Interview mit Skispringerin Carina Vogt

„Wenn ich realistisch bleibe, kann es nur gut werden“

Als erste Olympiasiegerin in ihrer Sportart ist Carina Vogt auch in Südkorea wieder Favoritin. Das Erreichte gibt der Schwäbisch Gmünderin für ihre zweiten Winterspiele auch eine gewisse Gelassenheit.

07.02.2018

Von MANUELA HARANT

Sympathieträgerin und Vorreiterin ihrer Sportart: Carina Vogt, erste Olympiasiegerin der Skisprung-Geschichte, will sich in Pyeongchang keinen Druck mehr machen. ?Foto: Getty Images

Sympathieträgerin und Vorreiterin ihrer Sportart: Carina Vogt, erste Olympiasiegerin der Skisprung-Geschichte, will sich in Pyeongchang keinen Druck mehr machen. ?Foto: Getty Images

Oberstdorf. Völlig überraschend schrieb Carina Vogt bei den Olympischen Winterspielen von Sotschi 2014 Geschichte. Die Skispringerin des SC Degenfeld rief im richtigen Moment die bis dahin beste Leistung ihres Lebens ab und krönte sich zur ersten Olympiasiegerin der Historie. Auch bei den zwei Weltmeisterschaften 2015 und 2017 räumte die heute 26-Jährige alles ab und krönte sich zur Frau für die großen Momente. Am 12. Februar will die Schwäbisch Gmünderin erneut Geschichte schreiben und im Finale der Damen von der Normalschanze um den Sieg springen.

Frau Vogt, Sie reisen als Weltmeisterin nach Pyeongchang, auch den Olympiasieg haben Sie schon in der Tasche. Können Sie gelassener in die Wettkämpfe gehen als die Konkurrenz, die endlich auch einmal etwas bei einem Großereignis gewinnen will?

Carina Vogt: Es kann ein Vorteil sein. Allerdings brauche ich auch die entsprechende Form dazu. Im Weltcup war es zuletzt schon ein großer Abstand nach vorne, das muss ich realistisch so einschätzen. Ob ich es bis dahin schaffe, die 20 oder 30 Punkte nach ganz vorne aufzuholen, muss man sehen. Aber ich bin bereit, die anderen wieder zu ärgern und die Tatsache auszuspielen, dass ich zu Großereignissen da bin.

Ist das Ihre große Stärke, die Gelassenheit zu behalten, wenn es darauf ankommt?

Naja, vor vier Jahren ist das einfach so passiert. Es war nicht so, dass ich da richtig gelassen war. Mir sind schon wirre Gedanken durch den Kopf gegangen vor dem zweiten Sprung. Aber inzwischen kann ich an die Wettkämpfe herangehen und mir sagen: Ich habe nichts zu verlieren. Es wird mit Sicherheit auch der Tag kommen, wo es mal nicht funktioniert. Aber wenn ich so realistisch wie möglich mit der Situation umgehe, kann es eigentlich nur gut werden.

Wie machen Sie das vor Ort: Beobachten Sie, was die Konkurrenz macht und reagieren Sie darauf?

Ich persönlich nicht, weil ich versuche nur auf mich zu schauen und die anderen gar nicht groß wahrzunehmen vor dem Sprung. Ich versuche, wirklich alles um mich herum auszublenden. Ich kann die anderen ja nicht beeinflussen und will das auch gar nicht. Ich möchte nur aus mir selbst das Beste rausholen.

Sie haben ein paar Weltcups ausgelassen, um nochmal in Oberstdorf zu trainieren. Mit welcher Form reisen Sie nach Südkorea?

Angesichts der Tatsache, dass ich im Sommer nach einem Sturz länger pausieren musste, lief es bisher eigentlich ganz gut. Aber ich weiß, wo ich noch eine Stellschraube habe, und die kann ich noch drehen. Ich habe immer den Anspruch, um Medaillen mitzuspringen. Und letztlich ist dann doch wieder nur das entscheidend, was am Tag X passiert. Man kann es einfach nicht beeinflussen. Deshalb fliege ich sehr entspannt rüber.

Wie haben Sie sich verändert in den vier Jahren seit Ihrem Olympiasieg?

