Wo andere sich nicht rantrauen

Lightweight stellt leichte und stabile Teile für hochwertige Räder her. Ambitionierte Amateure, aber auch Goldmedaillengewinner und Weltmeister schätzen das Material der Hailfinger.

13.05.2016

Von TEXT: Johannes Schweikle|FOTOS: Erich Sommer

Wo andere sich nicht rantrauen

Auf der Werkbank ist ein Vorderrad eingespannt. Ein Arbeiter soll es verputzen. Das geht so: Er setzt seine Schutzbrille auf, nimmt ein Spezialmesser und schabt überschüssiges Harz von einer Speiche. Die Speiche besteht aus Kohlefasern und sieht zerbrechlich aus, die Felge ist ebenfalls aus Carbon. Das ganze Laufrad wiegt nur 450 Gramm, ist für ein Rennrad gedacht und stabil genug für einen Fahrer, der zwei Zentner wiegt.

Der Arbeiter kratzt gründlich alle 20 Speichen ab, bis auf dem schwarzen Gewebe kein überschüssiger Knubbel mehr zu sehen ist. Erstaunlicherweise steht der Mann nicht in einer Fabrik in Taiwan oder China. Die Firma „Lightweight“ fertigt ihre Laufräder in Hailfingen bei Rottenburg. „In jedem Laufradsatz stecken 16 Stunden Handarbeit“, sagt Erhard Wissler, „und jeder geht durch die Hände von acht bis zehn Arbeitern.“ Das Modell „Gipfelsturm“, das gerade verputzt wird, kostet 3660 Euro pro Satz. Ein Satz besteht aus Vorder- und Hinterrad. Der Rahmen, die Schaltung und alle anderen Teile, die ein Fahrrad ausmachen, sind in diesem Preis selbstverständlich nicht enthalten.

Erhard Wissler ist der Geschäftsführer und Gesellschafter von „Lightweight“. An den beiden Standorten Hailfingen und Friedrichshafen beschäftigt die Firma 65 Mitarbeiter. Pro Tag fertigen sie 30 Räder, vergangenes Jahr erzielte das Unternehmen einen Umsatz von zehn Millionen Euro. „In der Klasse über 2800 Euro sind wir Weltmarktführer“, sagt Wissler stolz. Am dunkelblauen Revers trägt er das goldene Wappen von Baden-Württemberg. Er spricht ein weiches Schwäbisch, stammt von der Alb und ist 57 Jahre alt. Der freundliche Mann hat ein volles Gesicht und ist auch um die Hüften rund. Mit superleichten Rennrädern würde man ihn nicht sofort in Verbindung bringen.

Der Wirtschaftsingenieur kam aus der Not heraus zum Radsport. „Das war für mich ein Weg zum Überleben“, gibt er unumwunden zu. 2002 übernahm er in Friedrichshafen die Firma „Carbo Fibretec“. Sie fertigte Karbonteile für die Luft- und Raumfahrt, aber nach den Anschlägen vom 11. September 2001 steckte sie in der Krise. Wissler suchte Arbeit für seine Leute, so stieß er auf die ultraleichten Karbonlaufräder des bayerischen Tüftlers Heinz Obermayer. „Auf der Messe haben Rennradfreaks diese Teile gestreichelt – ich dachte, die haben einen am Helm.“

Obermayer wollte seine kleine Manufaktur altershalber aufgeben, Wissler sah eine Aufgabe für die unterbeschäftigten Karbonspezialisten in seiner Firma, also übernahm er die Marke „Lightweight“. „Es ist mein unternehmerischer Traum“, sagt Erhard Wissler, „in meinem Segment das beste Produkt der Welt herzustellen.“ Bei den olympischen Spielen in London holte der Brite Bradley Wiggins die Goldmedaille im Zeitfahren auf Lightweight-Laufrädern.

Die Endfertigung in Hailfingen ist ein Biotop für Individualisten. An den Werkbänken stehen Männer mit kahlrasierten Köpfen neben einem Freak mit Zopf. Der Betriebsleiter ist ein gelernter Gärtner, der darum bittet, ihn Manne zu nennen, „weil Manfred scheiße klingt“ Manne Grabner ist so dünn wie eine Speiche, legt im Jahr 4000 Kilometer auf dem Rennrad zurück und hat sich das Lightweight-Logo auf seine rasierten Waden tätowieren lassen.

Die Helden der Handarbeit tragen filmreife Staubmasken. Es würde perfekt passen, wenn sie Heavy Metal hören würden. Aber in ihrer Halle ist es still. Ein großer Ofen backt geräuschlos die Karbonräder bei einer Temperatur, die als Betriebsgeheimnis verschwiegen wird. Weil es zu popelig wäre, diese Kultprodukte des Radsports mit Aufklebern vollzupflastern, wird das Signet per Laserstrahl angebracht. Man sieht Funken, die über schwarzem Gewebe tanzen, hört aber nichts.

