Bei Gewitter sofort vom Fahrrad absteigen

Zwei Experten erklären, wie man sich und sein Haus bei Blitz und Donner am besten schützt

Gewitter sind für viele Menschen beunruhigend – zieht eines auf, fühlt man sich bedroht und hofft, unversehrt zu bleiben.

21.08.2017

Von Nadine Cetin

Bedrohlich und faszinierend zugleich: Eine Elektronenlawine breitet sich über der Nikomedeskirche in Weilheim aus.Bild: Metz

Bedrohlich und faszinierend zugleich: Eine Elektronenlawine breitet sich über der Nikomedeskirche in Weilheim aus.Bild: Metz

Im Kreis Tübingen ist die Blitzdichte laut dem Blitzinformationsdienst „Blids“ der Firma Siemens mit 4 Blitzen pro Quadratkilometer (1990 bis 2016) relativ hoch.

Die Zahl der Todesfälle, die durch Blitzschlag verursacht werden, ist in den letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen. Laut der Gesundheitsberichterstattung des Bundes (GBE) waren es 1980 deutschlandweit noch 24, im Jahre 2000 belief sich die Zahl auf sieben, 2015 waren es vier Personen. Dies ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass „es ein gesteigertes Bewusstsein für die Gefahren bei Blitzen gibt“, so Thomas Raphael vom VDE Blitzschutz und Blitzforschung. „Die Statistik kann also beruhigend sein.“

Physikalisch betrachtet handelt es sich bei einem Blitz um einen gigantischen Stromfluss. Eine so genannte Gewitterzelle entsteht wie folgt: innerhalb der Wolken baut sich, aufgrund der Bewegung unterschiedlich temperierter Luftmassen, ein Ladungsgefälle auf. Dabei steigen warme Luftmassen nach oben und kältere nach unten. Durch die Reibung zwischen den Massen werden kühlere Luftschichten mit negativer Ladung beladen, und wärmere Luftschichten mit positiver. Dabei entstehen starke elektrische Felder.

Die Luftschicht zwischen dem unteren Teil der Wolke und der Erdoberfläche ist zunächst isolierend. Es sind nun Teilchen aus dem Weltall (so genannte kosmische Strahlung), die einen Blitz zünden. Treffen sie auf die Luftteilchen in der Wolke, erzeugen sie freie Elektronen. Diese werden in dem enormen elektrischen Feld in der Wolke stark beschleunigt (sie erreichen bis zu 30 Prozent der Lichtgeschwindigkeit) und lösen dabei lawinenartig mehr und mehr freie Ladungsträger aus.

Gerichtet bewegte Elektronen sind nichts anderes als ein Strom. Die Elektronenlawine pflanzt sich fort – ein Blitz entsteht. Dabei wird die umgebende Luft in kürzester Zeit stark erhitzt und dehnt sich aus, was den Donner verursacht.

Die Elektronen breiten sich in die Richtung aus, in der elektrische Feldstärke am größten ist. Das ist bei höher gelegenen Objekten auf der Erdoberfläche der Fall, und es ist auch der Grund dafür, weshalb Blitze bevorzugt in hoch gelegene, metallische Objekte einschlagen (Metall besitzt allgemein eine sehr gute Leitfähigkeit).

Besser weghüpfen

Wenn der Körper vollständig von Metall umgeben, das Metall gleichzeitig geerdet ist, so wirkt eine solche metallische Hülle als so genannter Faraday-Käfig: die Ladungen fließen über das Äußere in die Erde ab. Das ist zum Beispiel in einem Auto der Fall: „Wenn der Blitz ins Auto einschlägt, wird die Energie außen über das Gehäuse in die Erde abgeleitet“, erklärt Andreas Friedrich vom Deutschen Wetterdienst (DWD). Der Diplom-Meteorologe gibt daher folgende, situationsspezifische Ratschläge:

Wer gerade am Schwimmen ist, sollte „sofort aus dem Wasser“, denn dieses leitet „besser als der Boden, und Spannungen treten in mehreren hundert Metern um die Einschlagsstelle herum auf.“ Ein Schiff hingegen wirke wiederum wie ein Faraday-Käfig, man sei darin „hinreichend geschützt“, so der Experte.

Ist man gerade auf dem Land unterwegs, beispielsweise mit dem Fahrrad, sollte man „sofort vom Fahrrad absteigen und Abstand von diesem nehmen“, da es aus Metall sein könnte. Weit weg von Bäumen (die dem Blitz einen kürzeren Weg zur Erde erlauben) sollte man „möglichst in einer Mulde in Hockstellung gehen, den Kopf auf die Knie, die Hände auf die Ohren legen. Und dabei die Füße möglichst eng beieinanderhalten.“ Das gleiche gelte für diejenigen, die sich gerade auf einem Berg befinden. Von allen metallischen Gegenständen, wie beispielsweise Kletterpickeln, solle ebenfalls Abstand genommen werden.

