Weltfrauentag

„Wir sollten öfters ins kalte Wasser springen“

Ministerin Nicole Hoffmeister-Kraut spricht im Interview über unverschämte Fragen, Quotenfrauen und Probleme mit der Aufgabenteilung.

06.03.2021

Von CAROLINE STRANG

Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU), Wirtschaftsministerin von Baden-Württemberg. Foto: Uli Deck/dpa

Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU), Wirtschaftsministerin von Baden-Württemberg. Foto: Uli Deck/dpa

Stuttgart. Nicole Hoffmeister-Kraut hat eine steile Karriere hingelegt. 2009 in die CDU eingetreten, wurde sie nach Posten in Gemeinderat und Landtag vor fünf Jahren Wirtschaftsministerin in Baden-Württemberg. Welche Rolle spielen ihr Geschlecht und ihre Familie in der politischen Berufswelt? Und was denkt sie über ihre Vorbildfunktion, die Frauenquote und Führen in Teilzeit?

Frau Hoffmeister-Kraut, stellt man Ihnen als Frau in Ihrem Arbeitsalltag Fragen, die man einem Mann nicht stellen würde?

Nicole Hoffmeister-Kraut: Ich wurde schon gefragt, ob ich mich als „Quotenfrau“ empfinde. Das ist schlicht eine Frechheit. Und häufig kommt auch die Frage, wie ich Beruf und Familie vereinbare. Wenn ich als Ministerin auftrete, höre ich diese Frage seltener. Bin ich aber zum Beispiel im Ehrenamt unterwegs, kommt sie auch oft von Frauen. Ich wurde schon gefragt, wo denn die Kinder gerade sind oder ob ich nicht zu ihnen nach Hause gehen wolle. Als berufstätige Frau ist man oft in einem Rechtfertigungsdruck.

Werden Sie in Ihrem Berufsalltag anders behandelt als männliche Kollegen?

Einerseits habe ich das Gefühl, dass ich in bestimmten Runden eine große Wertschätzung erfahre, gerade wenn ich die einzige Frau dort bin. Andererseits gibt es eben diese kritischen Stimmen, die einem einreden wollen, dass man Beruf und Familie nicht gerecht werden kann. Da wäre mehr Verständnis und Toleranz angebracht.

Sehen Sie sich als Vorbild für andere Frauen?

Ja, Frauen in Führungspositionen sind Vorbilder für andere, weil die dadurch sehen, dass das möglich ist. Sehen gerade junge Frauen immer nur Männer in solchen Positionen, kann bei ihnen der Eindruck entstehen, dass sie es dorthin als Frau nur schwer schaffen können. Es ist sehr wichtig, dass Frauen durch ihr Vorbild andere motivieren.

Gerade in der Politik sind Frauen noch unterrepräsentiert...

Nach meinem Gefühl hat sich in der Politik schon viel getan. Die Landesregierung besteht zur Hälfte aus Frauen. Bei Wahlämtern sieht es anders aus. Da müssen wir nachlegen und mehr Frauen mobilisieren, sich für ein Amt zur Verfügung zu stellen.

In der Wirtschaft wird hart darum gerungen, wie mehr Frauen in Führungspositionen gelangen können. Was muss sich ändern?

Wir müssen die Wahrnehmung, die Unternehmenskultur, die Rahmenbedingungen weiterentwickeln. Man muss auch als Führungskraft flexibel sein können. Gerade in höheren Ebenen bringt der Job oft eine enorme zeitliche Inanspruchnahme mit sich. Wir müssen daran arbeiten, dass trotzdem Zeit für die Familie bleibt und das wertgeschätzt wird. Qualität und Leistung kann man nicht nur an der Arbeitszeit messen. Wenn man sich zwei Stunden konzentriert an ein Projekt setzt, kann das effektiver sein als fünf Stunden im Büro mit zig Kaffeepausen. Bei der Kinderbetreuung hat sich schon einiges getan, aber es muss noch besser werden. Grundsätzlich muss die Akzeptanz und Toleranz steigen gegenüber Frauen, die Familie und Beruf vereinbaren und beiden gerecht werden wollen. Das erlebe ich nur bedingt in unserer Gesellschaft.

Oft dreht sich die Diskussion nur darum, dass Mütter Beruf und Familie vereinbaren können sollten. Aber das betrifft doch genauso die Väter.

Richtig. Das Thema Vereinbarkeit betrifft beide Partner. Auch Männer sollten sich mehr Zeit für die Familie nehmen können, ohne dass dadurch die Karriere leidet. Die Herausforderung ist, dass sich beide Partner die Aufgaben so aufteilen, dass sich auch beide entwickeln können. Da brauchen wir noch eine andere Kultur. Das scheitert oft in der beruflichen Praxis, selbst wenn sich die Partner einig sind.

