Ohne Kommentar voll strafbar

Im Januar kommt die Neuauflage von Hitlers „Mein Kampf“ in den Handel

Übermorgen endet der „Urheberschutz“ für Hitlers „Mein Kampf“. Die „Bibel der Nazis“ ist dann – gut 70 Jahre nach dem Tod des Verfassers – gemeinfrei, eine Neuauflage wäre theoretisch möglich. Bislang aber steht wohl nur das Münchener Institut für Zeitgeschichte in den Startlöchern. Im Januar stellt es eine kommentierte Ausgabe vor. Eine sinnvolle Edition, urteilt der Historiker Dieter Langewiesche, ein unkommentierter Nachdruck gehöre jedoch verboten, so Ex-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin.

29.12.2015

Von Manfred Hantke

Tübingen. Hitlers „Mein Kampf“ (der erste Band „Eine Abrechnung“ erschien 1925, der zweite „Die nationalsozialistische Bewegung“ 1926) ist die theoretische Grundlage der Nationalsozialisten für die spätere Vernichtung der europäischen Juden, der Gewaltexzesse gegenüber politisch Andersdenkenden, der Zerschlagung von Parlamentarismus und Demokratie.

Bislang bewahrte das Urheberrecht die Öffentlichkeit vor einer Neuauflage. Doch am 8. Januar stellt das Münchener Institut für Zeitgeschichte eine kommentierte Edition vor. Knapp 1950 Seiten soll die Ausgabe lang sein, in mehr als 3700 Anmerkungen rücken die Autoren die Behauptungen, Halbwahrheiten und Lügen des Ex-Diktators zurecht.

„Generell“ könne man sich zwar bei so mancher Edition fragen, ob sie sinnvoll sei, sagt der Tübinger Historiker Dieter Langewiesche. Bei Hitlers „Kampf“ aber diene eine wissenschaftlich kommentierte Ausgabe der Entmythologisierung des einstigen Diktators, so der emeritierte Professor für Neuere Geschichte. Da würden die Leser über Hitlers Quellen aufgeklärt, über dessen Fehlwahrnehmungen und gewaltsame Geschichtskonstruktion, über jene Stellen, die er übernommen hat. Langewiesche: „Für eine ernsthafte Auseinandersetzung ist eine wissenschaftliche Edition immer nützlich.“ Man könne die Gefahr, die ein solches Buch birgt, nicht wegräumen, indem man es unter Verschluss hält.

In seinem eigenen Geschichtsstudium wurde Langewiesche nie mit dem „Kampf“ konfrontiert. Als Professor hat er sich die Ausgabe von 1932 (es war die achte Auflage: 95 000 bis 104 000) antiquarisch besorgt: „Die war nicht schwer zu kriegen“. Im Seminar bearbeitete er dann mit seinen Studierenden – auch anhand des Werks – das Thema „Polykratie“.

Zweckmäßig fände es der Historiker, wenn die kommentierte Ausgabe auch in den Schulen behandelt würde. Zumindest setzten sich die Fachdidaktiker bereits damit auseinander. Bislang hätten sich Lehrer eher gescheut, den „Kampf“ zu thematisieren.

Mit Spannung erwartet Langewiesche auch eine neue Diskussion in der Forschung: Welche Rolle spielte eigentlich die Schrift für den Nationalsozialismus? Was bedeutete sie für die Entwicklung der Ideologie? Langewiesche bezweifelt allerdings, dass die kommentierte Ausgabe bei jenen eine Läuterung in Gang setzt, die eh schon in politisch rechten Bahnen denken.
Sie würden damit „niemals“ etwas anfangen können, vermutet er. Eine kommentierte Edition sei normalerweise auch teuer. Ob (künftige) Neo-Nazis in diese Art von Weiterbildung investieren, ist also fraglich.

Während unter Historikern immer mal wieder auch eine unkommentierte Neuauflage diskutiert wird, (schließlich seien die bisherigen Ausgaben antiquarisch, im Internet und auch im Ausland zu bekommen, die bundesdeutsche Bevölkerung sei politisch gefestigt), stemmt sich Ex-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin energisch dagegen.

Der Inhalt vom „Kampf“ erfülle den Straftatbestand der Volksverhetzung, Paragraf 130 Strafgesetzbuch, so die Juristin. Dieser Paragraf stelle ganz klar die Aufstachelung und Aufforderung zu Hass, Gewalt oder Willkür gegenüber nationalen, rassischen, religiösen oder ethnischen Gruppen unter Strafe. Drei Monate bis fünf Jahre Haft könnten die Folge sein. Wenn ein Verlag eine Neuauflage ohne Kommentar veröffentliche und damit die antisemitische und rassistische Hetze verbreite, sei die strafrechtliche Verfolgung nicht weit, so Däubler-Gmelin. Im Kreis Tübingen gebe es ja den einen und anderen rechten „Hotspot“, da müsse die Staatsanwaltschaft wachsam sein. Auch Hitlers fanatische Agitation zur Abschaffung von Demokratie und Parlamentarismus sei „voll strafbar“.

In der kommentierten Ausgabe hingegen sieht die Juristin und Politikerin eine vernünftige Grundlage für die politische Bildung. Auch sie hält es für wichtig, sich mit dem Werk auseinanderzusetzen. Denn der „Kampf“ solle nicht mystifiziert werden. Däubler-Gmelin: „Das ist eine ganz normale strafrechtlich relevante Hetzschrift“ und sollte nicht anders behandelt werden als andere NS-Literatur auch.

Das Interesse an der kommentierten Ausgabe scheint groß. Bei Osiander gingen aus allen Filialen bis gestern Vormittag 119 Bestellungen ein – überwiegend von Privatleuten. Keine Vorbestellungen gab es hingegen bei der Buchhandlung Gastl. Ulrike Dahmen von Rosa Lux will das Buch von sich aus gar nicht anbieten. Sie hält es auch für falsch, es zur Schullektüre zu machen – angesichts von Pegida und des „unglaublichen Nationalismus“. Man stärke Freiheit und Demokratie nicht dadurch, dass man Hassschriften veröffentlicht.

Das Buch ist in vielen Ländern erhältlich – und im Web

Seit 1946 sitzt der Freistaat Bayern, in Vertretung des Finanzministeriums, auf den Urheberrechten von Hitlers Buch „Mein Kampf“. Nach dem Urheberrecht ist ein Neudruck erst 70 Jahre nach dem Tod des Verfassers erlaubt. Vom 1. Januar an könnte also Hitlers „Kampf“ wieder neu aufgelegt werden. Bislang hat Bayern jeden Verleger-Versuch in Deutschland unterbunden, das Buch herauszugeben. In Großbritannien, den USA, der Türkei und in arabischen Ländern ist es hingegen erlaubt – und fährt Gewinne ein. Vor drei Jahren haben sich Wissenschaftler des Münchener Instituts für Zeitgeschichte an die kommentierte Ausgabe gemacht. Am Beginn des Vorhabens unterstützte die Bayerische Regierung das Institut, zog sich aber nach Gesprächen in Israel vom Projekt zurück. Nun erscheint die kommentierte Edition im Eigenverlag. Sie umfasst etwa Hintergrundinformationen zu Personen und Ereignissen, die Offenlegung von Hitlers Quellen und den ideengeschichtlichen Wurzeln. Vergleichen wollen die Forscher auch Hitlers programmatische Aussagen mit seiner Politik ab 1933.