Stuttgart

Ausstellung: Wenn der Mensch Naturgewalt wird

Keine Spezies hat die Erde so sehr geprägt wie wir. Welche Auswirkungen hat unser Tun auf Tiere und Pflanzen? Und wo führt das alles hin? Diese Fragen beleuchtet die neue große Landesausstellung.

13.10.2021

Von DAVID NAU

6976 Exemplare des Großen Puppenräubers zeigt die Ausstellung im Stuttgarter Naturkundemuseum als ein Beispiel dafür, was der Einfluss des Menschen mit der Natur macht. Alle Käfer starben bei einem einzigen Pestizideinsatz in einem Waldstück. Foto: Marijan Murat/dpa

6976 Exemplare des Großen Puppenräubers zeigt die Ausstellung im Stuttgarter Naturkundemuseum als ein Beispiel dafür, was der Einfluss des Menschen mit der Natur macht. Alle Käfer starben bei einem einzigen Pestizideinsatz in einem Waldstück. Foto: Marijan Murat/dpa

Stuttgart. Es sind gewaltig viele blau-grün-gelb-schimmernde Käfer, die da im Stuttgarter Naturkundemuseum an der Wand hängen. Die 6976 Expemplare des Großen Puppenräubers zeigen eindrucksvoll, welche Auswirkungen bestimmte Entscheidungen des Menschen auf seine Umwelt haben kann. „Sie stehen für das Versagen der Agrarpolitik der vergangene Jahrzehnte“, sagt Lars Krogmann, Interimsdirektor des Museums im Schloss Rosenstein. Alle 6976 toten Puppenspinner sammelte ein Forscher nach nur einem Pestizideinsatz in einem Waldstück in Spanien auf.

Einst waren die Käfer auch in Deutschland heimisch und hielten als wichtiger Fressfeind die Ausbreitung des für den Menschen gefährlichen Eichenprozessionsspinners in Schach. Dann aber begannen die Menschen, dem Prozessionsspinner mit Pestiziden auf den Leib zu rücken – und vergifteten damit auch den Großen Puppenräuber. Das Ergebnis: Der Eichenprozessionsspinner breitet sich ungehindert aus, der Große Puppenräuber ist in deutschen Wäldern nicht mehr zu finden.

Neues Erdzeitalter

Die 6976 toten Puppenspinner sind nur eine Spur, die der Mensch auf dem Planeten hinterlassen hat. Der Einfluss der Menschheit auf den Planeten ist allumfassend und meist nicht mehr rückgängig zu machen. „Keine andere Spezies prägt den Planeten so wie wir – wir sind selbst zur Naturgewalt geworden“, sagt Museumsdirektor Krogmann. Wissenschaftler haben deswegen ein neues Erdzeitalter ausgerufen: Das Anthropozän, das Zeitalter, in dem die Menschheit den Planeten geprägt und auch verändert hat.

In einer großen Landesausstellung, die den Titel „Anthropozän – Zeitalter? Zeitenwende? Zukunft?“ trägt, versucht das Naturkundemuseum in Stuttgart zu veranschaulichen, wie der Mensch zur weltprägenden Spezies wurde, welche Folgen das Wirken der Menschheit auf Umwelt und Natur hat, und welche Perspektiven es für uns Menschen gibt. Mit Filmen, Schaubildern, Ausstellungsgegenständen, interaktiven kleinen Spielen und viel erklärendem Text widmet sich die Ausstellung etwa dem Artensterben, dem Klimawandel oder den Veränderungen in den Ozeanen.

Überall hat sich der Mensch inzwischen ausgebreitet, es gibt so gut wie keine Bereiche mehr, in denen er keinen Einfluss hat. Nur noch 0,6 Prozent der Fläche in Deutschland sind wirklich Wildnis, erläutert die Ausstellung – und stellt etwa die Frage, was noch Natur und was schon Kultur ist. So sorgt die Nutzung der Natur durch den Menschen für das Verschwinden von Arten, befördert aber auch die Ausbreitung invasiver Arten, wie etwa der Nilgans oder des Bibers. Eine interaktive Karte zeigt die rasante Ausbreitung im Südwesten in den vergangenen Jahren – ausgelöst durch Jagdverbote und Wiederansiedlungsprojekte.

Die Schau will aber nicht nur „schlechte Laune verbreiten“, sagt Krogmann, sondern zeigt auch mögliche Lösungen für die großen Probleme unserer Zeit auf: „Wir dürfen den Menschen nicht nur als die einzige Bedrohung des Planeten sehen, sondern auch als seine einzige Rettung.“ Beschrieben wird etwa die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre, das dann zu einem Granulat weiterverabeitet wird, mit dem die Industrie technische Geräte herstellen kann, oder die Zersetzung von Müll durch Mehlwümer. Kuratorin Petra Härtl sagt aber auch klar: „Wir können nicht alle Probleme mit Technik lösen.“ So bräuchte man 1500 Menschen, um die Bestäubungskraft eines Bienenvolkes zu ersetzen.

Interaktives Spiel für Besucher

Was jeder einzelne tun kann, um die Überhitzung der Erde und das Sterben vieler Arten zu verhindern, zeigt ein interaktives Spiel. In den Boden des Museums ist ein großer Bildschirm eingelassen, darauf zu sehen ist die sich drehende Erdkugel. Fünf Spieler können nun jeweils gleichzeitig Fragen mit Ja oder Nein beantworten: Diesel-Auto oder Elektroauto fahren? Neue Klamotten oder Second-Hand? Digitales Fasten oder Dauer-Online? Ist die eigene Entscheidung gut für die Erde, färbt sich der Globus grün, ist sie schlecht, wird es rot. So können Besucher spielerisch erfahren, welche Auswirkungen ganz persönliche Lebensentscheidungen auf den Planeten haben.

Für die Politik kommt die Ausstellung genau zur richtigen Zeit. dem Museum gelinge es, „aktuellste Erkenntnisse zusammenzuführen und sie einem breiten Publikum zugänglich zu machen“, sagte Kunststaatssekretärin Petra Olschowski (Grüne). „Das ist eine wichtige Ausstellung zur richtigen Zeit.“ Eröffnet wurde die Ausstellung am Dienstagabend von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), der die Schau auch als Auftrag für die Politik versteht: „Die große Landesausstellung zeigt uns eindrücklich, dass Politik und Bürgergesellschaft neue Wege finden müssen, um mit dem postfossilen Zeitalter umzugehen.“

Welchen Einfluss haben meine persönlichen Entscheidungen auf den Planeten? Das können Besucher der Landesausstellung spielerisch erfahren. Foto: Marijan Murat/dpa

Welchen Einfluss haben meine persönlichen Entscheidungen auf den Planeten? Das können Besucher der Landesausstellung spielerisch erfahren. Foto: Marijan Murat/dpa