Stuttgart. Wie langsam Ideen für schnellen Verkehr umgesetzt werden, kann man aktuell gut am Beispiel der Radschnellwege sehen. Anderthalb Jahre ist es her, dass Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) den Bundesverkehrswegeplan 2030 vorgestellt hat. In letzter Sekunde hatte es dort ein Passus hineingeschafft, mit dem das Bundesverkehrsministerium (BMVI) erklärte, dass Radschnellwege „ein wichtiger Bestandteil eines nachhaltigen Verkehrssystems“ sind, weil sie den Verkehr verflüssigen, Staus vermeiden und Schadstoffemissionen sowie Lärmbelästigungen reduzieren.
Keine konkreten Projekte zwar, aber für Matthias Gastel, grüner Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Nürtingen, doch ein Erfolg. „Ich bin froh, dass hier ein Einstieg gelungen ist“, sagt er. So wurden für dieses Jahr 25 Millionen Euro im Etat des BMVI für Radschnellwege eingestellt. Zugleich ist Gastel aber auch erzürnt, denn ob dieses Geld 2017 wirklich abgerufen werden kann, ist ungewiss. Es darf erst fließen, wenn das BMVI Richtlinien zur Förderung, also eine Verwaltungsvereinbarung, entwickelt hat. Das aber zieht sich seit Monaten. Anfang des Jahres hatte das Ministerium Juni für die Vorstellung der Richtlinien genannt. Heute, drei Monate später, ist noch immer nichts passiert.
Darf Planung gefördert werden?
Auch wegen der anstehenden Bundestagswahl und der folgenden Neukonstituierung fürchtet Gastel daher, dass das Geld für dieses Jahr verloren ist. Denn ob es im neuen Etat wieder dem Radverkehr oder aber anderen Verkehrsträgern zugeschlagen wird, ist nicht geklärt. Gastel wirft dem Minister vor, den Autoverkehr zu protegieren, während er die Förderung der anderen Verkehrsträger bremse. Bei Dobrindt sei „kein Engagement für andere, sinnvollere Maßnahmen zu erkennen“. Fragen dieser Zeitung, wieso es bei der Erstellung der Richtlinien derartige Verzögerungen gibt und was mit dem Geld passiert, sollte es nicht abgerufen werden, beantwortete das BMVI trotz dreimaliger Anfrage nicht.
Wasilis von Rauch ist Bundesvorsitzender des Verkehrsclubs Deutschland (VCD). In vielen Arbeitskreisen ist er mit Verantwortlichen auf Bundes- und Länderebene in Kontakt. Obwohl auch er bedauert, „dass der Prozess so lange dauert“, hat er festgestellt, „dass das Referat für Radverkehr im BMVI einiges bewegt“. Die Verständigung auf einheitliche Standards mit den Ländern sei zudem zeitaufwendig. Insgesamt kritisiert er aber, dass „Dobrindt dem Radverkehr viel zu wenig Priorität gibt“. Angesichts des drohenden Verfalls der 25 Millionen Euro fragt er sich: „Können auch Planungsleistungen gefördert werden?“ Auch hierauf vom BMVI nur Schweigen.
So stehen die Länder vorerst alleine da beim Thema Radschnellwege. Gastel zürnt: „Es ist ja nicht nur, dass das Geld nicht abgerufen werden kann, es wird auch die Planung erschwert.“ Welche Kriterien muss ein Radschnellweg erfüllen? Wie lang muss er sein? Wie breit? Und wie soll er frequentiert sein?
„Durch das Fehlen der Verwaltungsvereinbarung bestehen erhebliche Unsicherheiten. Die wirken sich negativ auf die angestrebte schnelle Umsetzung von Radschnellverbindungen aus“, heißt es aus dem Verkehrsministerium in Stuttgart. Dennoch möchte man im Land – wie auch in Nordrhein-Westfalen oder Berlin – nicht warten und treibt Projekte eigenständig voran. Ein Verhalten, das Wasilis von Rauch unterstützt: „Es ist gut, dass diese Länder nicht so lange warten, bis vom Bund etwas kommt.“ Im Juli gab Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) bekannt, dass das Land drei Radschnellwege baut: von Heidelberg nach Mannheim, von Heilbronn über Neckarsulm nach Bad Wimpfen und von Esslingen nach Stuttgart.
Darüber hinaus hat das Land bereits verschiedene Maßnahmen ergriffen: Es fördert Machbarkeitsuntersuchungen, analysiert Potenziale verschiedener Strecken, hat Qualitätsstandards- und Musterlösungen entwickelt, plant und baut besagte drei Pilotwege und fördert mit Böblingen–Stuttgart einen vierten.
Erfahrungen sammeln
Für die Auswahl der Wege, deren Bau und weitere Betreuung das Land nach eigenen Angaben übernimmt, sei entscheidend gewesen, dass sie in mehrerlei Hinsicht unterschiedlich beschaffen sind. Auf diese Weise wolle man „möglichst weitgehende Erfahrungen mit der neuen Infrastrukturkategorie ,Radschnellverbindungen sammeln“. Die Strecken Heidelberg–Mannheim und Plochingen–Stuttgart seien zudem Pendlerstrecken, die voraussichtlich viele Radfahrer nutzen würden; die Verbindung zwischen Heilbronn und Bad Wimpfen lasse sich vergleichsweise rasch umsetzen.
Die drei Leuchtturmprojekte hätten „eine ganz große Bedeutung für den Radverkehr“, sagt die Landesvorsitzende des Fahrradclubs ADFC, Gudrun Zühlke. Zum einen würden mehr Menschen aufs Rad umsteigen, wenn sie merkten, dass sie auf den breiten und asphaltierten Schnellwegen damit schneller seien als auf vielbefahrenen Straßen mit dem Auto. „Das ist eine neue Qualität“, betont Zühlke. Auch Lastenräder und Gefährte mit Anhänger hätten auf den Wegen mit zwei Spuren in jede Richtung genug Platz. Zum anderen würden durch die Pilotprojekte weitere Kommunen auf den Geschmack kommen und auch ihr eigenes Radwegenetz in den Blick nehmen.
Auf allen drei Strecken rechnet das Ministerium mit mehr als 2000 Radfahrten pro Tag. Wann sie aber gebaut werden und wie viel die Projekte kosten, sei derzeit – am Anfang der Planungsprozesse – noch unklar. Auch wie die drei insgesamt etwa 55 Kilometer langen Strecken verlaufen, wurde demnach noch nicht abschließend festgelegt. Gerade vor diesem Hintergrund „wäre eine zeitnahe Vorlage eines Entwurfes zu dieser Verwaltungsvereinbarung durch den Bund dringend erforderlich“, teilt das Landesministerium mit.
Denn so kann es passieren, dass das Land unverschuldet auf den von ihm gebauten Strecken korrigieren oder nachbessern muss. „Sofern die Regelungen des Bundes eine Anpassung der Planungen oder Vorgaben sinnvoll erscheinen lassen, werden diese zeitnah umgesetzt.“ Es ist eben ein weiter Weg zu den schnellen Strecken.