Hip-Hop mit Kohlgemüse statt Drogen

Wie ein Wirsing-Kauf im Rottenburger Netto-Markt zum Großeinsatz der Polizei führte

Dabei wollten die verdächtigen Männer nur einen coolen Film drehen.

08.03.2018

Von Andreas Straub

Weil der BMW nur geliehen war, und die Gangster zu Fuß zum Pressegespräch kamen, musste das Foto fürs Ghetto-Feeling vor dem Müllhaufen an der Zehntscheuer aufgenommen werden: Links Rapper Stefan Kühle, rechts Marco Rothfelder mit Blaulicht, beide unbewaffnet. Bild: Straub

Weil der BMW nur geliehen war, und die Gangster zu Fuß zum Pressegespräch kamen, musste das Foto fürs Ghetto-Feeling vor dem Müllhaufen an der Zehntscheuer aufgenommen werden: Links Rapper Stefan Kühle, rechts Marco Rothfelder mit Blaulicht, beide unbewaffnet. Bild: Straub

Gangster brauchen keine Drehgenehmigung. Sie bekommen wahrscheinlich auch selten eine. Was soll’s also? Die Mitglieder des Wir-Sing-Klans – der Name ist angelehnt an die amerikanische Hip-Hop-Gruppe Wu-Tang Clan – brauchten ein geiles Video für ihren neuen Song „Rambazamba“. Bullen, Knarren, Gangster, ein fetter BMW und ein „abgefuckter Parkplatz“ sollten die Kulisse abgeben. „Nachts wird geerntet, tags häng‘ ich rum am Netto und verteil der Kundschaft abgepackten Romanesco“, heißt eine Song-Zeile. Denn der Wir-Sing Klan meint: Alle Kohlarten sind gut. Jeder sollte mehr davon essen.

Vor einer großen Videokamera spielte der Rottenburger Wir-Sing Klan an einem Samstagvormittag sein Drehbuch auf dem Netto-Parkplatz durch. Die beiden Hobby-Rapper Marco Rothfelder (26) und Stefan Kühle (28) posierten vor einem geliehenen BMW, schoben sich gegenseitig im Einkaufswagen umher und kauften Kohl im Discounter.

Der Wirsing-Kohl ist ihr Markenzeichen und sie mögen Hip-Hop. Im Jahr 2016 haben sie sich als Wir-Sing Klan zusammen getan und schreiben seitdem eigene Lieder. Rothfelder arbeitet als Grafiker, Kühle lernte Heilerziehungspfleger. Die Musik ist für sie Hobby, eine Abwechslung zum Alltag. In Rottenburg sind sie mal als Vorgruppe des vielfach ausgezeichneten Rappers Kollegah aufgetreten. Die Texte von Wir-Sing Klan sind meist Wortspiele, oft Satiren auf „echte“ Gangster.

Wirsing statt Geldscheine

Das Debütalbum des Wu-Tan Clans heißt „Enter the Wu-Tang“, die Rottenburger Rapper haben ihres „Ernte den Wirsing“ genannt. So zupfen sie in einer Szene ihres jüngsten Videos auf dem Supermarkt-Parkplatz Wirsing-Blätter vom Kohl und werfen sie mit großer Geste links und rechts von sich zu Boden – wie große Rapper mit Geldscheinen um sich werfen. Ihre Lieder haben sie bisher unter Freunden verteilt, ein paar haben sie auf Youtube und Soundcloud hochgeladen.

Im Polizeibericht ist von einer „aufmerksamen Passantin“ die Rede, die sich gemeldet hat: „Hä, isch do an Eisatz?“. Sie habe Polizisten, ein Blaulicht und zwei Waffen gesehen. Das sah wohl sehr gefährlich aus. Ob man denn bei der Polizei etwas von einem Einsatz wisse, soll sie sich erkundigt haben. Die Polizei wusste nichts davon und entschied, einzugreifen: Ein Kastenwagen mit sechs Polizisten, bewaffnet mit Maschinenpistolen, rückte an. Später folgten Streifenwagen. Die Beamten warfen die Möchtegern-Gangster zu Boden, drückten ihnen das Knie ins Kreuz und legten Handschellen an, so erzählen es zumindest die beiden Rapper. Verzweifelt riefen sie immer wieder: „Wir drehen nur einen Film.“

„Irgendwann haben sie es geschnallt“, berichtet Kühle. Die Polizisten fragten: „Wie blöd seid ihr eigentlich?“. Sie hätten vorher anrufen sollen– in „Zeiten des Terrors“. „Wir hatten schon drei Stunden gedreht und darauf geachtet, dass wir keinem in die Quere kommen“, rechtfertigt sich Rothfelder. Ein richtiges Video sei es gewesen, mit „Drehbuch und allem“. Nur halt, fügt Kühle hinzu, ohne Drehgenehmigung. Die hätten sie vom Netto wohl auch kaum bekommen.

Cops wie bei Miami Vice

Für die Polizistenrollen im Video hatten sie zwei Kumpel angeheuert. „Die sahen aus wie bei Miami Vice oder bei der Fasnet“, erzählt Kühle. „Mit bunten Hemden, breitem Gang und Porno-Brillen.“ Allerdings, so geben die Rapper zu, hatten sie Schreckschuss-Waffen in ihren Halftern. Deshalb läuft gegen sie nun ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz. „Sie haben die Waffen nicht einmal aus dem Halfter geholt“, entrüstet sich Rothfelder. Die Waffen seien nicht geladen gewesen, sie hätten nicht mal Munition.

„Dem Supermarktpersonal war es egal, wir haben ja immer wieder im Markt eingekauft.“ Kühle fügt hinzu: „Wir wollten ganz sicher nicht, dass sich jemand bedroht fühlt.“ Vorbestraft sind Rothfelder und Kühle bislang nach eigenen Angaben nicht. Das Gefängnis kennen sie nur von außen. „Wir trauen uns trotzdem, zu rappen. Wir verkaufen Wirsing und keine Drogen“, sagt Rothfelder. Für ihren Videodreh hätten sie weder Kosten noch Mühen gescheut.

Richtig teuer könnte es allerdings erst noch werden. Die Polizei prüft, ob der Wir-Sing Klang die Kosten des Einsatzes übernehmen muss. Die beiden Schreckschusspistolen wurden ihnen abgenommen. „Wenn wir verknackt werden, sind wir echte Gangster“, scherzen die Rapper. Das Magnetblaulicht durften sie behalten. Auf dem Rücksitz des BMW stellte die Polizei außerdem einen Wirsing sicher. Die Einsatzleitung entschied: „Den könnt ihr behalten. Ist gesund.“

Update, 11. März 2018:

Das Video zu Rambazamba ist fertig und ist bei Youtube zu sehen. Die Polizeimeldung zum Einsatz beim Netto-Markt hat der WSK gleich mit verarbeitet:

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Erstellt:
08.03.2018, 21:30 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 14sec
zuletzt aktualisiert: 08.03.2018, 21:30 Uhr

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