„Ökozid“

Interview mit Regisseur Andres Veiel: „Wenn etwas in der Welt ist, wirkt es“

In „Ökozid“ muss sich Deutschland vor Gericht für seine Klimapolitik verantworten. Der in Stuttgart geborene Regisseur Andres Veiel spricht über eine unheilvolle Zukunft, die wir verhindern können.

16.11.2020

Von Jana Zahner

Dystopisches Gerichtsdrama im Ersten: Die einstige „Klima-Kanzlerin“ Angela Merkel (Martina Eitner-Acheampong) tritt vor dem Internationalen Gerichtshof als Zeugin der Verteidigung auf. Foto: rbb/zero one film/ Julia Terjung

Dystopisches Gerichtsdrama im Ersten: Die einstige „Klima-Kanzlerin“ Angela Merkel (Martina Eitner-Acheampong) tritt vor dem Internationalen Gerichtshof als Zeugin der Verteidigung auf. Foto: rbb/zero one film/ Julia Terjung

Man schreibt das Jahr 2034. Stürme und Hitzewellen kosten unzählige Existenzen und Menschenleben. Brandenburg brennt. Vor dem Internationalen Gerichtshof, der wegen Überschwemmung von Den Haag nach Berlin umzieht, beginnt ein historischer Prozess: 31 Länder des globalen Südens verklagen die Bundesrepublik Deutschland wegen ihrer laxen Klimaschutzpolitik. Sie stellen die Schuldfrage und fordern Schadenersatz. Zeugin der Verteidigung ist die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Dieses drastische Zukunftsszenario entwirft der ARD-Fernsehfilm „Ökozid“ des in Stuttgart geborenen Regisseurs Andres Veiel. Was zunächst abwegig klingt, könnte im internationalen Recht durchaus Schule machen. In Frankreich will Präsident Emmanuel Macron prüfen, ob der „Ökozid“, also eine schwere Schädigung der Natur, als Straftatbestand eingeführt werden soll. Andres Veiel wirbt dafür, seinen Film nicht als Untergangszenario, sondern als hoffnungsvollen Fingerzeig zu sehen.

Herr Veiel, Dokumentationen über den Klimawandel gibt es viele, ernsthafte Spielfilme dagegen noch kaum. Warum ist das so?

Andres Veiel : Die Herausforderung ist die Komplexität des Themas. Ein großer Teil unseres Films dreht sich um Emissionshandel und die CO2-Reduktion im Straßenverkehr. Das ist nichts, womit man eine Liebesgeschichte verbindet, sondern eine sehr faktenbasierte Auseinandersetzung. Wir mussten für über zwei Jahre Recherche eine Rahmenhandlung finden, die spannend ist.

Der Klimawandel ist keine plötzlich hereinbrechende Katastrophe, sondern ein kontinuierlicher, schleichender Prozess. Macht ihn das schwer erzählbar?

Ja. Anders als bei der Corona-Pandemie gibt es keine einprägsamen Bilder: von Intensivstationen in Turnhallen oder von Menschen, die nicht mehr versorgt werden können. Der Klimawandel ist immer woanders, in Bangladesch, auf den Malediven oder in der Zukunft; er ist zweifach abstrakt.

In der Literatur findet man meist Klima-Dystopien oder Ökothriller. Sie zeigen eine Gerichtsverhandlung im Jahr 2034. Was sind die Vorteile?

Uns war wichtig, in eine nahe Zukunft zu gehen. Vierzehn Jahre sind fassbar. Ein klassisches Gerichtsdrama bietet die Möglichkeit, Fakten sachlich vorzutragen. Es gilt, die Richter und die Öffentlichkeit mit den besseren Argumenten zu überzeugen. Es war uns wichtig, beide Seiten stark zu zeigen. Und: Es sollte ein plausibler Prozess sein, den es so geben könnte.

Ihr Film erinnert an „Terror“ von Ferdinand von Schirach. Ein Vorbild?

Nein! Es geht nicht darum, dass Zuschauer per Hammelsprung über das Gerichtsurteil abstimmen. Das wäre eine Kapitulation vor der Komplexität des Ganzen.

Im Film sehen sich die 31 Klägerstaaten als Geschädigte der deutschen Klimapolitik. Kann man den Klimawandel auf eine simple Täter-Opfer-Konstellation reduzieren?

Es geht nicht um Täter und Opfer, sondern um Klimagerechtigkeit, um die Frage: Wer trägt Verantwortung? Deutschland ist für zwei Prozent der CO2-Emissionen weltweit verantwortlich und nur für diese Menge soll es haften. Natürlich kann man wie die Verteidigung im Film argumentieren: Warum wird Deutschland angeklagt und nicht China, Russland oder die USA? Es ist ein Präzedenzfall, weil diese Länder den Internationalen Gerichtshof nicht anerkennen.