In vier Jahren passiert natürlich bei jedem etwas. Damals war ich 22 und bin mehr oder weniger ins kalte Wasser gesprungen. Da ist schon ein gewisser Reifeprozess passiert. Daher würde ich sagen: Privat bin ich immer noch die Gleiche, sportlich mit Sicherheit ein bisschen professioneller.

Was wollen Sie abseits der Wettkämpfe in Pyeongchang erleben?

Das ist ein guter Punkt. Die letzten Spiele liefen wie ein Film ab: Ich bin hingeflogen, hatte Training, Wettkampf, Medientermine und musste einen Tag später schon wieder heim. Da habe ich Olympia gar nicht richtig erleben können. Diesmal bleiben wir ein paar Tage länger drüben. Da hoffe ich natürlich, dass ich vom olympischen Flair etwas mitbekomme und vor allem meine Kollegen bei der Bundespolizei bei ihren Wettkämpfen anfeuern kann.

Welche Sportarten haben Sie besonders im Fokus?

Ich werde mir neben den Skisprung-Wettbewerben der Männer auf jeden Fall auch die Nordische Kombination anschauen und die Bobrennen – wenn es sich ausgeht, auch ein bisschen Biathlon. Unsere Physiotherapeutin will außerdem gern zum Ski Freestyle, da gehen wir natürlich auch gerne mit.

Werden Sie an der Eröffnungsfeier teilnehmen?

In Sotschi sind wir bewusst nicht hin, weil wir am nächsten Tag Training hatten, und ich werde das mit Sicherheit dieses Mal auch so machen. Es ist zwar auf der einen Seite schade, aber andererseits steht man sich stundenlang die Füße in den Bauch, und am nächsten Tag soll man im Training wieder Topleistung bringen. Deshalb werde ich es mir leider wieder nur am Fernsehen anschauen.

Diesmal haben Sie in Katharina Althaus auch eine Siegspringerin aus dem eigenen Lager. Spornt Sie das noch mehr an?

Auf jeden Fall. Es ist immer gut, wenn eine vom Team ganz vorne dabei ist. Sonst kann es passieren, dass man sich mit Dingen zufrieden gibt, die nicht für ganz vorne reichen. So zeigt uns Katha regelmäßig, wo man für eine Medaille hinspringen muss. Das ist auch für mich ein täglicher Ansporn.

Kommt Ihre Familie mit nach Südkorea?

Ich bin alleine und bin sogar ein bisschen froh drum. Sonst macht man sich doch immer Gedanken, ob bei der Familie alles passt. Deshalb freue ich mich, wenn ich aus Südkorea heimkomme und sie dann wieder für mich da sind.

Und wie wird es für Sie – unabhängig von einem möglichen Olympiasieg – persönlich danach weitergehen?

Unmittelbar gehe ich erst einmal Skifahren. Alles weitere muss man sehen: 2021 will ich auf jeden Fall noch bei der Nordischen Ski-WM in Oberstdorf dabei sein. Und Olympia 2022 – da wäre ich schon 30. Da muss ich erst einmal sehen, wie ich dann gesundheitlich drauf bin.

Frau für die großen Momente

Über ein Camp in den Sommerferien in ihrer Heimat Schwäbisch Gmünd ist Carina Vogt im Alter von sechs Jahren zum Skispringen gekommen. Seitdem ist die heute 26-Jährige dem SC Degenfeld treu geblieben. Bis zum 13. Lebensjahr war sie aber auch im Turnen, in der Leichtathletik und im Reiten aktiv, danach konzentrierte sich sich nur noch aufs Skispringen und wechselte aufs Skigymnasium Furtwangen.

International wurde die angehende Bundespolizistin vor allem als „Frau für die großen Momente“ bekannt. Obwohl sie noch keinen Weltcup-Sieg gefeiert hatte, wurde Carina Vogt bei den Winterspielen 2014 in Sotschi erste Skisprung- Olympiasiegerin der Geschichte. Ein Jahr später folgte für die Pionierin des Damen-Skispringens der erste Weltmeistertitel im Einzel und mit der Mannschaft. 2017 dann die nächste Überraschung: Trotz einer durchwachsenen Weltcup-Saison stand Vogt wieder beim Saisonhöhepunkt in Lahti ganz oben und verteidigte ihre beiden WM-Titel.