Die Jugendsprachkompetenz eines 45-Jährigen

Ahnma, was den Teilzeittarzan geritten hat

Was soll man vom jüngsten Jugendsprech-Versuch eines nicht nur in Tübingen weltberühmten Politikers halten?

21.12.2017

Von Winfried Gaus

Boris Palmer hat, wie am Dienstag im TAGBLATT nachzulesen war (und auf Facebook auch noch ist), einer Frau „sarkastisch“ und „ironisch überspitzt“ geantwortet: „Sehr angemessene Reaktion. Hab dich nicht so, wenn dich ein Araber fickt. Gibt schlimmeres. Echt jetzt, Frau D.?“ Das hat er, darauf legt er Wert, auf seinem privaten Facebook-Account getan, nicht als „OB mit einer Bürgerin“, sondern in einer Diskussion zwischen „zwei Privatpersonen auf Facebook“, zumal die Frau seit Monaten versuche, ihn in die rechtsextreme Ecke zu drängen.

Was hat den (alle kursiv gesetzten Worte samt Erklärungen im folgenden Text zählen zu den 30 Vorschlägen zum „Jugendwort des Jahres 2017“ des Langenscheidt-Verlags) Teilzeittarzan (jemand, der sich hin und wieder wie ein Affe verhält) da nur geritten? Ficken habe nichts mit Sex zu tun, sondern werde in der Jugendsprache benutzt, wenn jemandem Unrecht geschehe: „Wenn jemandem etwas geklaut wird, ist er gefickt.“ Was ist das für 1 Life? (Ausdruck von Erstaunen in einer außergewöhnlichen Situation.) Was sagt er denn da? Die Rechtfertigungserklärung ist ja noch peinlich-schlimmer als das F-Wort selbst – denn Boris Palmer scheint ja schon mal klüger gewesen zu sein. Als er jünger war.

Bielefelder Meinungsforscher wollten zur Jahrtausendwende herausgefunden haben, dass „Wähler von Bündnis 90/Die Grünen zusammen mit Hausfrauen zur sexuell aktivsten Bevölkerungsschicht gehören“. Zum Landtagswahlkampf 2001 ließ deshalb die Grüne Jugend Baden-Württembergs (Landesvorsitzender: Alexander Bonde; später Landesminister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz) den tiefergelegten Wahlkampfslogan „Grün fickt besser“ auf Postkarten drucken. Dazu befand der damals 28-jährige Grüne-Landtagskandidat Boris Palmer, dass ihm „die Wortwahl zu hart“ sei und er finde, dass man das „Thema auch sympathischer bearbeiten könne“. Und heute? Ahnma (versuche, es zu verstehen). Palmer, 45, der unlügbar (unbestritten) nicht sozialtot ist (sondern in sozialen Netzwerken angemeldet), sollte einfach weniger tacken (Nachrichten schicken, während man auf dem Klo sitzt; Mischung aus texten und kacken).

Dann ist auch noch zu klären, was privat ist. Ein Gespräch zwischen zwei Menschen beispielsweise. Ein altmodischer Briefwechsel. Eine Kommunikation per Email zwischen zwei Adressen. Ein WhatsApp-Chat von zwei Menschen. Aber keine öffentlich einsehbare Diskussion im Facebook-Netzwerk. Dessen Statistik fürs 3. Quartal 2017 weist die Anzahl der monatlich aktiven mobilen Nutzer mit weltweit 2,072 Milliarden Menschen aus (in Deutschland etwa 30 Millionen). Palmer ist dort beileibe nicht (nur) als Otto Normalboris unterwegs. Er versorgt seine 33 787 Follower und den Rest der Menschheit in schöner Regelmäßigkeit mit Hoheitswissen – dem des Tübinger Oberbürgermeisters.