Jazzer verlieren Traditionslokal

Zum Abschied ließ ein Quintett mit Martin Trostel die Zuschauer im Gewölbe nochmal richtig abheben

Ein Hauch von Wehmut grundierte den furiosen Midsummernight-Jazz am Mittwochabend im Tübinger Jazzkeller, wo sich etwa 80 Zuhörer drängten. Sein angestammtes Gewölbelokal steht dem Jazzclub künftig nicht mehr zur Verfügung.

05.08.2016

Von DOROTHEE HERMANN

„Auf absehbare Zeit“ zum letzten Mal Jazz im Tübinger Jazzkeller: Martin Trostel (am Piano) im Quintett beim Abschiedskonzert am Mittwochabend. Bild: Sommer

„Auf absehbare Zeit“ zum letzten Mal Jazz im Tübinger Jazzkeller: Martin Trostel (am Piano) im Quintett beim Abschiedskonzert am Mittwochabend. Bild: Sommer

Tübingen. Im rot und violett illuminierten Gewölbe des Jazzkellers tief unter der Haaggasse sitzt man gewissermaßen im Zentrum des Sounds. Der setzte am Mittwochabend als entspannter Sommer-Rhythmus ein, gleichmäßig befeuert durch Bass und Percussion, während Martin Trostel am Piano das starke, saxophonbetonte Intro mit einer fließenderen Note versah, zu einem zart insistierenden Percussion-Rhythmus. Die Saxophone fädelten sich so punktgenau wieder ein, dass das Ganze als Gesamtsound funktionierte, der einen abdriften lassen konnte in eine Sommer-Rêverie. Ursprünglich hat sie sich der große Dave Brubeck ausgedacht.

Der seit zehn Jahren eingeführte Midsummernight-Jazz, der den an Kultureignissen eher armen Tübinger Sommer belebt, erklang am Mittwochabend erstmals in Quintettstärke anstelle der gewohnten Quartettbesetzung. Ebenfalls eine Premiere war das Saxophon-Doppel von Markus Harm (Alt) und Sandi Kuhn (Tenor). Die beiden Musiker standen zum ersten Mal gemeinsam auf der Bühne, Sessions nicht mitgerechnet, sagte Pianist Martin Trostel, der das „auf absehbare Zeit letzte Jazzkonzert in diesen heiligen Hallen“ ankündigte. Denn der Jazzclub muss sein angestammtes Traditionslokal nach 27 Jahren verlassen, weil die neuen Pächter das Gewölbe künftig anders nutzen möchten (siehe Kasten unten rechts). Trostel freute sich, dass es zum Abschied „so knackig voll war, das richtige Kellerfeeling“. Sogar die steile Kellertreppe war meist doppelt belegt.

Selten hat man ein Ensemble auf so engem Raum gesehen. Auf der winzigen Bühne, die etwas Höhlenartiges hat, konnten sich die fünf Musiker kaum von der Stelle rühren. Damit die Zuhörer auch mal einen Blick auf den Drummer Felix Schrack im Hintergrund werfen konnten, mussten die beiden Saxophonisten mal kurz in die Knie gehen.

Die zweite Nummer stammte von Bassist Axel Kühn. „Abandoned Place“ wirkte sanfter als der Brubeck-Standard, ließ dem markanten Einsatz der Saxophone aber gleichfalls eine ruhigere Passage folgen, strukturiert von Piano, Bass und Percussion, wobei die Drums einen ganz leichten Latin-Einschlag aufwiesen und das Piano die kleine Einlage so schön tanzbar ausklingen ließ, dass es Zwischenapplaus gab. Geradezu eruptiv-pfeffrig wirkte dagegen die Interpretation der Joshua-Redman-Komposition „The Last Rites of Rock’n’Roll“. Die eingegroovten Zuhörer ließen die Musiker erst gehen, nachdem sie in dem mittlerweile ziemlich aufgeheizten Gewölbe mehr als zwei Stunden gepowert und noch die nostalgieträchtige Zugabe „Wednesday Night“ aus dem Jahr 1991 herausgehauen hatten, die Trostel seinerzeit auf dem Heimweg vom Jazzkeller in seine damalige Wohnung eingefallen war: Nach dem einleitenden, leise schwermütigen Piano-Solo kommt funkige Power durch. „Es tut uns sehr leid, hier rauszugehen“, sagte der Pianist. „Wir finden die Atmosphäre toll. Trotzdem sind wir sehr glücklich, dass wir unsere Konzerte im Club Voltaire fortsetzen können.“ Seit 1989 gab es Jazz im Jazzkeller, ergänzte Trostel am Rande des Konzerts. „Der Jazzkeller war mittwochs mein Wohnzimmer. Das war so ein Jour Fixe, für eine Session, für ein Konzert“, sagte er.

Info Beim nächsten Jazzclub-Konzert spielt das Dirik-Schilgen-Quintett („Jazz Grooves“) am Mittwoch, 14. September, um 20.30 Uhr im Club Voltaire, Haaggasse 26.

Neuer Pächter sagt: „Wir wollen keine Disco“

Am eingeführten Jazztermin am Mittwochabend haben die neuen Pächter des „Jazzkeller“ in der Haaggasse etwas Anderes vor. Was genau, wollte Seniorchef Gregor Xanthopoulos am Mittwochabend noch nicht verraten. Er hat das Lokal samt Gewölbekeller mit seinem Sohn und seinem Neffen im März übernommen, nachdem der langjährige „Jazzkeller“-Wirt Gianni Forcignano nach mehr als 20 Jahren aufgehört hatte. „Wir wollen keine Disco“, sagte Xanthopoulos. Ihm schwebt ein Lokal mit Musik-Mix vor. „Wir haben dem Jazzclub angeboten, auf Sonntag, Montag oder Dienstag auszuweichen.“ Erneuert worden seien nur die Schankanlage und die Kühlschränke. „Uns tut es eigentlich leid, dass der Jazzclub geht.“ Dessen Vorsitzender Martin Trostel bedauerte, dass er zum Abschiedskonzert sogar die Stühle schon selber mitbringen musste, weil die Sitzgelegenheiten bereits entfernt worden seien.

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Erstellt:
05.08.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 55sec
zuletzt aktualisiert: 05.08.2016, 01:00 Uhr

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