Ist Führen in Teilzeit sinnvoll?

Das kommt auf die Ebene und auf das Teilzeitmodell an. Selbstverständlich muss sichergestellt sein, dass man die Führungsaufgabe auch wahrnehmen kann. In vielen Bereichen funktioniert das sicherlich auch mit vollzeitähnlicher Teilzeit, zum Beispiel mit 75 Prozent. Jobsharing ist nicht einfach, aber möglich, wenn sich die Personen sehr gut ergänzen und verstehen.

Was halten Sie von Frauenquoten?

Frauen wollen und können durch Leistung überzeugen. Das gelingt bereits in vielen Unternehmen, die Selbstverpflichtungen eingehen, auch ohne Quote schon heute sehr gut. Tatsache ist aber auch: für manche Funktionen, für die zum Beispiel ein ingenieur- oder naturwissenschaftliches Studium nötig ist, fehlt es immer noch an weiblichem Nachwuchs. Da tun sich auch Unternehmen schwer, entsprechende Stellen ausgewogen zu besetzen. Die Diskussion um die Quote kann diese objektive Problematik nicht ignorieren. Deshalb müssen wir vor allem junge Frauen stärker für MINT-Berufe gewinnen. Quotenfrauen will sicher niemand. Frauen gezielt aufzubauen und in Verantwortung zu bringen, muss ein organischer Prozess sein. Wir Frauen müssen das stärker einfordern, die Gesellschaft muss Druck aufbauen und die Unternehmen stärker in die Pflicht nehmen.

Wie sonst kann man diesen Prozess beschleunigen?

Es ist wichtig, dass Frauen sich gegenseitig unterstützen, zum Beispiel durch Mentoring-Programme. Wir müssen als Frauen stärker Netzwerke knüpfen – genauso wie Männer das ganz selbstverständlich tun. Außerdem müssen wir Frauen uns selbst auch mehr zutrauen. Wir sollten öfters den Sprung ins kalte Wasser wagen und auf die Unterstützung unseres Umfeldes vertrauen.

Würde jungen Frauen mit Karrierewunsch auch eine größere Offenheit bei der Berufswahl helfen?

Mehr Offenheit wäre sicher sinnvoll. Wir müssen die jungen Frauen stärker abholen und für mehr Berufsfelder interessieren. Wir unterstützen seit Jahren Initiativen, um das Interesse an MINT-Fächern zu erhöhen. Das ist ein Prozess, an dem wir ständig dranbleiben und nacharbeiten müssen. An erster Stelle muss aber natürlich stehen: Man muss das tun, was man gerne macht.

Machen Frauen gerne Care-Arbeit? Kümmern sich lieber um Kinder und Haushalt? Zumindest machen sie es deutlich mehr als Männer...

Die Aufgaben sind häufig ungleich verteilt. Frauen wenden deutlich mehr Zeit auf für Familie und Haushalt. In diesem Bereich müssen Männer aktiver werden. Es muss ein Umdenken stattfinden. Laut Studien fühlen sich Frauen aber auch stark intrinsisch motiviert, Familienarbeit oder Pflege zu übernehmen. Trotzdem müssen Aufgaben gerechter verteilt werden, das macht die Corona-Krise gerade nochmal sehr deutlich. Ich denke, dass das Homeoffice Frauen und Männern helfen kann, Beruf und Familie besser zu vereinbaren. Das ist wirklich eine Chance, die wir auch langfristig stärker nutzen müssen.

Wobei es Studien gibt, die belegen, dass die Verteilung der Familienaufgaben gerade jetzt noch mehr an den Frauen hängt....

Zurückwerfen darf uns das nicht, das wäre fatal. Da müsste man sofort eine rote Linie ziehen. Ich sage meinen Töchtern immer, dass es wichtig ist, finanziell unabhängig zu sein. Homeoffice an sich heißt, dass man Arbeitsweg spart und Pausen zu Hause mit der Familie nutzen kann. Es bietet mehr Freiraum.

Was hat sich verändert, seit Sie ins Berufsleben eingestiegen sind?

Meine Wahrnehmung ist, dass der Fachkräftemangel in unserer prosperierenden Region Frauen hilft. Wir brauchen dringend junge Frauen, die sich beruflich engagieren und einbringen. Da haben Frauen alle Chancen, ihren Wunschberuf zu ergreifen oder Karriere zu machen. Auch wenn noch viel zu tun ist und wir nicht am Ziel sind, sind die alten Strukturen schon stark aufgebrochen.