TAGBLATT-Spendenaktion

Willkommen im Leben, unbekannter Tod!

Emilie Blum hat einen Platz zum Sterben gefunden. Andreas Herpich versucht, das zu managen, und Diana Hegel geht bis zum Abgrund mit. Drei Geschichten, die erzählen, warum Tübingen ein Hospiz braucht.

12.01.2019

Von Lisa Maria Sporrer

Willkommen im Leben, unbekannter Tod!

Der Tod von Emilie Blum war nicht einer jener tragischen Todesfälle, die Menschen mitten aus dem Leben reißen und Angehörige ratlos zurücklassen. Sie starb so, wie sie sterben wollte, sagte ihre Tochter Bärbel Neu am vergangenem Mittwoch, dem Todestag ihrer Mutter. Ganz friedlich schlief sie ein, ohne Schmerzen, ohne Angst. Emilie Blum, 92 Jahre alt, hatte sich auf ihr Sterben eingestellt: „Der Tod gehört zum Leben, damit muss man sich abfinden. Ich hoffe nur, das er gnädig verlaufen wird.“ Der Krebs hatte sie schon Jahre lang fest im Griff.

Am 3. Dezember bekam Emilie Blum ein Zimmer im Hospiz Veronika in Eningen unter Achalm. Dieser Schritt war für sie schwer, erzählte sie kurz vor Weihnachten. „Das war eine große Entscheidung, zu wissen, nicht mehr nach Hause zu können. Sich auf die letzte Lebens-Station zu begeben.“ Bis dahin lebte sie in Bronnweiler, in dem Haus, in dem ihre Kinder aufwuchsen, ihr Mann starb und sie trotz ihren hohen Alters noch für sich Sorgen konnte. Irgendwann aber ging das nicht mehr. Alle vier bis fünf Tage füllten sich ihre Lungen mit Wasser. Mitten in der Nacht setzte zuletzt die gefährliche Atemnot ein. „Die Schmerzen könnte ich ja ertragen. Aber nicht die Angst alleine zu sein und zu ersticken.“

Neben dem Zimmer, in dem Emilie Blum ihre letzten Tage verbrachte, hat Andreas Herpich sein Büro. Ein kleiner Raum mit einem kleinen Tisch am Fenster, an dem sonst Angehörige das Gespräch suchen. Die vielen Namen in dem schmalen Ordner, den der Leiter des Hospiz auf den Tisch legt, belegen, dass in der Hospiz- und Palliativversorgung noch lange nicht alles rund läuft. Im Schnitt 500 Anfragen für Schwerkranke hat das Hospiz jedes Jahr. Sie kommen nicht nur aus den Einzugs-Landkreisen Reutlingen, Tübingen und Zollernalb, sondern auch aus Gegenden, in denen Ärzte und Hospizleiter ihre Sterbenden nicht vor Ort unterbringen können. Die stationären Hospize in Deutschland, decken bei weitem nicht die Nachfrage.

Das Hospiz in Eningen hat 100 bis 120 Gäste pro Jahr. Einige bleiben ein paar Tage, andere ein paar Monate. Aber nicht jeder Mensch hinter den Namen, die im Ordner von Herpich akribisch nach Schwere und Art der Erkrankung kategorisiert sind, findet einen Platz in einem der acht Zimmer. „Manchmal kommt es auch deshalb nie zur Aufnahme, weil die Patienten in der Klinik versterben“, sagt Herpich. Das war auch der Fall bei Ulrike Twrdy, die im Dezember auf der Palliativ-Station des Paul-Lechler-Krankenhauses auf einen Platz in Eningen gehofft hatte.

Willkommen im Leben, unbekannter Tod!

