Erbe Medizintechnik

Wie eine Idee in die Klinik gelangt

High-Tech-Anbieter wie Erbe Elektromedizin müssen Kliniken immer wieder aufs Neue davon überzeugen, bei ihnen mehr Geld in die Hand zu nehmen als bei billigeren Anbietern. Die Kliniken in Deutschland müssen dabei durchaus knausern, wie Marketing-Vorstand Marcus Felstead sagt. Innovationen entwickelt das 1500-Mitarbeiter-Unternehmen deshalb konsequent für den weltweiten Markt.

20.12.2022

Von Eike Freese

Erbe Hybrid Knife. Bild: Erbe

Erbe Hybrid Knife. Bild: Erbe

Jetzt wollen sie auch noch sehen lernen: Irgendwann in den kommenden Jahren sollen Produkte des Tübinger Medizintechnik-Mittelständlers Erbe nicht nur High-Tech-Operationen ermöglichen, sondern den Ärzten dabei auch den nötigen Einblick in den Körper verschaffen. „Erbe Vision“ heißt das neue Geschäftsfeld, das die Tübinger in den vergangenen Jahren aufgebaut haben: Bildgebende Systeme werden in der Endoskopie die gewohnten Chirurgie-Geräte von Erbe ergänzen. Eine seltene Gelegenheit, wie Erbe-CCO Marcus Felstead glaubt: „Wir gehen davon aus, dass sich in den kommenden Jahren ein Fenster öffnet, durch das neue Player in den Markt für Endoskopie gelangen können. Da wollen wir dabei sein.“

Gratis gibt es das nicht, Erbe mit seinen aktuell rund 1500 Mitarbeitern investiert enorm, um sich auch hier neu aufzustellen: 2021 haben die Tübinger den Spezialisten Maxer Endoscopy aus Wurmlingen übernommen, 2022 einen 85-Prozent-Anteil des Bildgebers Blazejewski Meditech aus Sexau bei Freiburg. Ziel ist es, eine höhere Präsenz im Gesamtsystem OP zu erreichen, denn: Mitbewerber versuchen das auch. „Wir stellen etwa fest, dass große Firmen für Bildgebung den umgekehrten Weg gehen und versuchen, in der Elektrochirurgie Fuß zu fassen“, sagt Felstead: „Wir setzen unser Know-How dagegen und glauben, uns das neue Feld erschließen zu können.“

Technologische Umschwünge helfen Erbe dabei, glaubt Felstead: In der Endoskopie läuft die Revolution der Digitalisierung des Bildgebungs-Kanals, mit Video-Chips in der Spitze des Endoskops. „Für uns ist die Chip-in-Tip-Entwicklung die Gelegenheit, uns hier neu zu etablieren“, so Felstead. In der Medizintechnik wird dabei in längeren Zeiträumen gerechnet als in anderen Branchen – unter anderem, weil die Zulassungs-Prozeduren länger dauern. Drei bis sieben Jahre, so Felstead, könne es dauern, bis ein neues Produkt auf den Markt komme.

Zentral sei es, von Beginn an mit mit möglichst vielen späteren Nutzern der Produkte zusammenzuarbeiten. „Wir müssen dafür sorgen, dass wir nicht nur den operierenden Ärzten weiterhelfen, sondern auch allen anderen Beteiligten im Workflow“, sagt Felstead. Das könne das OP-Team sein, das noch einmal andere Ansprüche an ein Produkt hat als der Arzt am OP-Tisch. Das könne aber auch die kaufmännische Abteilung sein, die darauf achten muss, möglichst wenig Geld für möglichst hohe Qualität zu bezahlen.

