Tübingen

Wo es für uns aufhört

04.02.2017

Von Gernot Stegert

Zensur werfen uns manche Leser und Leserinnen vor, wenn ihr Brief nicht im „Sprachrohr“ veröffentlicht worden ist. Dabei ist das Prinzip der Seite von Anfang bis heute das Gegenteil: die offene Debatte, gerne auch mit zugespitzten Worten. Und, was viele nicht wissen: Wir veröffentlichen anders als die meisten Zeitungen keine Auswahl nach unserem Geschmack, sondern alle eingesandten Leserbriefe. Sofern sie bestimmte – rechtlich gesetzten – Bedingungen erfüllen, ist zu ergänzen. Diese heißen: keine falschen Tatsachenbehauptungen und keine Verunglimpfungen. Denn für beides haften wir als Verbreiter; was auch viele nicht wissen. Zeitungen dürfen – anders übrigens als Soziale Netzwerke wie Facebook – also gar nicht alles durchgehen lassen.

   Das Prüfen ist zuweilen aufwändig. Bei einigen Schreibern müssen wir Stellen streichen oder eine Überarbeitung erbitten. Mancher hat sich schon auf die Rückfrage „Wollen Sie den Leserbrief wirklich in diesem Ton veröffentlicht sehen?“ über seine eilig emotional geschriebenen Zeilen erschrocken und eine neue Version verfasst. Es gibt aber auch ein paar Unbeirrbare, die Meinungsfreiheit als Freiheit von Wahrheit und Umgangsformen missverstehen.

   Bei einer Leserbriefschreiberin haben wir jetzt die Reißleine gezogen, weil ihre Zuschriften zusätzlich nicht nur von üblichen Rechtschreib-, sondern von Tippfehlern in einem Maß wimmelten, dass man nur von „hingerotzt“ sprechen kann. Da war schon der Arbeitsaufwand für uns nicht mehr zumutbar. Bezogen auf solche Leserbriefschreiber hat Winfried Gaus sein „Übrigens“ „Von geistigen Pygmäen, Dumpfbacken und Reichslügen“ in der Montagausgabe geschrieben. Ein Tübinger dankte ihm dafür per Postkarte: „Bleiben Sie standhaft. Die große Mehrzahl der Leser wird es Ihnen danken.“ So wie die Mehrheit der Leserbriefschreiber zu unterscheiden weiß zwischen lebhafter Debatte und – mit Verlaub – Abkotzen.

   Das „Sprachrohr der Leser“ im SCHWÄBISCHEN TAGBLATT wird weiterhin das Forum im Raum Tübingen für Diskussionen sein – in breiter Vielfalt der Standpunkte und der Tonlagen. Aber nicht für Unflat.