Kinderpornografie

Ermittler in Deutschland: Immer jüngere Opfer

Wie die Ermittler in Deutschland gegen die Horrorbilder im Netz kämpfen, was sie an politischer Unterstützung bräuchten – und was sie bekommen sollen.

23.08.2021

Von DOMINIK GUGGEMOS

Gequälte Körper, verwundete Seelen: Seit Jahren nehmen die ermittelten Fälle von Kinderpornografie zu. Foto: ©Sharomka/shutterstock.com

Gequälte Körper, verwundete Seelen: Seit Jahren nehmen die ermittelten Fälle von Kinderpornografie zu. Foto: ©Sharomka/shutterstock.com

Berlin. Wenige Verbrechen schockieren Menschen so sehr wie sexuelle Gewalt an Kindern. Wenn dieser Missbrauch gefilmt und als Kinderpornografie im Netz veröffentlicht wird, dient das Leid der Kleinsten der Befriedigung tausender Konsumenten. In den vergangenen Jahren kommen immer mehr Fälle ans Licht. Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, kommt noch ein weiterer Faktor hinzu: „Ein großer Trend ist, dass die Opfer immer jünger werden. Zudem kann sich ein Missbrauch über Monate und Jahre erstrecken“, sagt Matthias Wenz. Er weiß, wovon er spricht. Wenz ist Deutschlands oberster Kämpfer gegen Kinderpornografie.

Der Kriminaldirektor beim Bundeskriminalamt (BKA) leitet seit 2019 die „Zentralstelle für die Bekämpfung von Sexualdelikten zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen“. Dort laufen jedes Jahr zehntausende Hinweise ein, Wenz und seine Abteilung werten diese aus und leiten sie an die zuständigen Polizeidienststellen in Deutschland weiter. Eine entscheidende Rolle für die Ermittlungen spielen häufig Meldungen aus den USA, genauer gesagt vom National Center for Missing & Exploited Children (NCMEC), einer gemeinnützigen Nicht-Regierungsorganisation.

In den Vereinigten Staaten haben sich die Internetprovider verpflichtet, aktiv nach kinderpornografischem Material zu suchen und ihre Funde an NCMEC zu melden. „Das machen sie aus unserer Sicht sehr zuverlässig und gut“, sagt Wenz. Und so beginnt ein normaler Arbeitstag in der Zentralstelle auch mit der Sichtung der Hinweise von NCMEC. Im Jahr 2020 gab es insgesamt 55?000 davon, der Umfang variiert dabei enorm.

Ein Hinweis kann ein Bild oder Video enthalten“, sagt Wenz. Wie beim Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach. Ein Foto, das aus Kanada übermittelt wurde, führte die Ermittler zum Haupttäter eines ganzen Missbrauchsrings. Dabei zeigte das Bild nicht einmal einen schweren Missbrauch. „Hinter einer Meldung kann aber auch eine ganze Dateisammlung stecken.“

Zum Glück für die Beamten haben sie bei der Sichtung technische Unterstützung. Alle Bilder werden zunächst von einer technischen Anwendung überprüft, die nach Dubletten sucht. Die angelegte Datenbank wird sukzessive immer größer. „Die Fortschritte sind enorm“, sagt Wenz, „wir werden deutlich schneller“. Was die Anwendung noch nicht kennt, muss von der Zentralstelle begutachtet werden. Eine emotional sehr belastende Arbeit.

Wie kommt man mit so viel Leid zurecht? „Wir haben eine sehr engmaschige psychologische Betreuung“, sagt Wenz, „vom ersten Arbeitstag bis zum letzten und wenn nötig darüber hinaus“. Der Tagesablauf sei zudem so strukturiert, dass man nicht den ganzen Tag solche Dateien anschauen müsse. Damit erklärt sich Wenz auch, dass sein Referat keine höhere Personalfluktuation habe als andere Abteilungen im BKA. „Wir sind damit, wie wir mit unseren Mitarbeitern umgehen, bisher ganz gut gefahren.“

Das nach Angaben von Wenz sehr junge Referat mit über 60 Prozent Frauenanteil hat aber nicht nur mit Videos und Bildern von missbrauchten Kindern zu kämpfen. Immer mehr Jugendliche filmen sich selbst in sexuellen Posen und verschicken die Dateien. Das ist gefährlich, insbesondere wenn solche Videos in WhatsApp-Gruppen der Schulklassen landen. „Mit dem Versand dieser Aufnahmen hat man keine Kontrolle mehr über deren eventuell spätere Verbreitung“, sagt Wenz, der mit einer speziellen Medienkampagne die junge Zielgruppe erreichen will.

Könnte die Politik den Ermittlern das Leben einfacher machen? Das BKA wünscht sich schon lange eine Erhöhung der Mindestspeicherfrist bei der Vorratsdatenspeicherung. In einer Bilanz des Jahres 2020 rechnet das Amt vor: 2600 nachweislich begangene Fälle konnten nicht verfolgt werden, weil die IP-Adresse nicht mehr abrufbar war und es keinen anderen Ermittlungsansatz, wie Mailadresse oder Telefonnummer, gab.

Von der Vorratsdatenspeicherung war allerdings selten die Rede, als diese Zeitung alle im Bundestag vertretenen Parteien nach ihren Konzepten im Kampf gegen Kinderpornografie gefragt hat. Nur die Union will sich auf europäischer Ebene für eine grundrechtskonforme Regelung zur Speicherung von IP-Adressen und Telefonnummern einsetzen. Die Vorratsdatenspeicherung solle zur schärfsten Waffe gegen Kindesmissbrauch werden. Die SPD will in Prävention investieren und Pilotprojekte unterstützen, die Kinderschutzbeauftragte für Kitas, Schulen und Vereine einstellen.

Prävention hält auch die Linke für wichtig, sie will Pädophilen anonymisierte Therapieangebote machen, damit diese nicht zu Tätern werden. Nötig sei auch, den Strafrahmen für Kinderpornografie nach der Schwere der abgebildeten Missbrauchshandlung abzustufen. Ganz andere Ideen hat die AfD. Sie will sich mit Nachdruck für ein Verbot jeglicher sexueller Früherziehung einsetzen und stattdessen „rein biologisch-abstrakt“ aufklären. Im Netz solle von staatlicher Seite viel mehr gesucht und gelöscht werden.

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