Arme auf und Google

Wer Flüchtlingen helfen will, muss sich auch ohne Sprache verständigen können

Am biblischen Pfingsttag sorgte der heilige Geist dafür, dass Menschen trotz verschiedener Sprachen miteinander sprechen konnten. In Tübingen klappt das mit der Verständigung auch ohne Hilfe von oben.

14.05.2016

Von ulrich janssen

Regina Pilz (ganz links) hat erst mal „Hallo“ gesagt zur albanischen Familie Cacorri mit (von links) Arvi, Vitore, Noel und Arben Cacorri.Bild: Faden

Regina Pilz (ganz links) hat erst mal „Hallo“ gesagt zur albanischen Familie Cacorri mit (von links) Arvi, Vitore, Noel und Arben Cacorri.Bild: Faden

Tübingen. Regina Pilz kann sich noch gut erinnern, wie sie die Familie Cacorri zum ersten Mal traf. „Es war genau vor einem Jahr bei einem Begrüßungsfest für Flüchtlinge, da habe ich mich einfach zu dem Ehepaar dazu gesetzt.“ Die Theologiestudentin war schon einige Zeit Mitglied im AK Asyl Südstadt und wollte Patin werden. Doch wie unterhält man sich, wenn die Gesprächspartner gerade mal zwei Wochen in der Stadt leben, weder Deutsch noch Englisch können und man selbst kein Albanisch?

„Ich habe erstmal ,Hallo‘ gesagt, und: ,Ich bin Regina‘.“ Das war der erste Kontakt, der freundlich erwidert wurde. Als die Theologiestudentin dann mit fragendem Gesichtsausdruck auf das vierjährige Kind zeigte, mit dem sie gerade gespielt hatte, nickte die Mutter und legte der Patin spontan ihr zweites Kind auf den Arm, ein Baby. Es entstand, wie Pilz sich erinnert, „eine natürliche Nähe“. Diese Nähe hält bis heute: Aus dem ersten Kontakt ist eine enge Freundschaft entstanden.

Damals lernte die 26-jährige Patin, welche deutschen Worte auch Albanern bekannt sind. „Mama“ und „Papa“ zum Beispiel, „Karlsruhe“ (wo die Erstaufnahmestelle des Landes sich befindet) oder auch: „Nummer“. Was Pilz noch lernte: „Die Gestik macht ganz viel aus.“ Ein Kind auf den Arm nehmen, die Arme aufmachen: Das wird überall verstanden.

Gebärden helfen auch

traurigen Jungs

Ein Eindruck, den Rita Mohlau gerne bestätigt. Die VHS-Dozentin hat gerade den größten Gebärdensprachchor der Welt dirigiert und weiß, wie hilfreich Gebärden sind, wenn man sich ohne Sprachkenntnisse verständigen muss. Als Erzieherin arbeitete Mohlau früher in einem Kindergarten und erinnert sich noch gut an einen kleinen chinesischen Jungen, der kein Wort Deutsch sprach. Er schob immer sein Essen weg und wirkte auf alle sehr traurig. „Irgendwann habe ich dann mal das Zeichen für ,satt‘ gemacht, also die flache Hand unters Kinn.“ Prompt machte der Junge beim nächsten Essen auch das Zeichen. Plötzlich verstanden sich die beiden, und der Junge kam fortan viel besser zurecht.

Laut Mohlau sind die Gebärdensprachen von Land zu Land verschieden und müssen richtig gelernt werden. Doch gebe es in allen Sprachen auch Gesten, die jeder kennt: „Schlafen, Trinken, Essen, Zähneputzen…“ Sie eignen sich für die erste Verständigung. Das Schöne an der Kommunikation über Gebärden sei, dass sie viel mehr über Gefühle erfolge und auch mehr Gefühle transportiere. „Uns wurde das Gestikulieren ja abtrainiert“, bedauert die Gebärdensprachlehrerin. Dabei erleichtern Gesten die Verständigung enorm.

Doch was ist, wenn man mehr mitteilen möchte als Schlafen, Trinken, Essen? Wolfgang Kremers weiß, was in so einem Fall hilft: „Google.“ Der pensionierte Lehrer organisiert beim Asyl-AK Weststadt Sprachkurse und ist sehr angetan von den Übersetzungsleistungen vieler Apps. „Die Leute sprechen auf Arabisch rein, und ich höre es auf Deutsch.“ Manchmal müsse man zwar lachen über das Ergebnis, aber nützlich sei es allemal, ebenso wie Hefte mit Zeichnungen oder T-Shirts mit Symbolen darauf.

Für seine Sprachkurse greift der AK auf das, speziell für Asylbewerber entwickelte „Tannhauser Modell“ zurück. Grammatik ist dabei nicht so entscheidend, es kommt mehr darauf an, in einer positiven, motivierenden Umgebung die Worte zu lernen, die im Alltag wirklich gebraucht werden.

Motivation ist das A und O beim Sprachenlernen, sagt Kremers. Wer wirklich Deutsch lernen will, der kann sich nach zwei bis drei Monaten auf einfachem Niveau durchschlagen und sich nach fünf bis sechs Monaten richtig unterhalten. Wer dagegen keine Lust hat, der kann „auch nach sechs Monaten Sprachunterricht noch gar nichts“.

Am leichtesten tun sich die Kinder mit der neuen Sprache: „Sie gehen zur Schule oder zur Kita und werden in die deutsche Umgebung einfach hineingeworfen.“ Nicht selten vertreten sie irgendwann die Familie nach außen. „Die Eltern schauen, wenn sie etwas sagen wollen, zu ihren Kindern, und die dolmetschen dann.“

Eine große Rolle beim Spracherwerb spielt nach Kremers’ Erfahrung auch der Bildungsgrad. Ein Taxifahrer aus Damaskus tue sich mit der deutschen Sprache viel schwerer als ein Dozent, der schon Englisch spricht: „Er hat einfach einen viel besseren Zugang.“

Gut ist auch, wenn Migranten beim Unterricht helfen. Bei Leuten aus der eigenen Kultur zeigen sich die Schüler nämlich weniger scheu. „Gegenüber dem deutschen Lehrer geben viele Ausländer schon aus Höflichkeit ungern zu, dass sie etwas nicht verstanden haben“, meint Kremers. Prompt kommen sie nicht mehr mit, verlieren die Lust.

So etwas soll allerdings auch bei Schülern aus dem deutschen Kulturkreis vorkommen. Wobei es da nicht immer an zu viel Höflichkeit liegt.