Grüne

„Wir wollten mehr“

Die Partei fuhr das beste Ergebnis überhaupt ein. Dennoch herrscht Ernüchterung.

27.09.2021

Von DOROTHEE TOREBKO

Freude und Enttäuschung. Bei Annalena Baerbock und Robert Habeck liegen beide Gefühle ganz nahe.  Foto: Christoph Soeder

Freude und Enttäuschung. Bei Annalena Baerbock und Robert Habeck liegen beide Gefühle ganz nahe. Foto: Christoph Soeder

Berlin. Annalena Baerbock und Robert Habeck ließen sich Zeit, bis sie in Berlin vor die Parteifreunde traten. 50 Minuten brauchten die grüne Kanzlerkandidatin und der Co-Parteivorsitzende, um ihre Gedanken zu sammeln und die Bühne zu betreten. Was dann von beiden kam, war ein ernüchtertes, zurückhaltendes Resümee. „Wir haben das beste Ergebnis in der Geschichte eingefahren“, begann Baerbock, „aber wir können nicht nur jubeln“, führte sie fort. „Wir wollten mehr“, sagte sie. Viel mehr. Sie wollten das Kanzleramt. Am Ende stand ein dritter Platz und die Enttäuschung, eine einmalige Chance verpasst zu haben.

Es stimmt. So gut hat die ehemalige Öko-Partei bei Bundestagswahlen noch nicht abgeschnitten. Im Vergleich zu 2017 hat die kleinste Oppositionspartei im Bundestag ihr Ergebnis mit rund 15 Prozent nahezu verdoppelt. Dennoch war die Freude am Sonntag in Berlin verhalten. In der Columbiahalle unweit des Flughafens Tempelhof gab es zurückhaltendes Klatschen, einige zerknirschte Gesichter auch. Gemessen an den Erwartungen war das Ergebnis eine krachende Niederlage.

Noch nie waren die Voraussetzungen für einen Wahlerfolg so gut. Das Leib- und Magenthema der Grünen, Klimaschutz, überlagerte seit Monaten vieles. Starkregen und Überschwemmungen in diesem Sommer machten den Menschen die Notwendigkeit, die Klimaschutzziele des Pariser Abkommens zu erreichen, schmerzhaft deutlich. Und dann zerlegte sich auch noch der einstige Hauptkonkurrent um Platz 1, Armin Laschet (CDU), selbst. Der Weg war frei für die erste grüne Kanzlerin. „Bereit, weil ihr es seid“, lautete das Wahlkampfmotto. Ein Großteil der Gesellschaft war bereit.

Doch offenbar war es die Partei nicht, auch nicht die Kanzlerkandidatin. Nach einem furiosen Start taumelte Baerbock durch einen Sommer voller Fehler und Entschuldigungen. Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, ließ Habeck seine Kollegin in der schwersten Stunde im Stich. Stattdessen suchte die Wahlkampfleitung nach Entschuldigungen. Die Voraussetzungen seien schwierig. Außerdem müsse Baerbock wie keine andere gegen Falschmeldungen ankämpfen. Schuld waren die anderen. Doch es nützte nichts. Die Umfragewerte stürzten in den Keller und plötzlich lag die einstige Hoffnungsträgerin nur noch auf dem Bronze-Platz.

Auf diesem ist sie nun auch geblieben. Aus der Hoffnung, auf den letzten Metern noch die Unschlüssigen zu überzeugen, wurde nichts. Doch was bedeutet dies nun für die Partei? Was für das Duo Baerbock-Habeck? Über die Zukunft der Grünen wollten am Wahlabend nur wenige reden. Nun gehe es erst einmal an die Sondierungen, die Baerbock und Habeck anführen. Die Verhandlungen werde man mit großer Geschlossenheit der Parteispitze und Fraktion führen, hieß es. Habeck meinte, zunächst werde man wohl mit der FDP sprechen, um eine gemeinsame Idee zu entwickeln. Vorbild: die Koalition in Kiel.

An einer Analyse der verpatzten historischen Chance werden die Grünen aber nicht vorbeikommen. Baerbock nahm am Sonntag bereits einen Teil der Schuld auf sich. „Ich habe Fehler gemacht“, sagte sie. Man werde „in Ruhe nach dem Wahlergebnis schauen, was wir daraus an Lehren ziehen“, sagte Bundesgeschäftsführer Michael Kellner.

Dass Baerbock über die Ergebnisse stürzen könnte, ist unwahrscheinlich. Sie ist in der Partei ausgezeichnet vernetzt. Ihr ist wie Habeck zu verdanken, dass sich die Partei nicht mehr in Flügelkämpfen zerfleischt. Ein Ministeramt ist ihr sicher, wenn die Grünen mitregieren sollten. Doch könnte sich die Rolle von Habeck wieder verschieben. Auch er strebt ein Ministeramt an. Es gibt Gerüchte, dass der Co-Parteichef nach erfolgreichen Verhandlungen ein erstes Zugriffsrecht auf ein Ministeramt hat – am liebsten würde er das Finanzministerium besetzen.

Habeck gab sich am Sonntag als Beschützer. „Es war eine Speerspitzenaufgabe, die erste grüne Kanzlerkandidatin zu sein“, sagte er. „Du hast es gestanden als Kämpferin mit einem Löwenherz“, betonte er. Arm in Arm verließen die beiden die Bühne. Dorothee Torebko