Twrdys Name stand ebenfalls in dem Reutlinger Ordner, ganz vorne, Rubrik: akut. Hinter den Namen verbergen sich aber nicht nur schwere Schicksalsschläge, sie bedeuten auch bürokratischen Aufwand. „Wir müssen je nach Patient mit den Krankenkassen einen Tagessatz verhandeln und dafür eine Kalkulation einreichen, die auch die Personal- und Sachkosten beinhaltet. Bei Frau Twrdy mussten wir außerdem erst klären, wer weiter transfudiert“, sagt Herpich. Schließlich brauchte sie zum Weiterleben täglich mehrmals Transfusionen, die aus dem Uniklinikum Tübingen geliefert wurden. Auch das musste Herpich erst mit der Krankenkasse klären. In einem Hospiz dürfen nämlich, medizinisch gesehen, keine lebensverlängernden Maßnahmen eingeleitet werden. Aber was verlängert das Leben, was nicht? Das zu definieren ist schwierig. Als die Krankenkasse die Transfusionen genehmigte, starb Twrdy im Tübinger Krankenhaus.

„Wir gehen bei der Belegung in unserem Hospiz nicht der Reihe nach vor. Wir schauen, wie akut welcher Patient einen Platz benötigt“, sagt Herpich und fügt hinzu: „Sofern wir eben freie Betten haben.“ Auf den hinteren Seiten in dem Ordner stehen Namen von Erkrankten, die sich vorsorglich für einen Platz vormerken lassen wollen. Dann, wenn ihre Krankheit so weit fortgeschritten ist, dass sie nicht mehr alleine klarkommen.

Lange wurde der Tod in der klinischen Versorgung nicht genügend beachtet. Erst in den Achtziger-Jahren wurden in Deutschland erste Hospize gegründet. Mittlerweile gibt es mehrere Einrichtungen, die Schwerstkranke und ihre Angehörigen versorgen, begleiten und auf dem letzten Stück Lebensweg unterstützen. Über 1500 ambulante Hospizdienste gibt es im Land, rund 240 Hospize. Die allerorts neu entstehenden Palliativstationen in Kliniken zeigen, dass sich das Gesundheitssystem besser auf Sterbende einrichten will.

Während sich um ambulante Hospizdienste ein Netz aus Ehrenamtlichen webt, werden mittlerweile auch Pflegekräfte in Kliniken zu Palliativ-Care-Kräften weitergebildet, eine Zusatzqualifikation, die, über die körperliche Linderung der Symptome der Patienten hinaus, den Blick schärfen soll für Empathie. „Unser Ausbildungsleiter hat immer gesagt: Wir gehen mit den Sterbenden bis zum Abgrund ein Stück mit. Wir gucken auch runter. Dann gehen wir aber wieder zurück“, sagt Diana Hegel, die als Palliativ-Care-Fachkraft auf der Palliativ-Station im Paul-Lechler-Krankenhaus arbeitet.

Die ausgebildete Krankenschwester hat Erfahrung im Umgang mit Sterbenden. 2002, ein Jahr nachdem das Hospiz in Eningen eröffnete, bewarb sie sich dort auf eine Stelle. „Noch immer stellen sich viele Leute das so vor, als ob wir uns zu den Patienten hocken und nur Händchen halten“, sagt sie. Erst einmal gehe es aber um pflegerische Maßnahmen: Körperpflege, Pumpen richten, Infusionen, Verbände. „Natürlich baut man auch Beziehungen zu den Gästen auf. Und natürlich setze ich mich auch mal an ein Bett und höre einfach zu“, sagt die 48-Jährige. Sie mache ihren Beruf mit Herzblut, Berufung aber sei er nicht.

Pflegekräfte seien anders betroffen als Angehörige, „man geht fachlicher an die Situationen ran“, sagt Hegel. Und sie weiß, dass man leicht Fehler machen kann: „Das Schlimmste ist, die Menschen nicht ernst zu nehmen und sofort nach Lösungen suchen zu wollen.“ Denn Lösungen spielen im Angesicht des Todes nur noch eine untergeordnete Rolle. „Spurlos gehen solche Situationen an niemanden vorbei.“ Ständig mit der Endlichkeit konfrontiert zu sein, muss erst gelernt werden. „Ich verabschiede mich von meinem Sohn und Mann anders als früher“, sagt Hegel, die, als sie einmal operiert werden musste, an jeden Menschen, der ihr am Herzen lag, einen Abschiedsbrief geschrieben hat.

