Tübingen

Ursache und Folgen der Personalkrise im Handwerk: Joachim Eisert im Interview

Metzger schließen, Bäcker reduzieren Öffnungszeiten: Die Personalkrise trifft das Handwerk derzeit hart. Ein Interview mit Handwerkskammer-Chef Joachim Eisert.

11.03.2023

Von Eike Freese

In Bäckereien sind es oft „nur“ die Hilfskräfte, die fehlen. Doch auch dies kann zu geschlossenen Filialen führen. So, wie es in Krisen-Branchen wie den Metzgereien bereits oft vorkommt. Anders sieht es etwa im Bereich des so genannten „Klimawende-Handwerks“ aus: Hier brummt das Geschäft – doch die Betriebe können wegen Fachkräftemangels nicht so gut wachsen, wie sie möchten. Archivbild: Ulrich Metz

In Bäckereien sind es oft „nur“ die Hilfskräfte, die fehlen. Doch auch dies kann zu geschlossenen Filialen führen. So, wie es in Krisen-Branchen wie den Metzgereien bereits oft vorkommt. Anders sieht es etwa im Bereich des so genannten „Klimawende-Handwerks“ aus: Hier brummt das Geschäft – doch die Betriebe können wegen Fachkräftemangels nicht so gut wachsen, wie sie möchten. Archivbild: Ulrich Metz

Geschlossene Filialen, reduzierte Öffnungszeiten, Firmenaufgaben: So brisant wie aktuell war Personalmangel in Deutschland seit Jahrzehnten nicht mehr. Joachim Eisert, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer, findet ein wahres Labyrinth von Gründen (und einige Lösungen) für die Personalsuche in der Region.

TAGBLATT: Herr Eisert, einige Bäckereien und Metzgereien der Region haben in den vergangenen Monaten Filialen geschlossen oder Öffnungszeiten reduziert. Manche zeitweise, manche komplett. Oft ist mangelndes Personal der Grund, sagen die Betreiber.

JOACHIM EISERT: Oft ja – aber das Problem ist komplexer, als man auf den ersten Blick denkt.

Was sind die Feinheiten?

Bei den Bäckereien beispielsweise fehlen sehr oft Arbeitskräfte, die schwerpunktmäßig im Verkauf tätig sind. Das ist für mich noch kein Fachkräftemangel im engeren Sinne – es ist einfach die Tatsache, dass den Betrieben Menschen fehlen, die arbeiten wollen und können. Im Verkauf etwa ist oft ein Problem, dass es sich dabei überwiegend um Frauen mit Familienpflichten handelt, also Mütter, die vielleicht keine Kinderbetreuung finden. Viele Betriebe leiden aktuell aber auch immer noch unter hohen virusbedingten Krankenständen – und das ebenfalls oft bei den Kindern.

Und bei den Metzgereien?

Hier leidet aktuell eine ganze Branche, weil sich immer weniger junge Leute für den Beruf interessieren. Es gibt da einen regelrechten Bewerber-Einbruch. Und das, obwohl auch junge Leute hier schon gutes Geld verdienen können. Hier ist es ein gesellschaftlicher Strukturwandel – der Zeitgeist meint es nicht immer gut mit den Metzgereien. Das Handwerk steht hier irrtümlicherweise in den Augen vieler für Blut und Geruch. Das ist aber falsch: in moderne Metzgereien hat längst High-Tech Einzug gehalten. Die Arbeitsabläufe sind hochmodern. Geld, das zeigt dieses Beispiel aber eindrücklich, ist beim Fachkräftemangel eben nicht immer der ausschlaggebende Faktor.

Metzgereien sind aufgrund des von Ihnen angesprochenen Zeitgeistes vielleicht ein spezielles Phänomen.

Richtig. Branchenübergreifend etwa ist vor allem der Fachkräftemangel in Branchen mit guter Konjunktur auffällig.

Gute Konjunktur? Haben wir nicht gerade eine Krise?

In vielen Bereichen – noch – nicht. Das Jahr 2022 ist besser gelaufen, als von den meisten erwartet. Auch sind unsere aktuellen Erwartungen für 2023 nicht so eingetrübt, wie wir das im vergangenen Herbst noch befürchtet haben. Und in Berufsfeldern wie Elektro oder Sanitär-Heizung-Klima kommen die Betriebe der Nachfrage nach PV-Anlagen oder Wärmepumpen auch perspektivisch nicht hinterher. Auch aufgrund fehlenden Personals. Viele Chefs würden gerne Leute einstellen – es gibt nur viel zu wenig Fachkräfte in den genannten Bereichen.

Hier reden wir also nicht über Existenzbedrohendes, sondern eher über ein Wachstumshemmnis.

So ist es, deshalb möchte ich auch nicht ein großes generelles Wehklagen anstimmen. Grundsätzlich geht es den meisten Handwerksbetrieben bei uns in der Region erfreulicherweise gut. Speziell in den „Klimawende-Gewerken“ können wir davon ausgehen, dass diese angespannte Situation beim Personal anhält.

Wie ist es beim Bau? Da werden ja immer noch Spitzen-Preise gezahlt.

Sicher, das Bau-Hauptgewerbe hatte zuletzt eine brillante Entwicklung. Aber da merken wir gerade einen Nachfrageeinbruch zum Teil im zweistelligen Prozentbereich bei Neubauvorhaben. Inflation, Preiserhöhungen, Zurückhaltung der Kunden. Viele junge Familien haben ihre Bau-Vorhaben im vergangenen Jahr gecancelt, weil ihr Finanzierungsmodell plötzlich überholt war. Wie es hier künftig weitergeht, ist unsicher.

