Zahnloser Beschluss

Kommentar zu Boris Palmer und den Grünen

Mal eine provokante Frage: Warum fordern die Grünen eigentlich nicht Winfried Kretschmann zum Austritt auf?

11.05.2020

Von Roland Müller

Tübingen/Stuttgart. Immerhin streitet der Ministerpräsident derzeit für eine staatliche Prämie, die auch den Kauf von Benzin- und Dieselkarossen fördert – was so ziemlich allem widerspricht, wofür die Grünen in Sachen Ökologie und Nachhaltigkeit stehen. In Bezug auf kriminelle Flüchtlinge hat Kretschmann schon mal von „jungen, testosterongesteuerten Männerhorden“ gesprochen, die man „in die Pampa schicken“ solle. Man mag sich nicht ausmalen, was los wäre, Grünen-Außenseiter Boris Palmer würde so einen Satz raushauen.

Doch Kretschmann wird eben von der Partei geliebt – und Palmer verachtet. Nach einer Woche Rauswurf-Debatte ist der zahnlose Beschluss des Landesvorstands zum Tübinger OB vor allem ein Charakter-Urteil: Palmer solle austreten; seine Äußerungen schadeten der Partei, dienten der „persönlichen Profilierung“ – für einen Politiker ein merkwürdiger Vorwurf.

Ja, Palmer ist, neben seiner Rolle als erfolgreicher OB einer Öko-Musterstadt, eine politische Ich-AG, deren Geschäftsmodell auf medialer Provokation basiert. Er ist berauscht vom Rechthaben, der eigenen Wichtigkeit und sagt oft Dinge, die ihm selbst peinlich sein müssten. Das mag nerven, ihn für höhere Ämter disqualifizieren und kostet ihn vielleicht auch die Wiederwahl in Tübingen. Ein Grund, nicht mehr Mitglied bei den Grünen zu sein, ist es nicht.