Eine Zutat heißt Rumfort

Wie gehen Restaurants, Bäcker und die Großküche U.D.O. mit Resten um?

Manche Lebensmittel werden nie gegessen. Sie enden als Abfall, weil die Gäste an den Büfetts ihre Teller zu voll beladen oder weil sich Gastronomen und Bäcker in den eingekauften oder hergestellten Mengen verkalkulieren. Doch, so ergab eine Umfrage in Tübinger Betrieben, der Rest bekommt manchmal eine zweite Chance.

18.02.2016

Von Ulla Steuernagel

Bei Zio Demi (links) vom Restaurant „Bella Roma“ sind die Portionen für mindestens ein Drittel der Gäste zu groß, deshalb gibt er ihnen „Doggy Bags“ mit. Bild: Sommer

Bei Zio Demi (links) vom Restaurant „Bella Roma“ sind die Portionen für mindestens ein Drittel der Gäste zu groß, deshalb gibt er ihnen „Doggy Bags“ mit. Bild: Sommer

Tübingen. Der Tübinger „Neckarmüller“ ist ein wetterfühliger Betrieb. Den Wetterbericht genau zu studieren gehört zu den täglichen Aufgaben von Geschäftsführerin Petra Ott-Fischer. Je nach Wetterlage ordert sie mehr oder weniger Lebensmittel. Gemüse wird, so die „Neckarmüller“-Chefin, sechs Mal in der Woche gebracht, die anderen Lebensmittel werden zwei Mal angeliefert. Ott-Fischer ist mit ihrer Kalkulation zufrieden: „Wir haben eigentlich sehr wenig Reste.“

Eine listige Regel hilft bei der Restevermeidung: die Resteküche oder, so nennt es Ott-Fischer, „das Rumfort-Prinzip“. Rumfort ist keine Stadt mit überproportional vielen esslustigen Einwohnern. Rumfort ist eine alten Küchenregel nach sparsamer Hausfrauenart: „Was rum steht, muss fort!“ Also, frisches Gemüse, Gulasch vom Vortag und alles, was übrig ist oder noch nicht verwertet wurde, wird zu einem täglich wechselnden Pastagericht verwandelt. Morgens inspizieren die Köche die Bestände und konzipieren dementsprechend das Nudelgericht des Tages. Es werde für 5,80 Euro preiswert angeboten, so Ott-Fischer.

Alles, was nicht verbraucht wird oder auf den Tellern liegen bleibt, wandert in den Biomüll, der zwei bis drei Mal in der Woche vom Entsorgungsunternehmen Betz in Hohenstein bei Engstingen abgeholt wird.

Wie berechnet man die Mengen fürs tägliche Selbstbedienungs-Büfett? Im „Ludwigs“ gilt die Regel: „Lieber mal etwas ausgehen lassen als wegwerfen“, so Service-Mitarbeiterin Anja Schindler. Ab 13.30 Uhr werden die Salate an der Büfett-Theke nicht mehr aufgefüllt. „Dann gilt: Was weg ist, ist weg.“ Auch beim täglich wechselnden Minute Business Lunch (MBL) plane man lieber Reste vermeidend knapp mit etwa 30 Essen pro Tag, als Überfluss zu produzieren. „Wenn doch mal etwas übrig bleibt, freut sich das Personal“, setzt Schindler lächelnd hinzu.

Wirtschaftlichkeit und Ethik passen zusammen

Doch wie halten es die Gäste selber? Überladen sie die Teller am Büfett und nehmen mehr, als sie je aufessen können? Laut Schindlers Beobachtungen sind es etwa „70 Prozent, die überladen und einiges zurückgehen lassen und 30 Prozent, die ihre Teller leer essen“.

