, sagt sie. „Drittens sollte Deutschland für weitere mögliche Flüchtlingsströme in die Türkei planen“, betont Rietig. Zurzeit gilt die sogenannte EU-Türkei-Erklärung von 2016 nicht für Afghanen. „Sie sollte ausgeweitet werden, sodass auch sie in der Türkei temporären Schutz bekommen können.“ Bereits jetzt lebten mehr als hunderttausend Afghanen dort.

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Erstellt:
18.08.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 06sec
zuletzt aktualisiert: 18.08.2021, 06:00 Uhr

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