Kino

„Wir müssen aufwachen“

Bald ist Wahl in Bayern, vorher bringt Oliver Haffner seinen Spielfilm „Wackersdorf“ ins Kino. Ein Statement? Natürlich, sagt der Regisseur. Er will Lust auf Engagement machen.

06.09.2018

Von LENA GRUNDHUBER

Schauspielerin Anna Maria Sturm (links) war auch in der Realität demonstrieren  als Kind. Foto: Lena Grundhuber

Schauspielerin Anna Maria Sturm (links) war auch in der Realität demonstrieren als Kind. Foto: Lena Grundhuber

München/Ulm. Es ist ein bayerisches Trauma: Die Auseinandersetzungen über die atomare Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf haben sich tief ins kollektive Gedächtnis gegraben. Menschen verschiedener politischer Couleurs demonstrierten in den 80ern gegen die „WAA“. Gebaut wurde sie nie – der Protest aber erschütterte die Autorität der bis dahin allmächtig scheinenden CSU. Auch Oliver Haffner, Jahrgang 1974, kann sich gut daran erinnern. Nun hat er einen Spielfilm über „Wackersdorf“ gedreht, der kurz vor der Landtagswahl in die Kinos kommt.

Wie kamen Sie auf das Thema?

Oliver Haffner: Ich bin familiär vorgeprägt. Zwar bin ich in München aufgewachsen, doch meine Eltern kommen aus Philippsburg, wo mein Vater als Gemeinderat gegen Pläne gekämpft hat, neben dem Atommeiler eine WAA zu errichten. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen in Wackersdorf war ich elf Jahre alt und meine ältere Schwester fuhr zum Demonstrieren. Meine Eltern haben ihr Engagement zwar unterstützt, hatten aber Angst um sie, darum gab es ständig Auseinandersetzungen. Diese Atmosphäre hat man auch als Kind gespürt. Ich hab' die 80er Jahre als angstbelastete Zeit empfunden.

Wieso haben Sie einen Film darüber gedreht?

Im Zuge der Katastrophe von Fukushima habe ich festgestellt, dass es keinen Spielfilm über Wackersdorf gibt, obwohl der Protest die Geburtsstunde des zivilgesellschaftlichen Engagements in Bayern war. Als ich mit der Idee zum Produzenten Ingo Fliess kam, erfuhr ich, dass er aus der Gegend kommt. Ingo erzählte mir dann vom damaligen Schwandorfer Landrat Hans Schuierer, einer Galionsfigur des WAA-Widerstands. Wir haben viel mit ihm gesprochen und entschieden, dass er der richtige Held ist.

Was macht ihn zum Helden?

Seine große Leistung war, dass er zugab, sich geirrt zu haben. Schuierer war aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation in der Region anfangs ein Befürworter der WAA. Doch dann merkte er, dass man ihn täuscht und entschied sich um. Er ist einer, der seiner Überzeugung folgt – genau der Politikertyp, nach dem wir uns heute sehnen.

Er steht für den Protest, der sich in der Region selbst formierte.

Die Staatsregierung hat immer versucht, es so darzustellen, als wären die Demonstranten nur Chaoten, die gar nicht aus Bayern kommen. Die Realität war, dass insbesondere am Anfang 85 Prozent der Protestierenden aus der Gegend waren, oft ganz bürgerliche Leute. Auch der Hans Schuierer ist ein überzeugter Demokrat, der ans System glaubt. Doch dann merkt er: Wenn ein Projekt so durchgedrückt wird, dass Rechte gebrochen werden und unsere demokratische Grundordnung in Teilen außer Kraft gesetzt wird, dann muss etwas faul sein. Dass Recht und Freiheit so eingeschränkt wurden, hat ihn wütend gemacht.

Als ihm der Bauplan mit dem 200 Meter hohen Schornstein vorgelegt wird, umreißt er das Risiko – so selbstverständlich war das vor dem GAU in Tschernobyl nicht, oder?

Ich glaube, dass auch die Verantwortungsträger in München zum Teil nicht wussten, was sie da bauen und von der Industrie an der Nase herumgeführt wurden. Hans Schuierer hatte zwar keine höhere Schulbildung, aber sein gesunder Menschenverstand hat ihm gesagt: Wenn jemand einen so hohen Turm baut, kann das, was da rauskommt, nicht gesund sein. Er hat gespürt, dass man ihn nicht für voll nimmt. Das hat er nicht vertragen.

„Wackersdorf“ ist auch eine Geschichte über Abgehängte, ein Film über die Provinz. Das erinnert an ihren letzten Film „Ein Geschenk der Götter“, der in Ulm spielt.

Mich interessiert die regionale Verortung. Ich finde, wir könnten uns da viel vom englischsprachigen Film abgucken, der die Region als Lebensraum ernst nimmt. Deshalb haben wir uns auch sehr viel Arbeit mit der Sprache gemacht, damit nicht irgendein Bairisch gesprochen wird, sondern Oberpfälzisch.

