Tübingen · Umwelt

Wie man Stickstoff reduzieren könnte

Ein Tübinger Wissenschaftler empfiehlt schärfere Grenzwerte und nachhaltige Landwirtschaft, mahnt aber auch mehr Bewusstsein bei den Konsumenten an.

18.01.2023

Von ST

Über die Gülle gelangt das Nitrat ins Grundwasser.Bild: ©Rainer Mueller, Adobe Stock

Über die Gülle gelangt das Nitrat ins Grundwasser.Bild: © Rainer Mueller, Adobe Stock

Seit Jahren überschreitet Deutschland die Grenzwerte der EU für Nitrate im Grundwasser. Auf jedem Hektar landwirtschaftlicher Fläche fallen jährlich 92 Kilogramm Stickstoff-Überschuss an. Insgesamt sind es in Deutschland rund 1,5 Millionen Tonnen Stickstoff, die in die Atmosphäre und den Wasserkreislauf gelangen. Mit fatalen Folgen: So gibt es in Nord- und Ostsee aufgrund der stickstoffreichen Süßwasser-Zuflüsse seit vielen Jahren eine Nährstoffanreicherung und ein verstärktes Algenwachstum. Zudem ist Stickstoff auch ein hochwirksames Treibhausgas. Als Lachgas entweicht es in die Atmosphäre und ist dort 298-mal so wirksam wie CO2, auf die Menge bezogen macht es einen überproportionalen Teil des menschengemachten Treibhauseffektes aus.

Mit der Studie „Nachhaltige Stickstoffnutzung in der Agrarwirtschaft“ haben jetzt Experten der Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech) unter Leitung des Tübinger Geomorphologen Prof. Thomas Scholten Vorschläge für eine Begrenzung des Düngers gemacht. Unter anderem empfehlen sie schärfere Grenzwerte, Anreize für nachhaltige Bewirtschaftung, eine präzisere Düngung verbunden mit einer Bepreisung von Stickstoffüberschüssen und mehr Transparenz für Verbraucherinnen und Verbraucher.

Zunächst aber müssen nach Einschätzung der Experten durch nachhaltige Bewirtschaftungsstrukturen in weitgehend geschlossenen Kreisläufen die Stickstoffüberschüsse speziell im konventionellen Landbau gesenkt werden. Um das zu erreichen, sollten verschiedene Ansätze kombiniert und mit Forschung weiterentwickelt werden. Thomas Scholten: „Landwirte können sich für artenreiche Fruchtfolgen mit Leguminosen und Zwischenfrüchten entscheiden und gleichzeitig ihren Einsatz von Mineraldünger gezielt reduzieren.“ Zudem sei es wichtig, ökologische Landwirtschaft auszuweiten, wo keine chemischen Stickstoffdünger eingesetzt werden. „Bei Getreide bringt der Ökolandbau geringere Erträge als der konventionelle Anbau. Deshalb ist auch der Flächenbedarf im Verhältnis zum Ertrag größer. Ertragslücken im Ökolandbau zu schließen, ist eine dringliche Forschungsaufgabe.“

In einigen Regionen Deutschlands sorgen die geballt angesiedelte Nutztierhaltung und daraus anfallender Wirtschaftsdünger für sehr hohe Stickstoffüberschüsse. Die Politik müsse die Rahmenbedingungen für den Umbau der Nutztierhaltung so setzen, dass Tierwohl und verringerte Stickstoffüberschüsse Hand in Hand gehen. Dazu trage auch eine stärkere Vernetzung von Tierhaltungs- und Marktfruchtbetrieben bei.

Moderne Landtechnik und Sensortechnologien, verbunden mit Datenmanagementsystemen, KI und Modellierungen machten es möglich, lokale Gegebenheiten, auch innerhalb eines Feldes, bei der Düngung zu berücksichtigen. Mit „Precision Farming“ ließen sich so gezielt die Teilflächen düngen, für die dies nachhaltig sinnvoll und nutzenbringend ist. Analog zu Precision Farming biete sich auch Precision Feeding an, also stickstoffminimierte und bedarfsgerechte Tierfütterung.

Ansetzen können man aber auch bei den Konsumenten. Thomas Scholten: „Wenn wir weniger Lebensmittel wegwerfen, müssen wir weniger Lebensmittel produzieren, was wiederum die Umwelt schont.“ Der Experte rät aber auch, „sich gesund und umweltfreundlich zu ernähren – also zum Beispiel weniger Fleisch zu essen und stärker auf die nachhaltige Erzeugung und Herkunft zu achten.“

Die Akademie, die Politik und Gesellschaft berät

Acatech, die „Deutsche Akademie der Technikwissenschaften“ (acatech) berät Politik und Gesellschaft, unterstützt die innovationspolitische Willensbildung und vertritt die Technikwissenschaften international. Ihren von Bund und Ländern erteilten Beratungsauftrag erfüllt die Akademie unabhängig, wissenschaftsbasiert und gemeinwohlorientiert. acatech soll Chancen und Risiken technologischer Entwicklungen deutlich machen und setzt sich dafür ein, dass aus Ideen Innovationen und aus Innovationen Wohlstand, Wohlfahrt und Lebensqualität erwachsen. Die Mitglieder der Akademie sind namhafte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Ingenieur- und den Naturwissenschaften, der Medizin sowie aus den Geistes- und Sozialwissenschaften. Die Senatorinnen und Senatoren sind Persönlichkeiten aus technologieorientierten Unternehmen und Vereinigungen sowie den großen Wissenschaftsorganisationen.

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Erstellt:
18.01.2023, 18:34 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 42sec
zuletzt aktualisiert: 18.01.2023, 18:34 Uhr

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