Einkäufer für Kliniken würden als Ansprechpartner weltweit immer wichtiger, sagt Felstead. Auch Experten in den einzelnen Disziplinen seien wichtige Multiplikatoren. Dazu müssen globale Unterschiede in der Klinik-Kultur oder im Zulassungswesen beachtet werden. „Schon für die reine Usability laden wir frühzeitig Profis ein, sich mit unseren Prototypen zu beschäftigen“, sagt Felstead. Die Experten würden vertraglich zur Verschwiegenheit verpflichtet und sorgen dafür, dass sich Erbe schon am Anfang der Produktentwicklung gar nicht erst auf einen Holzweg begibt. „Wir glauben an eine Fast-Failure-Kultur: Alle denkbaren Fehler sollten möglichst früh gemacht werden, damit es später keine bösen Überraschungen gibt.“

Die Marktforschungs-Abteilung sorgt zudem dafür, dass Produkte passend zu internationalen Märkten entwickelt werden. Und fragt, ob es diese überhaupt gibt. „Wir machen längst nicht alles, was denkbar ist“, so Felstead. „Irgendwann haben wir uns entschlossen, Projekte nur noch zu initiieren, wenn sie mindestens 10 Millionen Euro Umsatz versprechen.“

Doch dieses Marktpotenzial einzuschätzen, ist manchmal gar nicht so einfach – denn selbst fortschrittsfreundliche Ärzte legen auf Sicherheit und Planbarkeit Wert. „Je disruptiver eine Innovation ist, desto weniger kann ich bisweilen den späteren Kunden fragen und desto riskanter ist es betriebswirtschaftlich“, sagt Felstead. Aktuell arbeitet Erbe etwa an neuen Formen der Gefäß-Versiegelung, „die viele Ärzte gewiss nicht einmal für denkbar halten“, so Felstead. Sollte so ein Produkt dann auf den Markt kommen, heißt es, die Abnehmer auf vielen Ebenen zu überzeugen und mit viel Aufwand zu schulen.

Für dieses Überzeugen gibt es in der Medizintechnik noch einmal eigene Regeln. „Werbung ist streng reglementiert“, sagt Felstead: „Wir dürfen nur mit Fakten werben, die wir zuvor in aufwändigen Studien erhoben haben oder die in klinischen Bewertungen und wissenschaftlichen Anwender-Publikationen nachgewiesen sind.“ Doch selbst wenn Erhebungen ergeben, dass ein Erbe-Produkt etwa den Einsatz von Blutkonserven erspart oder die Rezidiv-Rate nach einer Krebs-Art stark senke, müssen die Kliniken nach je eigenen Kriterien abwägen, ob es ihnen das in der Gesamtschau wert ist.

Ein Klassiker wie das „Hybrid Knife“ von Erbe kann verschiedene Arbeitsschritte beim Entfernen eines frühen Karzinoms etwa im Magen präziser, schonender und schneller erledigen als Konkurrenzprodukte. Das Einmal-Produkt kostet in Deutschland deutlich mehr als billigere Konkurrenzprodukte. „In einem System, das so stark unter Kostendruck steht wie das unsere, müssen wir als Qualitätsanbieter immer wieder neu überzeugen – selbst wenn die Vorteile eigentlich auf der Hand liegen“, sagt Felstead.

Anderswo auf der Welt würde übrigens oft mehr gezahlt für ausgereifte Medizintechnik. „In Indien bekommen wir aktuell mehr für viele unserer Produkte“, so Felstead: „Das ist auch ein Grund dafür, dass wir uns global immer breiter aufstellen wollen.“ Vom Gesamt-Umsatz generiert Erbe inzwischen nur noch 13 Prozent in Deutschland selbst, weshalb Produktionen und Vertrieb immer mehr auch im Ausland aufgebaut werden.

„Auslagern“ will Felstead das aber nicht nennen. Bekanntlich investiere Erbe aktuell einen hohen zweistelligen Millionenbetrag im Neubau in Rangendingen, speziell für Instrumente. Dort wird nicht nur entwickelt, sondern auch produziert. „Das soll auch ein Signal an unsere Mitarbeiter sein“, so Felstead: „Wir bleiben – selbst wenn sich für uns im Ausland immer mehr tut.“