Sie haben viel in der Oberpfalz recherchiert, wie haben Sie das erlebt?

Es ist ein anderes Bayern, rau und etwas karg, schlicht, aber auch schön. Die Oberpfalz hat so eine gewisse Weite – ich sag' immer texanischer Himmel. Wir haben alles im Landkreis Schwandorf gedreht, bis auf die Szenen im Ministerium in München. Die kleinen Rollen haben wir mit Menschen aus der Region besetzt. Auf unseren Komparsenaufruf haben sich 800 Leute gemeldet und alle erzählten ihre eigene Geschichte zu Wackersdorf. Und zwar nicht sentimental, sondern wütend!

Immer noch?

Ja, in gewisser Weise unerlöst. Es gibt Freunde und Familien, die bis heute unversöhnt sind. Bestimmt 40 Prozent der Leute wollten die WAA, andere dagegen haben den Protest sieben Jahre lang durchgehalten und teils sogar ihren Job deshalb verloren. Es existiert ein Stolz auf diese Zeit, aber sie ist auch ein Trauma.

Was macht die Leute so wütend?

Zum einen die Brutalität der Polizeieinsätze, und dass sich niemand bei ihnen entschuldigt hat. Geschweige denn gedankt! Denn wäre die WAA gebaut worden, würde ja der Dreck aus ganz Europa dort wiederaufbereitet werden. Schuierer erzählt gern, dass er der einzige bayerische Landrat nach 1945 ist, der keinen bayerischen Verdienstorden bekommen hat. Er erzählt das schmunzelnd, aber ich spüre eine tiefe Kränkung.

Schuierer hatte harte Konflikte durchzustehen. Es gibt sogar eine „Lex Schuierer“.

Schuierer wurde mit einem langen Disziplinarverfahren überzogen, das am Ende eingestellt wurde. Als er seine Unterschriften unter Genehmigungen verweigerte, änderte die Staatsregierung das Gesetz, um ihn übergehen zu können. Die „Lex Schuierer“ gibt es noch, aber sie wurde nur einmal angewendet: in diesem Fall.

Die WAA wurde nie gebaut. Wie ausschlaggebend war der Protest?

Vielleicht war der Widerstand nicht entscheidend fürs Verhindern, aber fürs Verzögern. Man muss sagen: Um Weihnachten 1985 war der Protest ziemlich erschüttert, doch dann kam Tschernobyl und es gab kein Halten mehr. Die Bilder von Wasserwerfern und Vermummten haben sich eingeprägt. Aber ich wollte nicht die Gewalt nachstellen, ich wollte zeigen, wie es dazu kam. Darum haben wir uns auf die Anfangsjahre beschränkt.

Eines Ihrer Kernthemen scheint die Demütigung zu sein. Waren es in „Ein Geschenk der Götter“ Hartz-IV-Empfänger, sind es nun die Oberpfälzer.

Ich glaube, man kann keine größere Schuld auf sich laden, als Menschen zu demütigen. Gleichzeitig liegt in der Demütigung eine Schlüsselerfahrung: Entweder man geht daran zugrunde, oder man steht auf. Oder man macht mit. Das ist für mich ein großes Thema: Wie werde ich wieder Herr einer Situation, wenn mir die Gestaltungskraft genommen ist? Das gilt sogar für die Entstehung dieses Films, dessen Finanzierung ungeheuer schwierig war. Aber jetzt weiß ich, wieso es so lange hat dauern müssen: Weil der Zeitpunkt gut ist. Ich bin sehr glücklich über diesen Beitrag im Rahmen des bayerischen Landtagswahlkampfes!

Sie verstehen Ihren Film schon als politisches Statement?

Es ist natürlich ein tendenziöser Film, dazu kann ich stehen. Ich wünsche mir, dass er Lust macht auf Engagement. Wir müssen aufwachen: Mit dem neuen Polizeiaufgabengesetz in Bayern wäre ein Protest wie in Wackersdorf gar nicht möglich, weil die Leute verhaftet wären, bevor sie die Haustür verlassen. Die Demontage des Rechtsstaats ist viel weiter vorangeschritten, als wir das im Alltag wahrnehmen.

Glauben Sie, ein solcher Protest könnte sich heute noch formieren?

Warum sind die Leute so euphorisiert beim Demonstrieren? Weil sie erleben, dass es eine andere Kraft entwickelt, gemeinsam auf die Straße zu gehen, als in sozialen Medien ihre Meinung kundzutun. Ich habe das Gefühl, es gibt eine Sehnsucht nach Gemeinschaft, und ich denke, dass das Internet als politischer Echoraum auf Dauer nicht befriedigt. Letztendlich steht der Mensch doch auf.

Regisseur Oliver Haffner. Foto: Lena Grundhuber

Regisseur Oliver Haffner. Foto: Lena Grundhuber