Neun Jahre arbeitete sie in dem Reutlinger Hospiz. Dann wollte sie etwas anderes machen. „Man erlebt so viel in dieser Zeit, baut Beziehungen auf, sieht Schicksale, hält das Sterben gemeinsam aus. Ich hatte Angst, mit der Zeit abzustumpfen“, sagt Hegel. Im Paul-Lechler-Krankenhaus arbeitet sie seitdem nicht nur auf der Palliativ-Station, sondern auch in der Geriatrie, der Altersheilkunde. Im Krankenhaus merkt sie nun aber deutlich den Unterschied. Obwohl auf einer Palliativstation kompetente Leute arbeiten, Seelsorger, Therapeuten, sei die Situation in einem Hospiz eine ganz andere. „Da ist es familiärer, ruhiger, individueller. Die Menschen wissen, warum sie da sind. Das nimmt viel Hektik und Unsicherheit raus. Gäste in einem Hospiz sind überwiegend dankbar, da sein zu dürfen, das spürt man deutlich.“ Ein Hospiz, sagt Hegel, sei in Tübingen dringend nötig. Das sieht auch Herpich so: „Momentan haben wir eine Unterversorgung in der stationären Hospizpflege. Wenn es in Tübingen ein Hospiz gibt, wird das die Situation entzerren“, sagt er.

Alle drei, die Pflegerin Hegel, der Hospizleiter Herpich und Emilie Blum haben eines gemeinsam: Sie räumen dem Tod einen Platz in ihrem Leben ein. „Ich konnte mir unter dem Begriff Hospiz nicht wirklich etwas vorstellen“, hatte Emilie Blum im Dezember gesagt. „Außer der Tatsache, dass es meine letzte Station wird. Hier im Haus wird einem diese Tatsache aber sehr leicht gemacht. Hier gibt es ganz besondere Menschen, die mich immer wieder mit Kleinigkeiten überraschen, aufheitern, unterhalten.“ Zu Weihnachten hatte sie Besuch von ihrer Familie, Kinder, Enkelkinder, Urenkel. „Einen Schrecken hat das Hospiz für keinen von uns gehabt.“

Willkommen im Leben, unbekannter Tod!

Bis Ende des Monats Zeit, den Rekord zu knacken

Das geplante Tübinger Hospiz ist wahrlich ein Projekt, dass von Bürgern getragen wird, auch finanziell. Das beweisen die vielen Spender, die bisher 190594,43 Euro für die beiden Projekte der TAGBLATT-Weihnachtsspendenaktion überwiesen haben. Für beide Projekte kann noch bis zum Ende des Monats gespendet werden. Jeder Euro ist für die Projekte wichtig. Das Hospiz ist das erste Projekt der diesjährigen Weihnachtsspendenaktion, das zweite Projekt ist die Renovierung einer Wohnung der Tübinger Gesellschaft für Sozialpsychiatrie und Rehabilitation.

Spenden können Sie in diesem Jahr auf das Konto der Kreissparkasse Tübingen (IBAN: DE94 6415 0020 0000 1711 11 ). Bitte vermerken Sie, wenn Sie eine Spendenquittung benötigen (bei Beträgen unter 200 Euro akzeptiert das Finanzamt einen Kontoauszug) und schreiben Sie in diesem Fall Ihre vollständige Adresse hinzu. Vermerken können Sie auch, wenn Sie ein bestimmtes Projekt unterstützen wollen (Projekt 1 „Hospiz“ oder Projekt 2 „Renovierung“) oder wenn Sie im SCHWÄBISCHEN TAGBLATT nicht mit Namen erwähnt werden möchten.

Interview

Gisela Schneider leitet das Deutsche Institut für Ärztliche Mission (Difäm), Bauträger des geplanten Hospiz. Hier spricht sie über die Finanzierung.

