Flut

„Wir sind immer schlechter auf Notlagen vorbereitet“

Die Vulnerabilität der Gesellschaft ist extrem hoch, sagt Professor Stephan Lambotte von der Hochschule Furtwangen. Es fehlten auch Warnsysteme.

22.07.2021

Von DAVID NAU

Ein Zufluss zur Argen bei Wangen im Allgäu führt Hochwasser. Eine Flutkatastrophe wie die in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfahlen wäre auch in Baden-Württemberg jederzeit denkbar, sagt Professor Stephan Lambotte. Foto: Felix Kästle

Ein Zufluss zur Argen bei Wangen im Allgäu führt Hochwasser. Eine Flutkatastrophe wie die in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfahlen wäre auch in Baden-Württemberg jederzeit denkbar, sagt Professor Stephan Lambotte. Foto: Felix Kästle

Furtwangen. Im Südwesten fragen sich die Menschen nach der Hochwasserkatastrophe: Hätte so etwas hier auch passieren können? Wie steht es um den Katastrophenschutz in Baden-Württemberg? Antworten gibt Sicherheitsexperte Stephan Lambotte, Professor an der Hochschule Furtwangen.

Herr Lambotte, die Lage in den Flutgebieten ist noch immer teilweise unübersichtlich. Wäre so etwas auch in Baden-Württemberg denkbar?

Stephan Lambotte: Grundsätzlich jederzeit und überall, wenn die topografischen Voraussetzungen gegeben sind. Wir haben auch im Schwarzwald Gebiete, in denen vergleichbare Niederschlagsmengen, die in kürzester Zeit fallen und nicht vom Boden aufgenommen werden können, eine Flutwelle auslösen könnten.

Warum ist die Lage auch nach Tagen noch nicht überall unter Kontrolle? War man schlecht vorbereitet?

Das ist der absolute Ausnahmezustand. Man kann für diese Extremereignisse niemals ausreichend Ressourcen vorhalten oder zum Einsatzort bringen. Deutschland ist da relativ gut aufgestellt. Wir haben mit unseren freiwilligen Feuerwehren und anderen Hilfsorganisationen viele Helfer vor Ort, die man schnell aktivieren kann. Bei einem solchen Katastrophenfall ist es „normal“, dass eine Woche nach einem solchen Ereignis noch immer Menschen vermisst werden und auch die Informationen noch immer nicht vollständig fließen. Mehr lässt sich in solchen Situationen nicht erreichen.

Wurde die Bevölkerung aus Ihrer Sicht ausreichend gewarnt?

Wenn sich die Behörden entscheiden, die Bevölkerung zu alarmieren, haben sie in weiten Teilen der Bundesrepublik das Problem, dass sie die Menschen sehr schwer erreichen können. Wir hatten mal ein flächendeckendes Sirenensystem, das nach dem Ende des Kalten Krieges in den meisten Gemeinden abgebaut wurde. Damit hat man nur noch den Rundfunk, die Apps oder muss mit dem Feuerwehrfahrzeug durch die Straßen fahren. Bei großen Katastrophenlagen gibt es dann aber gar nicht genügend Fahrzeuge und Einsatzkräfte, die eine ganze Stadt abfahren können.

Stephan Lambotte von der Hochschule Furtwangen (HFU). Foto: Hochschule Furtwangen

Stephan Lambotte von der Hochschule Furtwangen (HFU). Foto: Hochschule Furtwangen

Am besten wären also die guten, alten Sirenen?

Für diese derartig großflächigen Schadenslagen ist es das Mittel der Wahl, das technisch erprobt ist. Es gibt noch andere Systeme, die aber nicht realisiert sind.

Zum Beispiel?

Vor etlichen Jahren wurde in Baden-Württemberg und anderen Bundesländern die Rauchwarnmelderpflicht eingeführt. Es ist technisch überhaupt kein Problem, einen dieser Melder in jeder Wohnung mit einem Funkmodul auszustatten. Das wird dann in einer derartigen Lage angesteuert und macht entweder einen speziellen Ton oder schaltet gleich eine Nachricht mit entsprechenden Handlungsinformationen an.

Sind die Bürger ausreichend auf die Gefahr von Naturkatastrophen vorbereitet?

So etwas wie Trinkwasservorräte, Beleuchtungsmittel oder ein Analogradio hat kaum einer mehr. Insofern ist die Vulnerabilität unserer Gesellschaft extrem hoch. Die Gesellschaft wird immer älter, die Erfahrung aus den Kriegsjahren ist verloren gegangen, und wir sind es gewohnt, dass wir jederzeit jede Dienstleitung bekommen und deswegen immer schlechter auf Notlagen und Versorgungsunterbrechungen vorbereitet.

Ist der Katastrophenschutz in Baden-Württemberg ausreichend auf den Klimawandel vorbereitet? Da geht es ja nicht nur um Hochwasser, sondern auch um anderes, wie etwa Waldbrände.

Da arbeitet man intensiv dran und hat, glaube ich, auch die Dringlichkeit verstanden. Man plant neue Ausbildungsgänge, die Anschaffung neuer Technik oder die Neuordnung der Zuständigkeiten. Das Thema wird sehr ernsthaft bearbeitet, die Konzepte stehen aber noch nicht vollständig, bis zur vollständigen Umsetzung ist es noch ein langer Weg.

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Erstellt:
22.07.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 37sec
zuletzt aktualisiert: 22.07.2021, 06:00 Uhr

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