Ich-hatte-keine-Wahl-Bekanntschaften

Wenn in der Halbe das Ganze steckt

Er hätte auch mit seinem Kühlschrank reden können. Dem Mann wäre es egal gewesen, dem Kühlschrank sowieso. Aber stattdessen saß ich da.

16.03.2019

Von Winfried Gaus

Ich wartete in der Kneipe auf ein paar Freunde und war zu bald dran. Für ihn war es schon zu spät. Um mindestens sieben Halbe.

Er brauchte einen Therapeuten und hatte keine Überweisung, aber jenen glasweichen Blick ins Nichts, den die Alki-Depressiven bekommen, wenn der ganze Notstand des Lebens über sie hereinbricht. „Weissch“, verschluckte er die Buchstaben immerfort, „mir langtsch!“ Im G‘schäft nur Seckel, und ein „Sscheff“, den „möchsch du net kenna!“ Immer mehr und mehr, immer schneller und schneller, „Meerssschweinschen em Rädle“, so komme er sich vor.

Und dann noch das Kreuz. Seit kurzem ziehe es ihm von links unten nach rechts oben oder umgekehrt. „Ssschmerze wie Vieh“ seien das, und der Doktor habe keine Zeit: „Dô muasch jô mit ‘m Kopf onderm Arm en d‘ Ssschprechssschdond komme, dass se di dranemmed“. Alles Sssscheisse, mit Verlaub, so mache das Leben keinen Ssschpaß, sei sinnlos – „komm, Margit, breng mer nomôl a Halbe, uf a‘ra ôgrade Fußzahl kaasch et ssschtande“.

Es war jetzt kein dramaturgisches Mittel für diesen Text, dass ich noch nicht zu hören war. Es war so. Der Mann atmete durch Kiemen und nutzte den daraus resultierenden Vorteil, keine Sprechpausen durch Atmen zu verursachen dazu, auch keine zu machen. Und so erfuhr ich die „Sach‘ mit dem Führerschei“ – es wird wohl so ein Abend wie der jetzige gewesen sein und der Fußweg heim eine pure Illusion, wenn du dauernd Achten läufst. Ohne das jetzt hier zu vertiefen: Es tauchte irgendwann eine Verkehrsinsel aus dem Nichts vor dem Motorblock auf und die Sache war gelaufen. Das einzige, was noch funktionierte, war die Hupe; er selber fand nicht mehr aus dem Auto, dafür „die Bullerei“ dann ihn eben dort.

‘s Weib war schon länger zum Teufel, was aus funktionalen Gründen für ihn jedoch kein     1a-Problem zu sein schien: die Wäsche machte jetzt halt seine „Schwessschder“.

„Drenksch nô ois mit?“ Was sollte ich machen, ich wartete ja auf die anderen – und er legte einen Gang zu. Die Miete, die Nachbarn, die Neger. Alles Sssscheisse, mit Verlaub. Und sein FC hatte am Sonntag verloren. Da wusste ich, wir kamen dem Kern „vo der Ssssach‘“ langsam näher.

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Erstellt:
16.03.2019, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 10sec
zuletzt aktualisiert: 16.03.2019, 01:00 Uhr

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