Im italienischen Restaurant „Bella Roma“ auf der Tübinger Wanne werden den Gästen, die die Portionen nicht bewältigen können, sogenannte „Doggy Bags“ mitgegeben. Gastwirt Zio Demi schätzt, dass etwa 30 bis 40 Prozent seiner Kunden davon Gebrauch machen. „Das freut mich persönlich sehr“, sagt er und setzt hinzu, dass auch in seinem Restaurant nur sehr wenig weggeschmissen werde. „Wir sind eine kleine Gaststätte und wir können sehr gut rechnen.“ Zwei bis drei Mal die Woche fahre er zum Großmarkt nach Stuttgart, um frische Ware einzukaufen. Die Zutaten werden in seiner Küche erst auf Bestellung frisch angerichtet: „Wir kochen à la minute.“ Seine selbstgemachten Nudeln halten drei Tage: „Aber sie sind bei uns schon immer früher weg.“

In der Großküche U.D.O. in Weilheim werden täglich zwischen 3500 und 4000 Essen gekocht. Dazu kommen noch bis zu 1560 Frühstücke und Abendessen. Größter Kunde von U.D.O. ist das Tübinger Klinikum, dass voll belegt eben genau diese 1560 Portionen benötigt. Hinzu kommen noch etliche andere Betriebskantinen und -restaurants. Bei U.D.O., so erklärt Carmen Renz, Leiterin für den Bereich Catering, werden die Mengen mit Hilfe eines Computerprogrammes berechnet, das mit Erfahrungsdaten und Planzahlen gefüttert wird. Es wird sehr genau disponiert, denn Reste und Abfälle können in den Dimensionen einer Großküche die Wirtschaftlichkeit sehr einschränken. Immerhin passen hier „wirtschaftliche und ethische Erwägungen sehr gut zusammen“, so betont Prokurist Tobias Henninger. Man gehe sehr bewusst mit dem Thema Abfall um.

In den letzten zehn Jahren habe man erheblich dazugelernt. „Zehn Prozent Reste, das war vor zehn Jahren normal“, erinnert sich Henninger. Mittlerweile rechne man immer mit weniger als den bestellten Essen und produziere lieber nach. Das geht mit einem täglichen Mix aus Frischwaren und Tiefkühlkost. Dennoch heißt es, gerade im Klinikumsbereich extrem penibel zu sein. Für die nicht verzehrte Ware, selbst wenn sie noch so gut verpackt ist, gibt es keine Gnade: Sie muss weggeworfen werden. Also wird umso intensiver an Abfallvermeidungskonzepten gearbeitet. Empfiehlt es sich, die Stationen mit Quark und Joghurts zu beliefern, die dann auf Verlangen zum Patienten kommen? Soll der Bestellrhythmus geändert werden? Mit solchen Fragen schlägt sich U.D.O. ständig herum. Dennoch bleiben rund 1000 bis 2000 Kilogramm verpackte Lebensmittel und 1500 Kilo Biomüll im Monat übrig und werden von Refood entsorgt. Ein Erfolgsessen, das wenig Rücklauf garantiert, verrät Henninger auch noch: „Linsen mit Spätzle“

Als erstes wird die Tübinger Tafel bedacht

Und was macht der Bäcker mit dem Brot, das er nicht verkauft? „Bei uns gibt es eine einfache Regel“, so Stephan Schiller von der Bäckerei Gehr in Tübingen. So viel wie möglich werde weitergegeben und gleich am Morgen danach abgeholt. Bei Gehr hat man eine Prioritätenliste: Als erstes kann sich die Tübinger Tafel bedienen, danach kommen (samstags) die Sonntagsküche im Schlatterhaus, an normalen Werktagen der Tübinger Altbrotladen, der Umsonst-Laden Gänseblümchen und jahreszeitlich die Tübinger Vesperkirche dazu. Und was dann noch übrig ist, landet in der grüne Tonne und der Biogasanlage der Firma Betz. Auch die Bäckerei ist übrigens wetterfühlig: „Bei schönem Wetter bleibt wenig, bei schlechtem Wetter relativ viel übrig“, so Schiller.

gsiehe auch das „Übrigens“

Resteabholung und -verwertung

Bei den Entsorgungsfirmen Betz aus Hohenstein/ Engstingen oder bei Refood aus Metzingen landet das, was in den Gastroküchen der Region als Abfall anfällt, egal ob es nun vor der Zubereitung oder danach nicht mehr verwendbar ist. Auch Speise- und Frittierfette werden von den Firmen abgeholt. Beide Unternehmen verwerten die Reste unter anderem zu Biogas. Die Unternehmen geben auch eigene Abfallbehälter aus.