Mit Engelszungen… über das Schlüpfen in schlüpfrige Rollen

Wie ich fast im Bordell gelandet wäre

Würden Sie sich zum Zwecke einer Malaria-Studie Tübinger Forscher lebendige Erreger der Krankheit zusammen mit einem Gegenmittel spritzen lassen, wenn Sie dafür 2500 Euro bekämen?

15.03.2017

Von Judith Röschner

Ein Kinofilm nach Brechts „Dreigroschenoper“ wird seit Anfang März unter anderem in Metzingen und Pfullingen gedreht, wo Brecht angeblich gezeugt wurde. Weitere Drehorte sind bis Ende April in Berlin und Belgien. Regisseur Joachim A. Lang, der sich bereits in „Brecht – die Kunst zu leben“ mit dem Klassiker befasst hat, nimmt sich nun mit seinem „Dreigroschenfilm“ eines Theaterstücks Bertolt Brechts an: Der Streifen, der vom Südwestrundfunk coproduziert wird, verbindet die „Dreigroschenoper“ mit der Entstehungsgeschichte von Brechts nie verfilmtem Drehbuch dazu und seinem „Dreigroschenroman“. Lang lässt den Schriftsteller höchstpersönlich auftreten: Schauspieler Lars Eidinger übernimmt Brechts Rolle. Weitere Hauptrollen spielen Tobias Moretti, Hannah Herzsprung und Joachim Król. Nicht nur die Wissenschaft stellt uns manchmal vor Entscheidungen, die uns dazu bringen, unsere persönliche Schmerzgrenze angesichts einer verlockenden Geldsumme noch einmal zu überdenken. Kürzlich bekam ich per E-Mail mehrere Anfragen für Statisten-Rollen. Eine davon sollte mir an nur einem Drehtag 400 Euro bringen. Auch hier hatte das Vergnügen einen Haken– doch hatte dieser nichts mit einer gefährlichen Krankheit zu tun.

Die E-Mails kamen von einer Agentur, bei der ich mich kurz zuvor beworben hatte. An einer Reutlinger Bushaltstelle hatte ich einen unscheinbaren Aushang gesehen: „Für einen internationalen Kinofilm werden Männer und Frauen jeden Alters als Komparsen gesucht“. Weiter hieß es, Mitwirkende erhielten mindestens 88 Euro Tagesgage. Es seien Rollen als Gangster, Tänzer, Polizisten und „vieles, vieles mehr“ zu vergeben.

In einer der Mails der Agentur stand nun genauer, was „vieles, vieles mehr“ bedeuten konnte: Als „sehr attraktive Hure wärst du entweder oben ohne oder komplett nackt unter einem transparenten Kleid zu sehen“, lautete die Figurenbeschreibung. Außerdem wurde mir ein „tolles Kostüm“ versprochen, das ich mir in diesem Zusammenhang jedoch nicht recht vorstellen konnte. „Wenn meine Kinder so etwas machen, dann hoffentlich erst, wenn ich tot bin“, kommentierte mein Vater das Jobangebot. Mein Bruder hingegen, selbst erfahrener Komparse, störte sich weniger an der Freizügigkeit der Rolle, als vielmehr an der Bezahlung: „Für die Anforderungen sind 400 Euro dann doch recht wenig“, fand er.

Durch meinen Bruder weiß ich auch, dass man beim erwartungsvollen Anschauen des fertigen Filmes manchmal den Finger auf der Pause-Taste der Fernbedienung bereithalten muss, um sich überhaupt selbst im Fernsehen entdecken zu können. Bei einem Nackedei-Auftritt könnte diese Ernüchterung dann plötzlich zur Erleichterung werden. Doch wer weiß, ob man als Hure auch nur flüchtig auf der Bildfläche erscheinen würde?

Selbst wenn, dann blieben trotzdem noch mindestens zehn Stunden am Drehtag, die man in einem „tollen Kostüm“ mit völlig fremden Leuten verbringen müsste. Zugegeben, völlig fremd vielleicht nicht, denn mit Lars Eidinger, Joachim Król und Hannah Herzsprung ist der Film durchaus prominent besetzt. Was wiederum die Hoffnung schwinden lässt, dass niemand von dem Streifen Wind bekommt.

Ich jedenfalls fand es spannend, buchstäblich am eigenen Leib zu erfahren, wie Geld den Schutz der Intimsphäre plötzlich in Frage stellen kann. Zum Glück nahm mir meine schon gebuchte Londonreise die Entscheidung über das Angebot ab. Welch komischer Zufall, dass der „Dreigroschenfilm“, für den mir diese Rolle angeboten wurde und der teils in der Region gedreht wird, unter anderem im Londoner Untergrund spielt.