Stuttgart/Tübingen

Bahnunternehmen im Insolvenzverfahren: Wie geht es weiter mit Abellio?

Das private Bahnunternehmen Abellio, das auch die Strecke Stuttgart-Tübingen bedient, befindet sich im Insolvenzverfahren und könnte den Betrieb Ende Oktober einstellen. Das Land will das verhindern, stellt sich aber langfristig auf eine andere Lösung ein.

15.09.2021

Von Theo Westermann

Noch fahren die Züge des privaten Bahnbetreibers Abellio in Baden-Württemberg. Die Frage ist, wie lange noch, denn das Unternehmen steckt in großen finanziellen Problemen. Foto: Sebastian Gollnow

Noch fahren die Züge des privaten Bahnbetreibers Abellio in Baden-Württemberg. Die Frage ist, wie lange noch, denn das Unternehmen steckt in großen finanziellen Problemen. Foto: Sebastian Gollnow

Die Krise des Regionalzugbetreibers Abellio ist weiter ungelöst – nun stehen für Baden-Württemberg nach Informationen unserer Zeitung Entscheidungen an, die für das Land mit zusätzlichen Kosten verbunden sind. Die Uhr dafür tickt, auf eine Eskalation will man es nicht ankommen lassen. Ein Fortführungsvertrag, der in den nächsten Tagen abgeschlossen werden soll, soll verhindern, dass Abellio zum 1. Oktober auf seinen Linien in Baden-Württemberg den Verkehr einstellt.

Dafür mühen sich hinter den Kulissen das Verkehrsministerium, Anwaltskanzleien sowie die Insolvenzverwalter der Kanzlei Eckert in Hannover. Den 1. Oktober 2021 für eine mögliche Einstellung des Verkehrs hatte Insolvenzverwalter Rainer Eckert jüngst öffentlich in den Raum gestellt. Offenbar ist ein Kompromiss zustande gekommen, was das Defizit für das zweite Halbjahr 2021 angeht. Das Land wie Abellio müssen Geld auf den Tisch legen; genaue Zahlen sind öffentlich nicht bekannt.

Zahlreiche Kanzleien involviert

Alleine auf Seiten von Abellio mit seinen deutschen Regionalgesellschaften bis zum Mutterkonzern Nederlandse Spoorwegen, die staatliche Eisenbahngesellschaft der Niederlande, sind bis zu sechs Anwaltskanzleien aktiv. Auch das Land hat für diese komplexe Materie Juristen außerhalb des eigenen Ministeriums beauftragt – was weitere Kosten bedeutet. Der Fortführungsvertrag soll den Betrieb auf den von Abellio bedienten Strecken zumindest bis zum Jahresende sichern.

Auch die Abellio-Regionalgesellschaft Baden-Württemberg ging im Juni in die Insolvenz. Seither müht sich das Land in diesem Schutzschirmverfahren, einen Totalausfall des Betreibers im öffentlichen Nahverkehr zu vermeiden. Eckert zeigte sich vor wenigen Tagen gegenüber der „Rheinischen Post“ überzeugt, es gebe gute Chancen, auch mit der baden-württembergischen Landesregierung eine Vereinbarung zum Fortbetrieb treffen zu können.

Alle Zeichen deuten aber darauf hin, dass es nach dem 1. Januar 2022 im Land nicht mehr mit Abellio weitergeht. Bereits im Juni hatte Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) äußerst verstimmt auf ein Schreiben des niederländischen Verkehrsministers reagiert, als jener ultimativ die Übernahme zusätzlicher Kosten verlangte und mit dem Rückzug aus Deutschland drohte.

Abellio begründet seine Schieflage mit höheren Personalkosten und Kosten für Schienenersatzverkehre und Strafzahlungen wegen Zugausfällen oder nicht erreichter Pünktlichkeitsvorgaben. Solche Mehrkosten seien nicht vorhersehbar gewesen, als Abellio die Verkehrsverträge unterschrieben habe. Bereits seit einem Jahr liefen Verhandlungen mit den Bundesländern, die brachten aber nicht das vom Konzern gewünschte Ergebnis, deshalb der Insolvenzantrag.

Nach dem Fortführungsvertrag könnte, wenn sich Land und Abellio weiter nicht einigen, die Trennung folgen. Mit einem sogenannten Auferlegungsvertrag, vorgesehen als Notlösung, könnte das Land die Linien an ein anderes Unternehmen übergeben. Die Bahnfahrzeuge befinden sich im Besitz des Landes. Allerdings muss das Land dafür die Kosten übernehmen. Mehrfach hatte Hermann in der Vergangenheit betont, dass man sich vom Abellio-Mutterkonzern nicht finanziell erpressen lasse, aber im Notfall den Verkehr für die Bahnkunden sichern müsse. Für die angedachte Ersatzlösung ab Januar stehen angesichts der angespannten Lage in der Branche die Verkehrsunternehmen nicht Schlange. „Dann gehen die Linien an die Deutsche Bahn zurück, es macht ja sonst niemand“, prognostiziert ein Verkehrsexperte.

Im Landtags-Verkehrsausschuss hatte Hermann im Juli über die missliche Lage informiert, wollte aber keine Details über die Verhandlungen mit Abellio nennen. Über die aktuellen Entwicklungen sieht beispielsweise der FDP-Landtagsabgeordnete Christian Jung den Landtag nicht angemessen informiert. „Wir haben bisher keine Informationen aus dem Verkehrsministerium,“ sagt der verkehrspolitische Sprecher der Liberalen. Er habe den Eindruck, dass der Minister in dieser Sache gegenüber dem Parlament nicht transparent sei.

Seit 2019 im Land unterwegs

Im Jahr 2016 entschied das Land in einem Vergabeverfahren, dass die privaten Bahn-Konkurrenten Abellio und Go-Ahead das sogenannte Stuttgarter Netz von 2019 an übernehmen. Es umfasst ein Viertel der landesweit zu vergebenden Nahverkehrsstrecken.

Abellio ist in Baden-Württemberg, NRW, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen aktiv. Den Fahrbetrieb im Land beziffert Abellio mit jährlich 7,3 Millionen Zugkilometern auf einem Liniennetz von 615 Kilometern, darunter Züge von Stuttgart aus nach Tübingen, Mannheim, Osterburken, Mühlacker, Pforzheim, Bretten, Karlsruhe, Bruchsal und Heidelberg.

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Erstellt:
15.09.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 00sec
zuletzt aktualisiert: 15.09.2021, 06:00 Uhr

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