Wer zur Zeit des Gewitters gerade in der Stadt ist, „geht am besten sofort in das nächste große Gebäude“, denn diese seien in der Regel mit Blitzableitern ausgestattet.

Bei einem Einschlag in näherer Umgebung sollte man „besser weghüpfen statt wegrennen, da sich die Entladung über die Bodenoberfläche ausbreitet, und die Schrittweite dann eine Potentialdifferenz bedeutet, die über den Körper ausgeglichen wird.“

Im Auto sei man, wie oben bereits erläutert, relativ sicher. Am besten sollten die Insassen keine metallischen Autotüren oder metallische Bauteile berühren, die mit dem Gehäuse verbunden sind.

Wie aber sieht es aus, wenn man sich zur Zeit des Gewitters gerade zu Hause befindet? Ob man zu Hause sicher ist, sei vor allem eine Frage der Blitzschutzmaßnahmen, so Thomas Raphael. „Mir ist zwar kein Todesfall von Personen in einem Gebäude ohne Blitzschutz bekannt, man kann also erstmal relativ entspannt sein. Wenn ein Haus aber über ein Blitzschutzsystem verfügt, ist man definitiv geschützt.“ Ein solches System fungiere vor allem als Brandschutzmaßnahme. „In dem Moment, in dem ich ein Blitzschutzsystem habe, kann ich alles Metallische gefahrlos berühren“, so Raphael.

Blitzschutzsysteme sind im allgemeinen keine gesetzliche Pflicht, auch wenn §46 (Blitzschutzanlagen) der Bauordnung in bestimmten Fällen dazu verpflichtet. So müssen etwa Krankenhäuser, Hochhäuser (Gebäude, die höher als 20 Meter sind), öffentliche Gebäude wie Rathäuser, Universitäten, Kirchen und Museen, aber auch exponierte Gebäude auf Bergen mit einem Schutzsystem versehen werden. Personen, die in einem Haus ohne Blitzschutzsystem leben, empfiehlt Raphael daher, sich im Falle eines Gewitters „von allem, was Metall ist, fernzuhalten: Fensterrahmen, Heizung etc.“

Man solle auch keine elektrischen Geräte in die Hand nehmen, die eingesteckt sind. Dies liegt daran, dass ein Blitz, der direkt ins Haus oder in die nähere Umgebung einschlägt, sich über elektrische Leitungen ausbreiten kann. Aufgrund der hohen Energien können die damit verbundenen Geräte beschädigt werden (Überschlag), „bei starken Blitzen sogar durchschmoren oder explodieren“, so Friedrich vom DWD. Man solle sich auch nicht direkt unter dem Dach aufhalten, „am besten, man geht in den Keller.“

Äußerer und innerer Blitzschutz

So ein Blitzschutzsystem, erklärt Thomas Raphael „besteht aus mehreren Teilen, die alle zusammenspielen. Es lässt sich in zwei Komponenten einteilen: dem äußeren Blitzschutz und dem inneren.“ Der äußere Blitzschutz funktioniert bei direktem Blitzeinschlag ähnlich wie ein Faraday-Käfig: Drähte auf dem Dach und entlang des Gebäudes bis in den Boden hinein werden verbunden, sodass der Blitz kontrolliert fließt.

Der innere Blitzschutz ist insbesondere einer vor Überschlägen. Der Begriff ist allerdings irreführend. Gemeint ist damit folgendes: schlägt ein Blitz in unmittelbarer Umgebung ein, so entsteht, aufgrund der bewegten Ladungen ein sehr starkes Magnetfeld. Magnetfelder erzeugen in geschlossenen Leiterkreisen, beispielsweise einem ringförmigen Kupferdraht, wiederum einen Stromfluss. Wenn sich im Haus also geschlossene, metallische Kreise befinden, so werden dort starke Ströme hervorgerufen, die die Geräte, die an diesen Leiterkreisen hängen, kaputt machen oder gar in Brand setzten können. Dies wird durch Schutzgeräte, die in solche Leiterkreise im Haus eingebaut werden, verhindert.

Falls ein älteres Blitzschutzsystem im Haus installiert ist, sollte man es „am besten mal von einem unserer Blitzschutzfachkräfte überprüfen lassen“, empfiehlt Raphael.

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Erstellt:
21.08.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 21sec
zuletzt aktualisiert: 21.08.2017, 01:00 Uhr

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