Wieso brennt es denn gerade an fast jeder Stelle im Nachwuchsbereich?

Ein Hauptgrund ist natürlich die Demographie. Traditionell hat das Handwerk immer über den eigenen Bedarf hinaus ausgebildet. In Krisenzeiten hat das dazu geführt, dass viele Chefs ihre Leute nicht weiterbeschäftigen konnten. Das Verhältnis hat sich jetzt umgekehrt.

Handwerkskammer-Chef Joachim Eisert. Bild: Handwerkskammer

Handwerkskammer-Chef Joachim Eisert. Bild: Handwerkskammer

Das Handwerk hat zudem für viele Leute ein Image- und Modernitäts-Problem.

Auch das muss man differenziert betrachten. So gibt es etwa einige Handwerksberufe mit ungebrochenem Kult-Status: Zimmerer etwa. Die klagen in meinen Augen noch vergleichsweise selten darüber, dass sie zu wenig Leute finden. Auch das KFZ-Handwerk ist für viele Leute attraktiv und sehr zeitgemäß, verschließt sich auch den Neuerungen der E-Mobilität nicht. Und viele Betriebe anderer Gewerke leben – egal um welchen Beruf es geht – ganz gezielt ein modernes Image, mit allem was dazu gehört. Das sind übrigens fast immer auch die, deren Lehrlinge Preise einheimsen. Daher ist es wichtig, dass wir den Jugendlichen immer wieder kommunizieren, dass auch Handwerk cool und zeitgemäß ist.

Das TAGBLATT hat jüngst über Ambitionen berichtet, mehr Gymnasiasten für das Handwerk zu gewinnen.

Früher hat nur ein winziger Teil eines Jahrgangs Abitur gemacht, die vielen anderen Schüler gingen dann gerne in Ausbildungsberufe. Schon länger sprechen wir die Abiturienten mit Erfolg an und fragen die jungen Leuten bewusst: Wenn ihr die Wahl habt, mit irgendeinem Bachelor-Studium später den ganzen Tag auf Excel-Tabellen zu gucken – oder aber kreativ in einem modernen Schreiner-Betrieb zu arbeiten: Was glaubt ihr, wo seid ihr glücklicher?

Gleichwohl ist auch für viele Eltern der Region das Studium ihrer Kinder vielversprechender als eine Ausbildung.

Stimmt – aber viele werden durch die spätere Abbrecherquote eines besseren belehrt. Auch die späteren Verdienstmöglichkeiten sind durch ein Studium nicht automatisch besser – von der Arbeitsplatzsicherheit ganz zu schweigen.

Und doch müssen sich in der jetzigen Lage sich doch zweifellos auch die Arbeitgeber bewegen. Friseure etwa sagen oft, dass Bezahlung oder geforderte Arbeitszeiten in ihrem Handwerk nicht mehr zeitgemäß seien. Bei einem im Grunde sehr „coolen“ und modernen Beruf.

Bei den Arbeitszeiten glaube ich, dass inzwischen in jeder Branche viel gefordert, aber auch viel gegeben wird. Was ich damit sagen will: Die Bereitschaft zur Flexibilität besteht durchaus auf beiden Seiten – Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Der Gesetzgeber sollte dem aber endlich durch ein flexibleres Arbeitszeitgesetz Rechnung tragen. Das muss ja nicht gleich das Ende des Arbeitnehmerschutzes bedeuten.

Und die Bezahltung?

Klar, inzwischen räumen hier sogar die Fachverbandsvertreter ein, dass es bei der Vergütung einen Nachholbedarf gibt. Das Problem: Gerade in Zeiten der Krise müssten dann bei den Friseuren auch die Preise rauf – und das in einer Branche, die hochgradig anfällig für Schwarzarbeit und Konsumzurückhaltung ist. Dieser Hinweis ist berechtigt, den Zusammenhang darf man nicht kleinreden.

Haben Sie denn einen besseren Vorschlag?

Es gibt viele Ansätze. Ich persönlich könnte mir etwa ein Konzessionssystem bei den Friseuren vorstellen, das die Zahl der Betriebe für ein Gebiet limitiert. Die verfassungsrechtlichen Hürden dafür wären aber extrem hoch. Man bedenke aber, dass die ganze Branche auch durch die etwas ungeregelte Verbreitung der sogenannten Barber-Shops unter Druck gesetzt wird: Die müssen ihre Angestellten nicht nach Tarif bezahlen, die grenzen ihre Dienstleistung nicht immer trennscharf vom Friseurhandwerk ab und bieten sie oft sehr günstig an. Einfacher zu regeln ist aber sicherlich eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Friseure über die Mehrwertsteuer: Warum zahlt man im Friseurgeschäft auf sein geschnittenes Haar zusätzlich 19 Prozent Mehrwertsteuer – im Blumenladen aber nur 7 Prozent auf Schnittblumen? Das hat mir bis heute niemand erklären können.

Zwischen Pleitegefahr und Wachstumshemmnis

Gute Konjunktur gibt es noch immer in vielen Branchen des Handwerks, andere stecken in einer Dauerkrise. Deshalb wirkt sich der allgegenwärtige Personalmangel auch sehr unterschiedlich aus. Grundsätzlich gehört Fachkräftemangel zusammen mit Lieferengpässen und Inflation zu den Hauptproblemen im Handwerk aktuell. Rund 250 000 Fachkräfte, so schätzen Experten, fehlen den deutschen Betrieben. Während sie 2002 noch rund 500 000 Lehrlinge ausbildeten, sind es zwanzig Jahre später weit unter 400 000.

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Erstellt:
11.03.2023, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 43sec
zuletzt aktualisiert: 11.03.2023, 01:00 Uhr

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