Tübingen

Wegen Homosexualität verhaftet: Tübingen bittet Helmut Kress um Entschuldigung

Die Universitätsstadt Tübingen hat einen früheren Mitarbeiter, der 1961 wegen seiner Homosexualität auf Betreiben des damaligen Oberbürgermeisters verhaftet worden war, um Entschuldigung für ihr damaliges Verhalten gebeten.

23.06.2022

Von ST

Helmut Kress in seinem ehemaligen Haus in der Schmiedtorstraße 5 mit der Weinstube Göhner. Bild: Anne Faden

Helmut Kress in seinem ehemaligen Haus in der Schmiedtorstraße 5 mit der Weinstube Göhner. Bild: Anne Faden

„Es war Unrecht, was Helmut Kress damals angetan wurde. Das hat tiefe Spuren in seinem Leben hinterlassen. Sein Schicksal macht uns heute sehr betroffen“, sagte Oberbürgermeister Boris Palmer bei einem Empfang zu Ehren von Helmut Kress im Tübinger Stadtmuseum. Die Entschuldigung ist mit einer Entschädigung in Höhe von 6.000 Euro verbunden.

In Handschellen abgeführt

Helmut Kress, Jahrgang 1946, wurde 1961 als Auszubildender bei der Stadtverwaltung Tübingen an seinem Arbeitsplatz verhaftet und in Handschellen abgeführt. Sein Vergehen: Man hatte in seiner Schreibtischschublade einen Liebesbrief an einen Mann gefunden. Der damalige Oberbürgermeister Hans Gmelin brachte den Fund persönlich zur Anzeige. Helmut Kress wurde wie ein Schwerverbrecher stundenlang bei der Polizei verhört und später wegen Paragraf 175 vor Gericht gestellt. Er erhielt eine Jugendstrafe und saß diese in Einzelhaft im Jugendgefängnis in Oberndorf ab.

In der Folge verlor er seinen Arbeitsplatz bei der Stadtverwaltung, das Verhältnis zu seinem Vater ging in die Brüche, und sein Leben verlief fortan in völlig anderen Bahnen: Er fand im Laufe der 1960er-Jahre zur Gastronomie, die zu seiner Leidenschaft wurde. Nach Stationen in Berlin, Offenburg, Bad Winsheim und München kehrte er nach Tübingen zurück und übernahm die Weinstube Göhner, die er bis 2018 führte. 2017 wurde Kress nach dem „Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen (StrRehaHomG)“ für Urteil und Haft entschädigt.

Einer der wenigen, die bereit sind, öffentlich zu sprechen

Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld in Berlin hat den Fall von Helmut Kress 2016 erstmals aufgegriffen und ein Interview mit ihm für ihr „Archiv der anderen Erinnerungen“ aufgenommen. Die Recherchen leitete damals der Berliner Historiker Karl-Heinz Steinle. Seitdem ist Kress ein bundesweit gefragter Zeitzeuge, weil er zu den wenigen gehört, die bereit sind, öffentlich über ihr Schicksal zu sprechen. So sah und hörte man ihn mehrfach in den Medien. Als es im April 2017 im Bundestag um die gesetzliche Rehabilitierung der Opfer des Paragrafen 175 ging, war er Ehrengast der Bundesregierung in Berlin. Mit seiner Bereitschaft und dem Mut, über sein Leben zu sprechen, hat Helmut Kress wesentlich zur Akzeptanz des Gesetzes in der Öffentlichkeit beigetragen.

Der Fall Helmut Kress steht für viele andere in der Nachkriegszeit: In der Bundesrepublik Deutschland gab es von 1950 bis 1965 fast 45.000 Verurteilungen nach Paragraf 175. Besonders stark war die strafrechtliche Verfolgung Homosexueller in Baden-Württemberg. Darüber berichtet unter anderem die Ausstellung „Queer durch Tübingen“, die noch bis 17. Juli 2022 im Stadtmuseum Tübingen zu sehen ist. Der gleichnamige Ausstellungskatalog mit 359 Seiten erschien im vergangenen Jahr in der Reihe der Tübinger Kataloge und enthält einen biografischen Beitrag Karl-Heinz Steinles über Helmut Kress. Er ist unter www.tuebingen.de/shop erhältlich. Helmut Kress gehört zu den queeren Persönlichkeiten Tübingens, die das Stadtarchiv in seinem Forschungsprojekt „Queer durch Tübingen“ auf der städtischen Internetseite vorstellt.