Stuttgarter Ballett

Zen oder die Kunst des Wartens

Die Compagnie tanzt wieder und huldigt Beethoven. Die Premiere im Schauspielhaus ist online zu sehen.

03.04.2021

Von WILHELM TRIEBOLD

Debütantin in Stuttgart: Tänzerin Mackenzie Brown mit Halbsolist Matteo Miccini. Foto: Stuttgarter Ballett

Debütantin in Stuttgart: Tänzerin Mackenzie Brown mit Halbsolist Matteo Miccini. Foto: Stuttgarter Ballett

Stuttgart. Ach, wenn das Stuttgarter Schauspielhaus 40 Kilometer neckaraufwärts stehen würde, wäre alles kein Problem. Dort haben die Theater während des Tübinger Modellversuchs geöffnet . Das Stuttgarter Ballett musste seine „Beethoven-Ballette“ dagegen am Donnerstag als Stream-Premiere herausbringen, mit markiger Fanfare des Sponsors Porsche.

Immerhin, im Netz waren über 1000 Zuschauer dabei. Den verdienten Applaus übernahm das Hauspersonal vor Ort, jeder jubelt für zwei. Die Auftritte vor „ganz normalem Publikum“ stehen in den Sternen. Aber immerhin, die verspätete Jubiläums-Hommage ans Musikgenie ist auch so keine halbe Sache.

Die verordnete Auszeit tut der Tanzkunst nicht gut. „Die Uhr tickt für die Tänzer“, bestätigt Ballett-Kommunikationsdirektorin Vivien Arnold. Derzeit fühle sich jeder verstrichene Monat wie ein Jahr an: „Wir haben junge TänzerInnen, die dieses Jahr in die Companie kamen, die noch keine einzige Vorstellung hatten. In einer normalen Spielzeit hätten sie schon an die 25 Mal auf der Bühne gestanden. Und außerdem ein großes internationales Gastspiel gehabt . . .“

Mackenzie Brown ist eine von ihnen. In Mauro Bigonzettis „Einssein“, dem Mittelteil des Beethoven-Abends, gibt sie ihr Debüt für den neuen Arbeitgeber. Damit dürfte sie endgültig angekommen sein, auch an der Seite der Topleute wie Elisa Badenes und Friedemann Vogel.

Bigonzettis sechstes Stück für das Stuttgarter Ballett zeigt die Stärken und Schwächen dieses Meisters der fluiden, poetisch-melodramatischen Verschlingungen, oft in nahkämpferischer Bodenlage: Acht Personen belagern einen Konzertflügel, in den Pianist Andreij Jussow drei Sätze aus unterschiedlichen Beethovensonaten hineindonnert. Daraus bilden sich Paarungen oder Laookongrüppchen, bis der Flügel zurückerobert wird. Bigonzetti bettet sein Werk durchaus in die Corona-Lage: „Einssein mit anderen Menschen. Das ist es, was wir in diesen Zeiten vermissen. Einssein mit der Musik – das ist wie deine Meditation, erhaben, vollkommen.“

Umkränzt wird die Uraufführung von zwei Meisterwerken von Hans van Manen . Van Manen gehört aufgrund seiner enormen musikalischen Hellhörigkeit zu den wenigen Choreographen, die sich an Beethoven herantrauen. Sowohl sein epochales, noch der Neoklassik verpflichtetes „Adagio Hammerklavier“ als auch die „Große Fuge“ aus den 1970er-Jahren waren jeweils 16 Jahre später ins Stuttgarter Premium-Repertoire übernommen worden und sind nun wieder zu sehen.

Gerade das entschleunigte Zeitlupenwunder des Hammerklavier-Adagios zeigt in seiner erlesenen Erstarrung, dass Spitzenkräfte zwar in der Corona-Pause kein Fett angesetzt haben, die allerhöchste Körperbeherrschung aber wohl noch fehlt. Die klassischen Posen fordern höchste Konzentration, die mit weiteren Vorstellungen schnell wiederkehren dürfte.

Das klassische Erbe wird von Choreographen wie van Manen neu übersetzt und zusammengesetzt. In seiner „Großen Fuge“ (auf das Streichquartett B-Dur op. 133) räumt er auf der weißen leeren Bühne auf, ordnet mit Modell-Athletik und der formalen Strenge eines Zen-Meisters. Das Stuttgarter Ballett, es ist wieder da. Wilhelm Triebold

Info Bis zum 5. April ist die Produktion online unter www.stuttgarter-ballett.de oder Youtube abrufbar.

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Erstellt:
03.04.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 27sec
zuletzt aktualisiert: 03.04.2021, 06:00 Uhr

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