In Wisslers Büro lehnt neben einer Grünpflanze ein großes Poster an der Wand. Es zeigt Jan Ullrich im Telekom-Trikot – auf Lightweight-Laufrädern. Wissler gehört nicht zu den Heuchlern, die den Tour de France-Sieger zum Helden überhöht haben, aber den Doper zur Unperson erklärten. Zum einen mag er Jan Ullrich immer noch und macht daraus keinen Hehl. Zum anderen hat seine Firma nicht unter der Glaubwürdigkeitskrise des Radsports gelitten. 2006 wurde Ullrich des Dopings überführt. „Seither haben wir unseren Umsatz verdoppelt“, sagt Wissler trocken.

Seine Kunden sind in erster Linie ambitionierte Amateure, die sich ihre Leidenschaft für den Radsport nicht nehmen lassen. Ursprünglich war der Materialfetischismus unter den Rennradfahrern eine männliche Angelegenheit, aber jedes Jahr sind mehr Frauen auf Lightweight-Rädern unterwegs. Außerdem ist die Firma in der glücklichen Lage, dass ihre Kunden bereit sind, für ein paar Sekunden Vorsprung am Berg vierstellige Beträge auszugeben. Wissler bewegt sich in einer Marktnische, in der Produkte nicht über den Preis verkauft werden müssen. Er sagt: „Wenn Sie über der Schmerzgrenze liegen, kommt’s nicht mehr drauf an.“

Von Anfang an verfolgt Lightweight allerdings eine rigide Verkaufspolitik: Auch die besten Rennfahrer müssen bezahlen, wenn sie diese Räder wollen. Kein Profi und kein Weltmeister kriegt sie umsonst. Der Manager von Lance Armstrong hat sich sehr gewundert, dass man auch für ihn keine Ausnahme machte. Hat dann aber doch welche gekauft, weil sie geringes Gewicht mit hoher Stabilität und besten aerodynamischen Eigenschaften verbinden.

Nächstes Jahr will Erhard Wissler in Hailfingen bauen. Er sieht die Möglichkeiten noch lange nicht ausgereizt, die in den Kohlefasern stecken. „Wir leben mit diesem Werkstoff“, sagt er mit der Hingabe eines Ingenieurs. Ambitionierte Radsportler fahren nicht nur Laufräder aus Karbon, sie brauchen auch einen Rahmen aus diesem Material. Bietet „Lightweight“ natürlich auch. Das Modell „Urgestalt“ gibt es in der Sonderausführung „German Edition“, aber wie fast alle Rahmen wird diese in Taiwan hergestellt. Die Zweiradindustrie ist sich weitestgehend einig: zu teuer, solche Rahmen in Europa zu fertigen.

Aber in Asien sind die Qualitätsschwankungen zu groß“, sagt Wissler. Deshalb sieht er die Chance, eine Produktion in Deutschland aufzubauen. 2017 will er Karbonrahmen auf den Markt bringen, Made in Hailfingen. Das Stück soll 5000 Euro kosten, dieser Preis versteht sich ohne Sattel, Laufräder und sonstiges Zubehör.

Wenn Erhard Wissler über diesen Plan spricht, klingt er nicht wie ein Wirtschaftsführer, der in erster Linie an seinen Gewinn denkt. Sondern wie ein Unternehmer, der sich für eine Aufgabe begeistert. Er sagt: „Wir machen Dinge, an die andere sich nicht rantrauen.“

Chef Erhard Wissler (links) schaut bei Mitarbeiter Manfred „Manne“ Grabner in der Werkstatt vorbei.

Chef Erhard Wissler (links) schaut bei Mitarbeiter Manfred „Manne“ Grabner in der Werkstatt vorbei.

Auf dem Prüfstand werden die Laufräder computergestützt untersucht und einem Belastungstest ausgesetzt.

Auf dem Prüfstand werden die Laufräder computergestützt untersucht und einem Belastungstest ausgesetzt.

Wo andere sich nicht rantrauen
Wo andere sich nicht rantrauen
Handarbeit made inHailfingen (Bild links). Lightweight produziert nicht in Asien, sondern in der Region. Moderne Präzisionstechnik gehört dazu: Der Meilenstein- Reifen wird durch Laser- strahl beschriftet (oben).

Handarbeit made in Hailfingen (Bild links). Lightweight produziert nicht in Asien, sondern in der Region. Moderne Präzisionstechnik gehört dazu: Der Meilenstein- Reifen wird durch Laser- strahl beschriftet (oben).

Wo andere sich nicht rantrauen

Bergzeitfahren für Jedermann

In Pfullingen kann der Radfahrer das ganze Jahr Tour de France spielen und zum Kampf gegen den Berg antreten. Die sogenannte Stoppomat-Strecke führt 4,3 Kilometer bergauf, von der Oberhausener Steige in Lichtenstein bis in die Nähe der Nebelhöhle.
Die schmale Nebenstraße ist perfekt asphaltiert
und überwindet in Serpentinen 270 Höhenmeter Albaufstieg. In einem gelben Häuschen am Start
kann man eine Karte ausfüllen, einstempeln und diese am Ziel auf die Hundertstelsekunde genau abstempeln. Die Zeitmessung ist in einem Karbongehäuse untergebracht, sponsored by Lightweight. Der virtuelle Kampf gegen die Uhr ist kostenlos und jederzeit möglich. Die Besten bewältigen das Bergzeitfahren in weniger als 14 Minuten, im Internet kann man die eigene Zeit mit den anderen vergleichen: www.stoppomat.de