Muss man für das Thema Klima den Begriff „Schuld“ neu denken?

Ja, man muss Schuld an den Begriff der Verantwortung knüpfen. Es geht nicht im strafrechtlichen Sinne um Schuld. Alles, was in der deutschen Klimapolitik getan wurde, war demokratisch legitimiert. Deutschland hat aber seinen Wohlstand auf CO2-Emissionen begründet, andere Länder haben einen Bruchteil davon ausgestoßen, haben aber mehr Schäden. Ein Ausgleich ist rechtmäßig und notwendig.

Vor Gericht wird die reale deutsche Klimapolitik der letzten 30 Jahre aufgearbeitet. Was hat Sie bei Ihren Recherchen am meisten überrascht?

Mich hat die Systematik der Versäumnisse in der Klimapolitik überrascht. Ich wusste von einigen, aber mit welcher Entschlossenheit das eine gesagt und das andere getan wurde, hat mich fassungslos gemacht.

Über den Film könnte man auch sagen: Was der Youtuber Rezo in dem Video „Die Zerstörung der CDU“ für Jugendliche aufbereitet hat, machen Sie nun für ein erwachsenes ARD-Publikum . . .

Es geht auch um die Regierungszeit von Rot-Grün, um die SPD und die Gewerkschaften. Es ist in diesem Sinne eine kollektive Verdrängungsleistung. Denn schon bei der Klimakonferenz in Kyoto 1997 war allen Akteuren bekannt, dass gehandelt werden muss, um das Steuer herumzureißen. Im Film zitiert EU-Referent Georgios Tanamos die Deutschen: „Not now, maybe later.“ Es gab immer Gründe, alles aufzuschieben.

Sie sind Jahrgang 1959. Wann und wie ist Ihnen selbst bewusst geworden, wie ernst die Lage ist?

Als der Club of Rome 1972 das Buch „Die Grenzen des Wachstums“ herausgebracht hat, war ich 13. Ich bin in die Bibliothek gegangen und habe es eingesaugt. Dass wir so nicht weitermachen können, unseren Planeten zerstören, war mir schon sehr früh klar. Was mein eigenes Handeln angeht, habe ich das jedoch auch lange verdrängt.

Sie haben Psychologie studiert. Wie erklären Sie sich, dass viele Menschen über den Klimawandel Bescheid wissen, aber trotzdem so wenig getan wird?

Es ist eine abstrakte Bedrohung, ich kann es einfach von mir weghalten. Die Verantwortung kann man ebenso leicht weiterschieben: Der Autofahrer fordert weniger Flugreisen. Der Flugreisende, dass Gebäude saniert werden sollen. Es bräuchte ein Regelwerk. Wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen, müssen alle ran.

Psychologen warnen, dass Untergangszenearien lähmend auf Menschen wirken. Wie motiviert Kunst Menschen zum Handeln?

Unser Film zeigt, dass Gerichte in der Lage sein könnten, politisches Handeln zu korrigieren. Das ist ein Hoffnungssignal. Der Film zeigt nicht nur das brennende Brandenburg, sondern auch, wo wir hin müssen. Wir brauchen internationale Instanzen, wir können die Probleme nicht national lösen. Der Film hat auch die positive Botschaft: Es ist ein Zukunftsszenario, wir können etwas dagegen tun. Allein durch Tempolimits könnte man tonnenweise CO2 einsparen, ohne die Welt revolutionieren zu müssen.

Also die Kunst kann die Handlungsspielräume aufzeigen, die wir noch haben?

Ich habe davor einen Film über den Künstler Joseph Beuys gemacht, der gesagt hat: „Wenn etwas gedanklich in der Welt ist, dann wirkt es.“ Ich versuche in meinen Arbeiten, Ideenräume mit Kunst zu verbinden.

Vom Bildschirm auf die Theaterbühne

Andres Veiel ist bekannt für politische Kunst. Foto: Karsten Kampf

Andres Veiel ist bekannt für politische Kunst. Foto: Karsten Kampf

Regisseurund Drehbuchautor Andres Veiel, 1959 in Stuttgart geboren, gilt als politisch engagiert. Seine Spielfilme, Dokumentationen und Theaterstücke basieren oft auf langen Recherchen. Zuletzt lief seine Doku „Beuys“ im Kino. In Stuttgart wurden bereits seine Stücke „Das Himbeerreich“ und „Der Kick“ gezeigt.

„Ökozid“ ist Teil der ARD-Themenwoche 2020 „#Wie Leben – Bleibt alles anders“ und wird am Mittwoch um 20.15 Uhr im Ersten ausgestrahlt. Der Film soll als Theaterfassung im Mai 2021 unter der Regie von Burkhard C. Kosminski, Intendant des Schauspiels Stuttgart, in der Landeshauptstadt uraufgeführt werden.