Erst kürzlich hatte die Grünen-Staatssekretärin Bärbl Mielich gefordert, den Tod genauso in die Mitte der Gesellschaft zu tragen wie die Geburt. Der Bau von Frauenkliniken und Entbindungsstationen wird oft staatlich finanziert. Warum nicht auch der Bau von einem Hospiz?

Die Hospizbewegung ist ganz wesentlich durch eine Bürgerbewegung entstanden. Bis heute tragen ehrenamtlich arbeitende Hospizbegleiter erheblich dazu bei, den Tod und das Sterben als Teil des Lebens ins Bewusstsein der Bevölkerung zu rücken. Die Investitionskosten für den Bau eines Hospizes sind sehr hoch und liegen grundsätzlich beim Träger. Das Ministerium für Soziales und Integration unterstützt uns mit Mitteln des Landes Baden-Württemberg in Höhe von 80000 Euro bei der Schaffung von acht Hospizplätzen. Gleichzeitig sind wir sehr froh über die hohe Spendenbereitschaft in der Bevölkerung. Das seit 2015 geltende Hospiz- und Palliativgesetz hat die Versorgung der Menschen in diesem Bereich deutlich verbessert. 95 Prozent der Kosten einer hospizlichen Versorgung werden von den Krankenkassen getragen. 5 Prozent der Kosten sollen ganz bewusst durch bürgerschaftliches Engagement aufgebracht werden.

2014 hat das Paul-Lechler-Krankenhaus eine Palliativstation mit zehn Betten eröffnet. Letztes Jahr hat das Universitätsklinikum eine Palliativstation mit acht Betten eingerichtet. Umfragen ergeben, dass die Mehrheit der Deutschen zuhause sterben will, oft geht das aber nicht. Reichen 18 Betten auf den beiden Palliativstationen und künftig acht stationäre Betten im Hospiz aus?

Es stimmt, dass wir im Landkreis eine sehr gute palliative Versorgung haben mit den Palliativstationen, sowie der spezialisierten ambulanten palliativen Versorgung, die vom Tübinger Projekt geleistet wird. Aber es gibt Situationen, in denen das zusätzliche Angebot eines stationären Hospizes gebraucht wird. Eine Palliativstation ist allerdings kein Hospiz. Ziel unseres interdisziplinären Palliativteams ist es, die Patienten zu stabilisieren, zum Beispiel durch angemessene Schmerzmedikation oder ähnliches. Danach werden sie nach Hause entlassen und können vom Tübinger Projekt betreut werden. Eine häusliche Betreuung ist aber nicht immer möglich. So schließen wir mit dem Hospiz eine wichtige Lücke, der hospizlichen Versorgung. Dabei sollten die acht Betten ausreichen und entsprechen dem, was man für eine Bevölkerung, wie sie der Landkreis Tübingen hat, erwartet.

Den Grundstock für den Bau des Hospizes oberhalb des Paul-Lechler-Krankenhauses bilden Stiftungsgelder der Lechler Stiftungen. Rund 1,2 Millionen Euro fehlen noch für den Bau. Geld, das über Spenden finanziert werden soll. Sollte das Geld aus der Breite der Bevölkerung zusammen kommen, wäre es auch finanziell ein bürgerschaftliches Projekt. Glauben Sie, das wird gelingen?

Davon bin ich sehr überzeugt. Wir erleben es gerade bei Ihrer TAGBLATT-Weihnachtsspendenaktion und an dieser Stelle möchte ich allen Spenderinnen und Spendern schon einmal ganz herzlich für ihr Engagement und ihr Vertrauen danken. Jeder und jede kann in eine Situation kommen, in der wir genau so eine Einrichtung brauchen, und ich bin überzeugt, dass viele Menschen bereit sind, sich dafür zu engagieren. Die TAGBLATT-Aktion ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Wege, die 1,2 Millionen Euro zu erreichen. Am Ende bleibt natürlich ein Risiko, das wir als Verein tragen. Aber wir sind sehr zuversichtlich und spüren, dass viele Menschen unser Anliegen teilen.