Tübingen

Wissenschaft: Wie man Leichen mumifiziert

Wissenschaftler aus Tübingen, München und Kairo untersuchten die Rückstände an uralten Gefäßen, die in alten ägyptischen Werkstätten verwendet wurden.

02.02.2023

Von ST

So ungefähr könnte es in den Mumifizierungswerkstätten ausgesehen haben. Bild: © Nikola Neveno

So ungefähr könnte es in den Mumifizierungswerkstätten ausgesehen haben. Bild: © Nikola Neveno

Vor genau 100 Jahren wurde das Grab des Tut-anch-Amun mit seiner weltberühmten Mumie entdeckt. Zwar haben Forscherinnen und Forscher seitdem zahlreiche Erkenntnisse darüber erlangt, wie die alten Ägypter die Leichname für die Mumifizierung vorbereitet haben. Doch wie sie letztlich die Körper der Verstorbenen durch Einbalsamierung unsterblich gemacht haben, ist bislang nur unzureichend bekannt. Einem deutsch-ägyptischen Forscherteam ist es nun gelungen, ganz neue Erkenntnisse über die Chemie der Balsamierung zu gewinnen. Die Ergebnisse wurden im Fachmagazin Nature veröffentlicht.

Ein Forschungsteam der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München und der Universität Tübingen hat zusammen mit dem National Research Center in Kairo chemische Rückstände an Gefäßen aus einer erst im Jahr 2016 entdeckten Balsamierungswerkstatt in Sakkara unweit der Unaspyramide analysiert.

In der neu entdeckten Werkstatt mumifizierten im 7. und 6. Jahrhundert vor Christi Geburt Fachleute die Toten. Für die Ägyptologen war es ein Glücksfall, dass zahlreiche Gefäße, die die Handwerker damals verwendet hatten, noch geborgen werden konnten. Und: Die Gefäße waren mit Inhaltsangaben beschriftet, manche sogar mit Handlungsanweisungen. „Namentlich sind viele dieser Balsamierungsstoffe seit der Entzifferung der altägyptischen Schrift bekannt“, so die Leiterin der Ausgrabung, Susanne Beck von der Universität Tübingen, „aber welche Substanz sich hinter einem Namen verbarg, konnten wir bislang nur erahnen.“

Die chemischen Rückstandsanalysen an den Gefäßen erlaubten nun, die molekulare Reste jener Substanzen herauszulösen und zu identifizieren, die sich ehemals im Gefäß befunden hatten – sie gaben zahlreiche Überraschungen preis. Maxime Rageot, Archäologe der Universität Tübingen und Leiter des Analyseprojekts, betont: „Seit langer Zeit wurde die von den alten Ägyptern als ,antiu‘ bezeichnete Substanz mit Myrrhe oder Weihrauch übersetzt, doch wir konnten nun zeigen, dass sich dahinter ein bestimmtes Gemisch ganz unterschiedlicher Zutaten verbirgt, die wir mit Hilfe der Gaschromatographie-Massenspektrometrie entschlüsseln konnten.“ In Sakkara handelte es sich bei „antiu“ um eine Mischung aus Zedernöl, Wacholder-/Zypressenöl und tierischen Fetten.

Die Erkenntnisse ermöglichen es, bekannte Texte zur altägyptischen Balsamierung neu zu lesen. Der Abgleich der identifizierten Substanzen mit den Gefäßbeschriftungen erlaubte es dem Forscherteam nun erstmals, exakt zu bestimmen, welche Substanzen für bestimmte Körperteile zur Balsamierung verwendet wurden - etwa Pistazienharz und Rizinusöl ausschließlich für den Kopf. Besonders überraschend war für die Archäologen, dass der größte Teil der während der Balsamierung verwendeten Substanzen nicht aus Ägypten selbst stammt, sondern zum Teil aus dem Mittelmeerraum und sogar auch aus dem tropischen Afrika und Südostasien importiert wurde.

Neben Pistazienharz, Zedernöl und Bitumen – allesamt vermutlich aus der Levante – fanden die Forscher auch Rückstände der Harze von Dammar und Elemi. Gerade diese beiden Substanzen zeigen, wie global die Handelsbeziehungen vor fast 3 000 Jahren schon waren. Während das Harz des Elemi-Baumes aus dem tropischen Afrika oder Südostasien nach Ägypten gekommen ist, wächst der Dammar-Baum bis heute ausschließlich im tropischen Südostasien.

Der Aufwand, um an bestimmte chemische Substanzen für die Einbalsamierung zu gelangen, war also erheblich. „Vermutlich hatte die ägyptische Mumifizierung letztlich einen wichtigen Anteil daran, dass es zu einer frühen, weltweiten Vernetzung kam“, sagt Rageot. „Man musste ja in großer Menge an diese exotischen Harze gelangen.“