Totensonntag

Wie Trends klassische Friedhöfe bedrohen

Die deutsche Friedhofskultur gilt als weltweit einmalig. Doch die Menschen bevorzugen heute andere Arten der Bestattung als früher. Kirchen und Kommunen kämpfen mit dem Zeitgeist – und immer mehr Konkurrenz.

21.11.2021

Von Igor Steinle

Die deutsche Friedhofskultur zählt zum „Immateriellen Kulturerbe“.  Foto: Giacinto Carlucci

Die deutsche Friedhofskultur zählt zum „Immateriellen Kulturerbe“. Foto: Giacinto Carlucci

Auch an diesem Wochenende werden viele Menschen die Friedhöfe aufsuchen, um am Totensonntag ihrer verstorbenen Angehörigen zu gedenken. Das macht die Ruhestätten zu besonderen Orten der Trauer und der Erinnerung. Von der Unesco , der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, wurde die deutsche Friedhofskultur sogar zum „Immateriellen Kulturerbe“ erklärt: Die Einbettung der Gräber in Parklandschaften und die Gestaltung der Gräber als „kleine Gärten der Erinnerung“ mache die Friedhofskultur weltweit einmalig, heißt es.

Doch dieses Erbe ist bedroht. Gab es auf den rund 30.000 deutschen Begräbnisorten jahrhundertelang kaum Veränderungen, weder was die Gestaltung des Ortes noch die Bestattungsrituale angeht, ist in den letzten Jahren einiges in Bewegung geraten. „Die Friedhöfe verändern sich, es gibt eine große Aufbruchsstimmung im Friedhofswesen“, sagt Tobias Pehle, Geschäftsführer des Vereins „Kuratorium Immaterielles Erbe Friedhofskultur“.

Folgen der Mobilität

Die Aufbruchstimmung, die Pehle erkennt, kam jedoch weniger aus sich heraus, sondern ist eine Reaktion auf gesellschaftlich Veränderungen. So ist zum einen seit Jahrzehnten die Feuerbestattung unaufhaltsam auf dem Vormarsch. Ließen sich 1993 nur ein Drittel der Deutschen einäschern, hat sich der Trend umgekehrt: Rund zwei Drittel werden inzwischen in einer Urne beigesetzt.

Das führen Experten darauf zurück, dass Menschen immer mobiler werden und die Grabstätten ihrer Angehörigen oft nicht mehr pflegen können, weil sie woanders wohnen. Wobei der Anteil an Feuerbestattungen laut der Verbraucherinitiative Bestattungskultur „Aeternitas“ im Norden und Osten des Landes und in Großstädten höher ist als im Süden und Westen oder in ländlichen Gebieten.

Ein weiterer Trend ist die Baumbestattung, die immer beliebter wird. Seit ziemlich genau 20 Jahren gibt es in Deutschland Bestattungswälder, der erste wurde im November 2001 in der Nähe von Kassel gegründet. Was damals noch skeptisch belächelt wurde, wie Betreiber berichten, liegt als Bestattungswunsch laut einer Umfrage deutschlandweit inzwischen mit 19 Prozent auf Platz zwei der bevorzugten Bestattungsarten.

Diese Trends bleiben für die Friedhöfe nicht ohne Folgen. Nach Einschätzung von Karl-Heinz Könsgen, dem Geschäftsführer der Deutschen Friedhofsgesellschaft, eines privaten Betreibers von 14 Friedhöfen in Deutschland, haben bundesweit nahezu alle Kommunen Probleme, Friedhöfe zu betreiben. Hatte man lange gedacht, die Ruhestätten seien bei mehr als 900.000 Sterbefällen im Jahr ein im wahrsten Sinne des Wortes todsicheres Geschäft, arbeiten viele Friedhöfe inzwischen defizitär. Immer mehr Plätze bleiben frei, weswegen die Einnahmen dementsprechend sinken, während die Fixkosten dieselben bleiben.

Viele Kommunen mussten deswegen die Zuschüsse für die Grabstätten erhöhen. Andere schrauben die Gebühren für Urnengräber nach oben, um diese stärker an den Kosten des Friedhofes zu beteiligen, erklärt der Deutsche Städtetag. Das wiederum könnte zu einem Teufelskreis führen, warnt Könsgen, da wegen der höheren Kosten dort noch weniger Begräbnisse stattfinden könnten und die Gebühren deshalb noch weiter erhöht werden müssten. Durchschnittlich koste eine gewöhnliche Beerdigung laut Aeternitas 4500 Euro.

Da diese Kostenfixierung sowie die „mangelnde Wertschätzung der Friedhofskultur in Teilen der Gesellschaft“ bereits zur Schließung vieler Friedhöfe geführt habe, wollen die Kirchen nun gegen die Friedhofsflucht ankämpfen. Mehrere friedhofsnahe Verbände haben diese Woche deswegen eine Charta für die Friedhofskultur unterzeichnet. Ziel ist es, ein Bekenntnis für eine zeitgemäße Bestattungs- und Friedhofskultur zu formulieren und sich zugleich von den alternativen Bestattungsformen abzugrenzen, heißt es.

Um die Ruhestätten auf die Höhe der Zeit zu bringen, sei bereits einiges im Gange, erklärt Kuratoriums-Chef Pehle: So würden viele Friedhöfe mit Baumbestattungen oder pflegeleichten Gräbern neue Angebote machen. Es gebe immer öfter Friedhofscafés, Erholungsbereiche und Sitzecken für Gespräche und Treffen, mit neu geschaffenen Bioreservaten oder als Orte für Veranstaltungen. Damit steigere man die Identifikation der Besucher mit der Friedhofskultur, so Pehle.

Größere Städte hingegen wandeln Teile ihrer Friedhöfe gleich ganz in Parks um, wie etwa der Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg, der ohnehin als weltgrößter Parkfriedhof gilt. Aber auch in Köln, Frankfurt am Main und anderen Städten werden Friedhöfe häufiger nicht mehr nur für Grabflächen, sondern auch als Rückzugs- und Erholungsort genutzt. Wiederum andere Städte holen die Friedhöfe auf andere Art wieder ins Leben zurück: In Berlin sind laut Senatsverwaltung in den letzten Jahren drei Hektar ehemaliger Friedhofsfläche zur Bebauung freigegeben worden.

19 Prozent der Menschen in Deutschland würden eine Baumbestattung bevorzugen. Damit liegt diese Form auf Platz zwei der bevorzugten Bestattungsarten.