Tarifverhandlungen

Zweikampf bei der Bahn

Die angekündigten Arbeitsniederlegungen der Lokführer könnten mitten in die Reisezeit fallen. Worum es geht und warum die Gewerkschaft GDL nicht nachgibt.

22.06.2021

Von DOROTHEE TOREBKO

An diese Anzeigetafel könnten sich Bahnreisende im Sommer gewöhnen müssen. Foto: Boris Roessler/dpa Foto: Boris Roessler/dpa

An diese Anzeigetafel könnten sich Bahnreisende im Sommer gewöhnen müssen. Foto: Boris Roessler/dpa Foto: Boris Roessler/dpa

Berlin. Badehose und Sonnenbrille einpacken, los geht's: Für viele Deutsche steht der Urlaub an. Im zweiten Pandemie-Sommer freuen sich viele auf Entspannung. Die Deutsche Bahn (DB) will vom Reisefieber profitieren und hat besonders günstige Tickets in den Verkauf gebracht. Doch die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) könnte dem Konzern das Geschäft kaputt und vielen Bahn-Kunden einen Strich durch die Pläne machen. Zwischen Gewerkschaft und DB-Spitze tobt ein Machtkampf. Nun hat die GDL Streiks angekündigt.

Worum geht es? Seit Monaten sind Deutsche Bahn und Lokführer im Clinch. Mittlerweile gab es vier Verhandlungsrunden und keine Lösung. Von der ursprünglichen Forderung ist die GDL abgewichen. Sie fordert für 2021 eine Lohnsteigerung von 1,4 Prozent und 2022 eine Steigerung von 1,8 Prozent. Zusätzlich soll es eine Corona-Prämie von 600 Euro geben. Der Konzern bietet einen Tarifvertrag an, der sich an dem des öffentlichen Dienstes im Bereich Flughäfen orientiert. Hier gäbe es erst 2022 eine Lohnsteigerung von 1,4 Prozent und 1,8 Prozent mehr im Jahr 2023.

Warum bietet die Bahn nicht mehr? Die Bahn argumentiert mit massiven Schulden. 2020 machte der Konzern 5,7 Milliarden Euro Verlust. Für gut 4 Milliarden Euro sei Corona verantwortlich. Dadurch ist der Schuldenberg auf rund 30 Milliarden Euro angewachsen. Das hat auch damit zu tun, dass die Fahrgäste wegblieben. In den ICE- und IC-Zügen transportierte die Bahn 2020 nur 81 Millionen Fahrgäste, 2019 waren es 150 Millionen gewesen. Mit den Regionalzügen fuhren 38 Prozent weniger Passagiere im Vergleich zu 2019. Auch in diesem Jahr wird ein Fahrgastrückgang erwartet.

Warum gibt GDL-Gewerkschaftsführer Claus Weselsky nicht nach? Weselsky zeigt sich als Anführer im Kampf derjenigen „da unten gegen die da oben“, wie er es formuliert. Als Sprecher des „kleinen Mannes“ in den Betrieben. Die Schulden der Bahn seien nicht erst durch Corona entstanden, sondern seien auf Management-Fehler der vergangenen Jahre zurückzuführen. Die Bahn verschleudere Steuergeld, indem sie im Ausland Firmen betreibe, statt sich auf das Kerngeschäft im Inland zu konzentrieren. „Es ist Zeit, dass wir Ordnung schaffen im Konzern“, sagte Weselsky zu Beginn der Verhandlungen dieser Zeitung. Der Bahnführung warf Weselsky jüngst vor, über Medien Lügen zu verbreiten und trotz „maßgeblichen Entgegenkommens“ seitens der GDL zu keiner Lösung kommen zu wollen.

Worum geht es wirklich? Weselsky geht es auch um einen Machtkampf mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Dabei spielt das Tarifeinheitsgesetz eine Rolle. Bis Ende 2020 machten die verfeindeten Gewerkschaften Tarifverträge separat mit der Bahn aus. Das geht seit Januar nicht mehr. Das Tarifeinheitsgesetz gibt vor, dass in den Betrieben mit mehreren Arbeitnehmerorganisationen der Tarifvertrag der größeren Gewerkschaft gilt. In den meisten Betrieben hat die EVG das Sagen. Die GDL fürchtet, durch das Gesetz von der EVG verdrängt zu werden. Durch hartes Verhandeln mit der Bahn-Spitze will Weselsky neue Mitglieder werben und damit mehr Macht gewinnen.

Zugleich geht die GDL gegen das Tarifeinheitsgesetz vor Gericht vor. Die Gewerkschaft klagt in 18 Fällen. Vier Niederlagen haben die Lokomotivführer schon kassiert. „Diese Prozesslawine stellt eine sinnlose Verschwendung von Ressourcen dar. Die GDL-Spitze verweigert sich auch hier der Realität“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Move, Florian Weh. Die Bahn setze mit dem Gesetz geltendes Recht um. Eine Bahn-Sprecherin forderte die GDL auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. „Eine Einigung bleibt möglich und ist eigentlich zum Greifen nahe“, sagte die Sprecherin.

Was sagen die Bahnfahrer? Grundsätzlich hat der Ehrenvorsitzende des Fahrgastverbands Pro Bahn, Karl-Peter Naumann, Verständnis für die GDL: „Jede Gewerkschaft hat das Recht zu streiken. Dass es in einem Unternehmen einen Wettbewerb zwischen zwei Gewerkschaften gibt, ist gut für die Arbeitnehmer.“ Doch man müsse die Corona-Situation beachten und den Beginn der möglichen Reisewelle. Da müsste die GDL „behutsam vorgehen“, um den Arbeitskampf nicht „auf dem Rücken von Fahrgästen auszutragen“.

Sollten Bahnkunden aufs Auto umsteigen? „Die Streiks werden länger und härter als in der Vergangenheit“, kündigte GDL-Chef Weselsky jüngst an. Wer langfristig planen wolle, habe es schwer, vermutet Pro-Bahn-Ehrenvorsitzender Naumann. Denn die GDL kündige Arbeitsniederlegungen stets sehr kurzfristig an. Ein Sprecher der GDL bestätigte dieser Zeitung, dass Streiks 24 Stunden im Voraus bekannt gemacht würden. Wann es zum Arbeitskampf komme, sei aber noch unklar. „Bei Streiks war die Bahn aber bisher kulant. Zur Not können Reisende auch auf den Flixbus umsteigen“, sagt Naumann.

Was Reisende zur Fahrpreis-Erstattung wissen müssen, steht hier.