Literaturarchiv
Zauberwort „digital“
In der Corona-Krise haben die Marbacher viel zu tun, sie sammeln und forschen. Und beschäftigen sich auch mit der Computer-Sprache.
„Digital“ und „Digitalisierung“ heißen die Zauberworte. Das ist nicht neu für die Schillerhöhe. Zunächst aber sammeln sie dort nach wie vor beschriebenes und bedrucktes Papier. Doch was kommt ins Archiv? Und was sollte besser „im Müll verschwinden“. An zwei Wochenenden in diesem Jahr werden sich 14 Schriftstellerinnen und Schriftsteller darüber Gedanken machen und vor laufender Kamera eine „Kiste für Marbach“ ein- und im Gespräch wieder auspacken.
Altmeister Hans Magnus Enzensberger jedenfalls gestand einmal dem „Spiegel“: „Eines Tages kamen zwei Herren vom Marbacher Literaturarchiv. Ich gab den beiden den Kellerschlüssel. Meinetwegen könnt ihr euch diesen Komposthaufen gern anschauen. Die haben dort zwei Tage lang gestöbert. Es stellte sich heraus: So blöd war der gar nicht, der diese Notizen geschrieben hat. Ziemlich scharf beobachtet.“
Was jetzt aktuell reinkommt – und wer auch nicht „blöd“ beobachtet: Christoph Hein. Der in Berlin lebende deutsch-deutsche „Chronist ohne Botschaft“, wie er selbstironisch sagt, hat ein Riesenwerk geschrieben und ist demnächst bei Suhrkamp neu mit seinem Roman „Guldenberg“ vertreten. Aber jetzt hat der 76-Jährige seinen Vorlass nach Marbach gegeben: Manuskripte, Arbeitsmaterialien und Briefe vor allem aus der späten DDR-Zeit, als Hein mit „Drachenblut“ oder „Die Ritter der Tafelrunde“ bekannt wurde.
Eine Reihe wichtiger Neuerwerbungen aus 2020 zählte Archivleiter Ulrich von Bülow auf: darunter das Fotoarchiv W.?G. Sebalds, das Verlagsarchiv von Philipp Reclam jun. mit nicht zuletzt 55 000 Bänden der Universal-Bibliothek aus den Jahren 1867 bis 1963. Oder auch Entwürfe, Lesenotizen und Manuskripte aus dem Nachlass von Marcel Reich-Ranicki, die zeigen, wie dessen wirkungsvolle Rezensionen entstanden. Der Großkritiker selbst setzte auf ein ausgetüfteltes System aus Signaturen und Archiv-Mappen.
Heike Gfrereis, die Leiterin der DLA-Museen, konzipiert die Ausstellungen jetzt sowieso für unterschiedliche Räume, auch weil in den nächsten Jahren in Marbach große Bauprojekte anstehen, was Flexibilität erfordert. In realen – und in virtuellen Räumen soll sich das abspielen (vom Frühjahr an auf einer neuen Plattform: www.literatursehen.com).
Virtuelle Ausstellungen
Viel Geld dafür kommt nicht zuletzt aus „Digitalisierungsinitiativen“ des Bundes und des Landes: Die Dauerausstellung („Die Seele“) des Literaturmuseums der Moderne wird überarbeitet, digitale Techniken sollen im Projekt „SchillerHochDrei“ im Schiller-Nationalmuseum eingesetzt werden. Und die Wechselausstellung „#LiteraturBewegt“ beschäftigt sich mit den Zeichensystemen eines Literaturarchivs und erzählt aus dieser Perspektive eine Geschichte der Digitalisierung. Wie spricht der Mensch mit dem Computer, wie der Computer mit dem Menschen?
Enzensbergers „Poesieautomat“ kommt dann wieder mal zum Einsatz, aber auch der Nachbau eines mittelalterlichen Computers, den um 1300 der Mallorquiner Gelehrte Ramon Llull konstruiert hatte. Ziemlich viel Zukunft also, mit oder ohne Papier – auch im bewahrenden Archiv.
Reden, Poesie und die Geschichte
Das Lyriktelefon geht von diesem Donnerstag an wieder live auf Sendung: Das Ensemble des Schauspiels Stuttgart liest Poesie von Dichterinnen und Dichtern, deren Handschriften im Marbacher Literaturarchiv gesammelt werden. Termine können online gebucht werden unter www.schauspiel-stuttgart.de/spielplan
Im Verlag Klett-Cotta erscheint am 23. Januar Jan Eike Dunkhases Geschichte des Deutschen Literaturarchivs, ein Buch über den „schwäbischen Zauberberg“ in Marbach: „Provinz der Moderne“.
Die Schillerrede 2021 hält am 7. November die Schriftstellerin Anne Weber, die im vergangenen Jahr mit „Annette, ein Heldinnenepos“ den Deutschen Buchpreis gewann.