Wahlrecht

Wie viele Politiker braucht das Land?

Droht ein aufgeblähter Landtag? Oder braucht ein Flächenland viele Abgeordnete. Darüber wird debattiert. Grüne und CDU haben Pläne für eine Reform ausgearbeitet.

23.10.2021

Von Theo Westermann

Im Plenarsaal im Landtag von Baden-Württemberg debattieren Abgeordnete. Wird sich ihre Zahl weiter erhöhen? Foto: Bernd Weißbrod/dpa

Im Plenarsaal im Landtag von Baden-Württemberg debattieren Abgeordnete. Wird sich ihre Zahl weiter erhöhen? Foto: Bernd Weißbrod/dpa

Stuttgart. Die Debatte um ein neues Landtagswahlrecht nähert sich dem Ende. Ende Oktober treffen sich die Fraktionsvorsitzenden der Regierungsparteien Grüne und CDU mit den Chefs von SPD und FDP zu einem abschließenden Gespräch. Dann soll ein entsprechender Gesetzesentwurf in den Landtag gehen. Im Koalitionsvertrag haben Grüne und CDU ein neues Wahlrecht vereinbart. Dazu die wichtigsten Fragen und Antworten.

Wie sieht das Landtagswahlrecht bisher aus? Bisher gibt es in Baden-Württemberg ein Einstimmenwahlrecht. Der Landtag besteht aus den Gewinnern der 70 Wahlkreise, 50 Mandate werden durch die Zweitauszählung der Stimmen auf Regierungsbezirksebene verteilt. Diese Zahl kann sich durch den mathematisch notwendigen Ausgleich zwischen Wahlkreissiegern und Stimmverhältnissen der Parteien erhöhen. Dabei spielt eine Rolle, wie viele Parteien die Fünfprozenthürde überspringen. Aktuell hat der Landtag 154 Abgeordnete bei fünf Fraktionen. Bis 1984 waren es noch 124 Mandate. Als 1992 die Republikaner als damals fünfte Fraktion in den Landtag einzogen stieg die Zahl auf 146.

Was sind Vorteile, was Nachteile des bisherigen Wahlrechts? Es ist ausgesprochen basisdemokratisch, da es den Einfluss der Parteiführungen stark begrenzt. Kandidaten und Kandidatinnen werden ausschließlich vor Ort aufgestellt. Für die Parteiführungen war nie genau zu kalkulieren, wer in der Zweitauszählung zum Zug kommt. Nachteil ist, dass übergeordnete Gesichtspunkte wie ein ausgeglichener Frauenanteil im Wahlkreis zu klären sind – und deshalb oft zu kurz kamen.

Was sind die Kernpunkte des geplanten Landtagswahlrechts? Es ist ein Zweistimmenwahlrecht. Die Zweitstimme bestimmt die Stärke einer Partei im Landtag. Die ihr nach dem Stimmenanteil zustehenden Mandate werden zunächst mit den Wahlkreissiegern besetzt, dann werden weitere Mandate über die neuen Landeslisten verteilt. Wie bisher entsteht dabei der Mechanismus von Überhang- und Ausgleichmandaten. Es gibt keine Zweitauszählung auf Regierungsbezirksebene mehr, damit auch keinen regionalen Ausgleich. Mit den Landeslisten will man den Anteil von Frauen und jungen Leuten steigern, allerdings ist dies nicht rechtlich festzuschreiben. Der Anteil von Frauen im aktuellen Landtag liegt bei 29,2 Prozent.

Braucht die Regierung die Zustimmung der Oppositionsparteien? Nur für die geplante Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre auf jeden Fall. Grüne und CDU verfehlen die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit im Landtag knapp. Die Regierungsparteien haben erklärt, dass eine Reform auf einem breiten Fundament stehen soll.

Die Vorstellung eines zu großen Landtags treibt die Parteien um. Wie sehen die Rechenmodelle aus? Diese Sorge gibt es. Aber: Ein größerer Landtag ist ein Resultat veränderten Wählerverhaltens. Berechnungen, etwa des Innenministeriums auf der Basis des Wahlergebnisses von März 2021, sehen keine gravierdenen Veränderungen. Ein mögliches unterschiedliches Stimmverhalten bei Erst- und Zweitstimme wurde nicht mit berechnet. Die CDU-Fraktion hat ein Gutachten eingeholt, das Differenzen zwischen Erst- und Zweitstimme einkalkuliert, und kann ebenfalls keine zentralen Veränderungen feststellen. Die Grünen verweisen darauf, dass vor allem die Zahl der im Landtag vertretenen Parteien die Größe beeinflusst.

Die FDP hat vorgeschlagen, die Wahlkreise zu reduzieren. Was verspricht sie sich davon? Die FDP hat gerechnet und „extreme Annahmen getroffen“. Auf der Basis eines Landtags mit sieben Parteien (aktuell fünf) und nah beieinanderliegenden Parteiergebnissen kommt sie auf 267 Mandate. Eine Reduzierung der Wahlkreise von derzeit 70 auf 60 ergibt bei gleicher Rechnung eine Einsparung von 41 Mandaten. Die FDP räumt ein, dass weniger Wahlkreise einen großen Landtag im Extremfall nicht ausschließen und führt neben dem Treiber Stimmensplitting die kräftemäßige Angleichung der Parteien an. Es gibt aber Signale der FDP, die Wahlkreisfrage am Ende nicht zum Knackpunkt zu machen.

Was halten die anderen Parteien von der Idee der FDP? CDU, Grüne und SPD sehen darin einen wenig durchdachten Schnellschuss. So befürchtet der Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz, dass diese Debatte die Reform massiv kompliziere und verzögere. Die Größe des Landtags habe nichts mit dem Wahlrecht zu tun, sondern mit der Frage, wie viele Parteien im Landtag sind, und mit welchen Ergebnissen die Wahlkreise gewonnen werden.

Warum ist es nicht so einfach, die Zahl der Wahlkreise zu senken? Die Zahl müsste spürbar sinken, zum Beispiel auf 40 Wahlkreise. Jenseits einer Debatte um Besitzstandswahrung von Parteien mit vielen Wahlkreissiegern stellt sich dabei die Frage, ob dies einem großen Flächenland angemessen ist. Die Abgeordneten sehen sich als Kümmerer vor Ort und in aller Regel sind sie es. Einschnitte in Strukturen sind immer mit Emotionen verbunden, Veteranen der Landespolitik erinnern sich an die Auseinandersetzungen um die Gebietsreform in den 70er Jahren. Nach den Wahlkreisen könnte man ja auch die Kreise oder Gemeinden auf den Prüfstand stellen. Was aber keiner tun will.