Duell

Wie viel Flächenfraß?

Die regionale Wirtschaft braucht Gewerbeflächen, um in Boomzeiten weiter mithalten zu können. Doch oft kommen dafür nur wertvolle Ackerböden oder Wiesen in Frage. Wie sparsam damit umzugehen ist, darüber sind die Oberbürgermeister von Tübingen und Rottenburg, Boris Palmer und Stephan Neher, unterschiedlicher Meinung.

23.06.2017

Von TEXT: Gernot Stegert | FOTO: Archivbild Erich Sommer

Die Oberbürgermeister von Tübingen und Rottenburg, BorisPalmer (links) und Stephan Neher (rechts) im Streitgespräch.

Die Oberbürgermeister von Tübingen und Rottenburg, Boris
Palmer (links) und Stephan Neher (rechts) im Streitgespräch.

Derzeit werden allerorten die Flächennutzungspläne überarbeitet. Sie legen fest, welche Gebiete in den nächsten Jahrzehnten bebaut werden dürfen.

Herr Neher, Rottenburg hat 248 Hektar
Gewerbefläche, weitere 30 Hektar sind geplant.
Wozu braucht die Stadt so viel Fläche?

Stephan Neher: Wir sind derzeit nicht an der Überarbeitung des Flächennutzungsplans, sondern entwickeln bzw. diskutieren über Flächen, die sich im bisherigen Flächennutzungsplan befinden. Lediglich in der Kernstadt wird über neue Flächen gesprochen. Da verfügen wir nur noch über ca. drei Hektar städtische Flächen für Gewerbe. Eine Ansiedlung oder Erweiterung bestehender Betriebe ist somit fast nicht mehr möglich. Für die Kernstadt soll ein neues Gewerbegebiet gefunden werden, derzeit werden vier Standorte untersucht. Die Größen hierbei sind verschieden.

Herr Palmer, Sie wollen zehn Hektar neue
Gewerbefläche, das ist im Vergleich zu
benachbarten Kommunen wenig, reicht das
für die boomende Tübinger Wirtschaft?

Boris Palmer: Ja. Wir wirtschaften viel sparsamer mit den Flächen als unsere Nachbarn und verdichten vorrangig im Bestand. Im letzten Jahr haben wir auf diese Weise 1500 neue Arbeitsplätze in der Stadt geschaffen. Aber ganz ohne neue Gewerbefläche wird es wohl nicht gehen.

Neher: In Rottenburg gilt der Grundsatz, ca. 50 Mitarbeiter pro Hektar. Ich glaube, das ist ein sehr guter Wert für einen sparsamen Umgang mit Gewerbeflächen.

Palmer:Ich will da nicht streiten, aber mit 50 Arbeitsplätzen pro Hektar hätten wir alleine letztes Jahr 30 Hektar benötigt.

Neher: Die erste Frage ist doch immer, ob ich als Stadt überhaupt über die Flächen verfügen kann. Wenn Flächen im privaten Besitz sind, haben sie als Stadt nur wenig Einfluss auf die weitere Verwendung.

Palmer: Dann muss man mit den Eigentümern reden, über Bebauungspläne neue Möglichkeiten schaffen oder auch mal kaufen und verkaufen. Klar, geht nur mit aktiver Politik und ist sehr schwierig. Aber es geht.

Neher: Machen wir. Dennoch gibt es Eigentümer, die nicht verkaufen wollen oder die Fläche für eine Erweiterung des eigenen Betriebes vorhalten.

Palmer: Ich verkenne dabei nicht, dass die Tübinger Wirtschaft andere Anforderungen hat als die in der Umgebung. IT-Firmen wollen nahe an der lebendigen Altstadt sein, damit die Mitarbeiter sich wohl fühlen. Dann bauen die auch mal sechsgeschossig auf Brachen.

Neher: Vor ein paar Jahren hat Somfy genau die Fläche bebaut, die sie ca. 20 Jahre als Optionsfläche vorhielten.

Palmer: Gutes Stichwort. Somfy musste Tübingen verlassen, weil es hier keine Fläche gab. Das sollte sich nicht wiederholen.

Neher: Auch dies ist in Rottenburg der Grund, wieso wir neue Flächen benötigen. Heute schon weichen Firmen in umliegende Gemeinden aus, selbst Handwerksbetriebe.

Palmer: Dagegen ist nichts einzuwenden.

Aber Sie wollen auch Betriebe ansiedeln,
Herr Neher, oder?

Neher: In der Tat. Als Stadt mit ca. 43000 Einwohner haben wir derzeit nur ca. 9300 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Das muss sich verbessern. Zu viele Menschen müssen auf die Straße, um zur Arbeit zu kommen.

Palmer: Da unterscheiden sich unserer Städte. Wir haben mittlerweile 45000 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigte, und Flächen sind so knapp, dass wir keine Betriebe von außen ansiedeln können und wollen. Wir brauchen jeden Quadratmeter für Tübinger Firmen.

Könnten Sie sich ein interkommunales
Gewerbegebiet Tübingen-Rottenburg vorstellen?

Neher: Grundsätzlich ja, Zusammenarbeit in der Region ist immer vorteilhaft. Die entsprechende Fläche dürfte aber nur schwer zu finden sein, im Neckartal fällt mir da keine geeignete Fläche ein.

Palmer: Ich sehe das ähnlich. Ich finde die Grünzüge und Freiräume zwischen den Ortschaften sehr wichtig. Würden wir uns zum Beispiel am Gebiet Herdweg beteiligen, wäre das nach meiner Meinung ökologisch und verkehrlich schlechter, als wenn wir zehn Hektar eigene Fläche im Tübinger Stadtzentrum ausweisen. Und am anderen Ende der Stadt, in Kirchentellinsfurt, wird ebenfalls über 30 Hektar diskutiert. Für deren Bedarf ist das ok, aber nicht als Alternative für die Tübinger Betriebe.